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Eine historische Herausforderung

Die Ottendorfer Firma Fuchs+Girke rekonstruiert eine der bekanntesten Stuck-Decken der Welt. Fast ohne Dokumente.

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© René Plaul

Von Nadine Steinmann

Ottendorf-Okrilla. Die Firma Fuchs+Girke ist im Bereich der Denkmalpflege deutschlandweit das, was man eine echte Hausnummer nennt. Dresdens Goldener Reiter und das Residenzschloss, die Leipziger Oper und nicht zuletzt das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Deutschen Eck in Koblenz sind dabei nur einige der prominenten Referenzen. Doch im Moment sind die Mitarbeiter in den Hallen im Gewerbegebiet in Ottendorf-Okrilla mit einem Auftrag beschäftigt, von dem Geschäftsführer Enrico Böttcher als „ein absolutes Highlight“ schwärmt. Denn Fuchs+Girke rekonstruiert seit Mai des vergangenen Jahres die historische Stuckdecke für eines der bekanntesten Häuser der Altstadt von Frankfurt am Main: das Haus zur Goldenen Waage.

Das Besondere an diesem Auftrag: Es gibt kaum historische Dokumente, die belegen, wie die Stuckdecke einst aussah. Welche Farbgestaltung hatte sie? Wie war die Reliefhöhe? Nur wenige Fotos existieren von dem Saal und der Stuckdecke, sind teilweise verschwommen und in schwarz-weiß. Für die Firma und die ausführenden Bildhauer ist dieser Auftrag also gleichzeitig eine historische Herausforderung.

Biblischer Abraham als Inspiration

Erbaut hat das Haus zur Goldenen Waage der Gewürzhändler Abraham van Hamel zwischen den Jahren 1616 und 1619. Hamel stammte aus den spanischen Niederlanden und kam als Glaubensflüchtling nach Frankfurt. Bei der Gestaltung der Stuckdecke im ersten Stock ließ er sich von den biblischen Geschichten rund um seinen Namensvetter Abraham inspirieren. Auch die Tobias-Geschichte aus dem Alten Testament wird an der Stuckdecke erzählt. Doch heute ist von den wertvollen Ornamenten nichts mehr übrig, denn das Haus in der Frankfurter Altstadt wurde während eines Luftangriffes 1944 völlig zerstört und brannte bis auf die Mauern nieder. Nun wird die Goldene Waage aber Schritt für Schritt wieder aufgebaut – im Rahmen des sogenannten Dom-Römer-Projektes. Dieses umfasst ein Gebiet von rund 7 000 Quadratmetern zwischen dem Dom und dem Frankfurter Rathaus, das seit Jahrhunderten als der „Römer“ bekannt ist. Im Rahmen des Projektes werden auch 15 ehemalige Altstadthäuser möglichst originalgetreu rekonstruiert – so auch das Haus zur Goldenen Waage. Und die einzigartige Stuckdecke des Hauses wird in Ottendorf-Okrilla gefertigt.

Gefühl für das Jahrhundert

Doch wie bildet man etwas nach, von dem es nur wenige Fotos gibt? Dieser Aufgabe stellen sich die beiden Bildhauer Jan Kretzschmar und Janusz Kopec. Kretzschmar ist dabei für die figürlichen Motive zuständig, Kopec für die Umrahmungen. „Ich mache mir anhand des Fotomaterials eine Zeichnung“, erklärt Kretzschmar, der zwar freiberuflich als Bildhauer tätig ist, aber seit Jahren eng mit Fuchs+Girke zusammen arbeitet. Zusätzlich haben die beiden Bildhauer sich andere Stuckdecken aus der damaligen Zeit angeschaut, um ein Gefühl für das Jahrhundert zu bekommen. „Natürlich kann die Handschrift des Stuckateurs von vor vierhundert Jahren nicht mehr nachgeahmt werden. Deswegen müssen die beiden Künstler ihre eigene Handschrift in die Arbeiten hineinbringen“, erklärt Prof. Jochem Jourdan, Architekt der Goldenen Waage. Doch von den bisherigen Ergebnissen ist er begeistert.

Straffer Zeitplan

Die zu rekonstruierende Fläche umfasst insgesamt 37 Quadratmeter. Die Hälfte der Stuckdecke ist mittlerweile fertiggestellt. Das große Ziel ist es, die Decke im Dezember zu vollenden. Das heißt allerdings, dass Fuchs+Girke all die Einzelelemente bereits im Juli nach Frankfurt liefern muss, denn nach Angaben des Architekten dauert die Montage der Stuckarbeiten rund zwei bis drei Monate. Anschließend muss noch die farbliche Ausgestaltung erfolgen. Ein Problem, das es noch zu lösen gilt. Denn wie bereits erwähnt, gibt es von der Stuckdecke nur schwarz-weiß Fotos.

Um historisch möglichst genau zu arbeiten haben sich die Verantwortlichen des Dom-Römer-Projektes die Historikerin Barbara Rinn-Kupka dazugeholt. Sie entdeckte schließlich im Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein eine Stuckdecke aus der gleichen Zeit, die vermutlich sogar vom gleichen Stuckateur, der auch in Frankfurt arbeitete, gefertigt wurde. An deren farblichen Gestaltung werde man sich auch in Frankfurt orientieren – eine Arbeit, die ebenfalls die Firma Fuchs+Girke übernimmt und damit eine weitere prominente Referenz vorweisen kann.