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Eine kontroverse Beziehung

Jan Ullrich gewann 1997 die Tour. 20 Jahre später wird der einzige deutschen Sieger nicht mal mehr eingeladen.

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© dpa

Von Ruben Stark

Wer Jan Ullrich am Rande der Tour de France sehen will, muss nach Korschenbroich kommen. Am Sonntag, wenn die zweite Etappe das Städtchen am Niederrhein passiert, wird der einzige deutsche Sieger der Frankreich-Rundfahrt präsent sein. „Erstmals seit meinem Karriere-Ende“, wie Ullrich betont. Beim großen Grand Départ am Sonnabend in Düsseldorf sucht man ihn dagegen vergeblich.

Auf der Liste der eingeladenen Vip’s stehen die Namen Fürst Albert und Rudolf Scharping, aber auch die von Dopingsündern wie Richard Virenque und Laurent Jalabert. Doch der von Ullrich fehlt. Die große Fete zum Start findet ohne den Auslöser des Radsport-Booms in Deutschland vor genau 20 Jahren statt. „Jan ist am Freitag nach Bocholt zur 20-Jahr-Feier seines Toursieges 1997 eingeladen, dort wird er ein Charity-Rennen fahren“, erklärt Ullrichs Freund und Ex-Profi Andreas Klöden. „Ich bin auch nicht eingeladen, werde aber geschäftlich in Düsseldorf sein“, erklärt der Cottbuser, Tourzweiter von 2004 und 2006.

Ullrich und Klöden haben ein Problem: Sie gelten als Vertreter des „alten Radsports“ mit starken Verstrickungen in Dopingaffären. Und da ist es ganz offensichtlich egal, dass vor allem mit Ullrich die Radsport-Begeisterung hierzulande ungeahnte Ausmaße erreichte. „Zu Autogrammstunden kamen auf einmal Tausende Leute. Einkaufen oder Kino waren nicht möglich“, erinnerte sich Ullrich jüngst in einem Gespräch mit dem Stern. Im Februar vor zehn Jahren beendete er seine Karriere. Unfreiwillig. Im Sommer zuvor hatte die Fuentes-Affäre den Traum in einen Albtraum verwandelt.

Ullrich ist jetzt 43 und lebt seit einigen Monaten zurückgezogen auf Mallorca. Wie emotional und sensibel das Thema aber noch ist, zeigte die Diskussion über seine mögliche Rolle als Sportlicher Leiter bei „Rund um Köln“ vor ein paar Wochen. All das, was war, lässt ihn nicht los. Die Tour beginnt in Deutschland, das Jubiläum kommt nun hinzu.

„Ich bin seit mehr als zehn Jahren raus, und immer noch wird bei mir über Doping geredet. Ja, ich habe Fehler gemacht, ich habe meine Strafe bekommen, dafür gebüßt. Jeder hat doch auch eine zweite Chance verdient“, sagte Ullrich der Bild-Zeitung. Es klingt nach Enttäuschung, Verbitterung. Eine Rückkehr in den Profiradsport sei ausgeschlossen, mehr denn je, weil ihn die Vergangenheit immer wieder einhole.

„Deshalb werde ich auch nicht als TV-Experte einsteigen. Der Profiradsport ist für mich gegessen. Ich kümmere mich lieber um die Jedermann-Fahrer. Das macht mir Spaß“, ergänzte der gebürtige Rostocker, der rund um den Jahrtausendwechsel beinahe schon zur Ikone seiner Sportart aufgestiegen war. 2006 folgte jedoch der tiefe Fall, nachdem seine Verwicklung in den Skandal um Dopingarzt Eufemiano Fuentes bekannt wurde. Der Internationale Sportgerichtshof Cas sperrte ihn 2012 für zwei Jahre.

Ein Geständnis wird es nicht geben

Auch eine Laufbahn als Funktionär komme für ihn niemals infrage, sagt Ullrich, der sich einen Seitenhieb gegen den Chef des Bundes Deutscher Radfahrer nicht verkneifen konnte. „Ich habe keine Ahnung, wie man das Amt gut ausübt. Präsident Rudolf Scharping übrigens auch nicht.“ Ullrich veranstaltet inzwischen weltweite Radsport-Camps und ist an einer Firma für Höhenkammern beteiligt.

Seine Vergangenheit hat er bis heute nur scheibchenweise aufgeklärt, ein umfassendes Doping-Geständnis nie abgelegt. Das werde es auch nicht geben. „Ich rede nicht mehr über Doping. Ich schaue nach vorne“, sagt Ullrich. Mit seinem früheren Rivalen, dem ebenfalls wegen Dopings gesperrten Lance Armstrong, steht er flüchtig in Kontakt. „Ich melde mich bei ihm, wenn ich in den USA ein Radcamp veranstalte. Beim letzten Treffen dachte ich: Hui, du bist auch nicht jünger geworden.“

Ullrich und Armstrong lieferten sich jahrelang packende Duelle bei der Tour. Er sei ein „bisschen stolz“, dass er mit seinem Sieg 1997 den Radsport-Boom in Deutschland mit ausgelöst habe, meint der kritisch beäugte Star von einst. „Auch die aktiven Fahrer wie André Greipel sagen: ,Ich habe angefangen, weil ich Jan Ullrich damals im TV gesehen habe.‘“

Hin- und hergerissen sind Greipel und Co, spricht man sie auf Ullrich an. „Es gibt noch viele Menschen, die es ihm übelnehmen, dass er sich nie klar und deutlich positioniert hat zum Dopingmissbrauch“, sagt beispielsweise Top-Sprinter Marcel Kittel. Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin sagt, dass Ullrich „überall willkommen“ wäre, wenn er seine Geschichte einmal komplett erzählen würde.

Die Vergangenheit ist für den gebürtigen Rostocker eine gewisse Last – nach wie vor. Das jedenfalls ist aus seinem engeren Umfeld zu hören. Dem Stern hatte Ullrich gesagt: „Hätte ich früher was gesagt, hätte ich früher meine Ruhe gehabt.“ Hier bezog er sich aber auch nur auf die Aussagen von 2013, als er erstmals Behandlungen bei Fuentes einräumte.

Die Erinnerung an 1997 lebt

Menschlich wünscht ihm niemand etwas Schlechtes, im Gegenteil. Marcus Burghardt, der vergangenen Sonntag in Chemnitz deutscher Meister wurde, hielt nach seinem Titelgewinn ein Plädoyer für das einstige Idol. Er fuhr mit Ullrich in seinen ersten Profijahren bei T-Mobile. „Ulle hat die letzten Jahre sehr viel durchgemacht, er hat eine zweite Chance verdient“, sagte der 33-Jährige: „Er hat so viel für den deutschen Radsport getan.“ Er hat dem Radsport aber eben auch sehr geschadet – und das macht den Umgang so kontrovers.

Die Erinnerung an den Hype ist trotz allem lebendig wie eh und je. „Wir waren im Dänemark-Urlaub“, erzählte Kittel, damals neun Jahre alt: „Mein Vater und mein Onkel haben den Fernseher angeschrien, und ich hab mich gefragt, warum?“ Reporter-Legende Herbert Watterott verwies auf die sporthistorische Dimension. „Es war fast wie 1954, als Deutschland Fußball-Weltmeister wurde. Das erste Thema war die Tour de France.“ Mit Ullrich. (sid, mit dpa)

TV-Tipp: Sa., Einzelzeitfahren in Düsseldorf, 14.50 Uhr live in der ARD und auf sportschau.de; So., 1. Etappe Düsseldorf – Lüttich, 12.00 Uhr live in der ARD.