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Eine hochedle Tradition

Erhard Schellmann ist mit Ende 70 in den St. Michael-Ritterorden in Görlitz eingetreten. Das ist weit mehr als ein Kostümspektakel.

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© Nikolai Schmidt

Von Frank Seibel

Görlitz. Da steht er nun mit seinem rostroten Wams vor seinem Meister. Hand aufs Schwert, jetzt wird es feierlich. Er sei, sagt der Großmeister, Sir Achim von Ehrenbrechtstein, doch insgesamt recht zufrieden mit seinem Knappen gewesen. Der habe ihm, dem hochedlen Ritter, zwar mancherlei wilde Streiche gespielt, die er als sein Herr habe ausbaden müssen. Doch gar zu wild sei der Knappe nicht gewesen, und die treuen Dienste seien allemal höher zu bewerten.

Der Knappe Erhard blickt ein wenig demütig, ein wenig stolz. Der Konvent auf Burg Landeskrone erreicht einen Höhepunkt. Denn an diesem sonnigen Sonnabendnachmittag, die Fahnen Deutschlands, Sachsens und der Stadt Görlitz flattern seit einer Stunde vorm Fenster im Wind, wird der Knappe zum Junker befördert und dann schon die halbe Strecke auf dem Weg zum Ritter geschafft haben. Aus Tirol, aus dem polnischen Schlesien und aus verschiedenen deutschen Landen sind Ritter, Junker, Knappen und Burgfräulein angereist, um diesem feierlichen Konvent des Deutschen Sankt Michael Ritterordens beizuwohnen.

Knappe Erhard steht da wie ein junger Bursche auf dem Weg zum Mann. Dass er diesen Weg bereits vor über 60 Jahren beschritten hat, tritt in diesem Moment in den Hintergrund. Obwohl er schon eine reife, ritterliche Würde ausstrahlt, mehr als manche der Jüngeren im Saal, denen vor allem eine gewisse Freude am Spektakel ins Gesicht geschrieben steht.

Knappe Erhard steht im 80. Lebensjahr, sein Meister Rasso von der Wetterau bereits im 86. Beide fühlen sich einer Tradition verpflichtet, die bis tief ins Mittelalter hineinreicht; fast 900 Jahre zurück in unserer Zeitrechnung. Damals wurde der Sankt Michael Orden in Portugal gegründet. Ein Pfeiler in der höfischen Welt des damaligen Abendlandes.

Es ist eine ungewöhnliche Inszenierung hier oben im „Burg“ genannten Restaurant auf dem Görlitzer Hausberg. All die Damen und Herren werden schon am Montag wieder Hose, Rock, Hemd und Bluse tragen, wie das im 21. Jahrhundert üblich ist. Vom „profanen Leben“ spricht der Großmeister des Ritterordens, der soeben den Knappen Erhard zum Junker befördert hat.

„Es geht darum, eine Jahrhunderte alte Tradition zu pflegen“, sagt Erhard Schellmann nach der Zeremonie. Ein Ritterorden aus dem Mittelalter, dem Christentum und seinen Tugenden von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe verpflichtet. Erhard Schellmann ist selbst kein Christ. „Aber ich teile die Werte des Ordens, damit habe ich kein Problem.“ Kurz nachdem er als Sechsjähriger aus dem Inferno der Dresdner Bombennacht im Februar 1945 gerettet wurde, fing er bereits an, sich für die höfische Welt des Mittelalters zu interessieren. Die Schulbildung in der frühen DDR hatte da keinen Platz für Romantik. Da war mehr von Ausbeutung und Unterdrückung die Rede, erinnert sich Schellmann heute. Verantwortung zum Beispiel war keine Kategorie, die man den Burgherren des Mittelalters zugestanden hätte.

Aber die kindliche Faszination fürs Mittelalter ruhte jahrzehntelang im Leben von Erhard Schellmann, der nach vier Semestern des Ingenieurstudiums an der Technischen Universität seine Heimatstadt und die DDR verließ, weil ein Rundschreiben des Rektors das Ende der Reisefreiheit für die angehenden Experten ankündigte. „Wir hatten bis dahin große Privilegien, weil die Ausbildung in Dresden auch im Westen hoch anerkannt war“, erinnert sich Schellmann. In Hannover promovierte er, wurde zunächst Beamter an einem wissenschaftlichen Institut, wechselte dann zum Konzern Bayer AG, leitete Forschungsprojekte im Umweltbereich; Ende der 1960er-Jahre waren die Industriebetriebe auch in Westdeutschland noch echte Dreckschleudern, erinnert sich der Ingenieur. Dann kamen wichtige Jahre in aller Welt; mehrere Jahre lebte und arbeitete Schellmann in den USA. Ein erfahrener, selbstbewusster Manager und Mann – und so einer steht nun mit Wams und Demut vor einem 85 Jahre alten Mann mit schwarzer Mütze, weißem Schnauzbart, mit Umhang und Schwert. Im profanen Leben heißt der Großmeister Rainer Ehrenbrecht und ist, wie Erhard Schellmann, promovierter Ingenieur und hat lange als Manager in einem großen Konzern gearbeitet.

Fünf Jahre mehr oder weniger machen schon etwas aus in diesem Alter, sagt Schellmann. Er will seinem alten Meister helfen, die ehrenvolle Aufgabe zu erfüllen, die Ehrenbrecht im Auftrag des englischen Großmeisters übernommen hat. „Ich möchte gerne dabei helfen, diese alte Tradition für die Zukunft zu bewahren“, sagte Schellmann, der 2012 nach Görlitz gezogen ist. Nun steht dieser erfahrene Mann als Knappe vor dem alten Herrn, den er bei einem Stammtisch in Görlitz kennengelernt hat. Dort hat Erhard Schellmann bemerkt, wie sehr sich seine Biografie und die von Rainer Ehrenbrecht glichen. Bis hin zu jenem iranischen Betrüger, über den Erhard Schellmann noch nachdachte, während sein Berufskollege aus dem anderen Konzern ihn schon verklagt hatte. So eine Entdeckung im hohen Alter!

„Ich habe Hochachtung vor seinem Einsatz“, sagt Junker Erhard über seinen Meister. Der hat von seinem Großmeister in England den bedeutenden Auftrag erhalten, den Sankt Michaelis Orden in Deutschland zu etablieren. So hat er sich mit Ende siebzig ein neues Projekt auferlegt: seinem Freund dabei zu helfen, den Ritterorden fest in Görlitz zu etablieren. Mit noch nicht ganz 80 Jahren verspürt er noch genügend Kraft und Elan. Schön wäre es, wenn der Orden einen eigenen, festen Ort bekäme, an dem er auch außerhalb der Festkonvente Kulturveranstaltungen anbieten könnte.

Aber erst einmal sucht sich Erhard Schellmann ein altes, ausgestorbenes Rittergeschlecht, das er neu beleben könnte. Seine Recherchen haben ihn schon gedanklich ins Erzgebirge und nach Oberschlesien geführt. In den kommenden Jahren, hofft er, könnte aus dem Junker Erhard ein hochedler Ritter werden.