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Eine ganz besondere Familie

Seit 18 Jahren betreuen Silke und Torsten Borrmann Kinder aus schwierigen Verhältnissen – auch Jeen aus Syrien.

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© Norbert Millauer

Von Wolf Dieter Liebschner

Steinbach. Nan heißt Brot. La bedeutet nein. Diese und einige andere Wörter aus dem Arabischen haben Silke und Torsten Borrmann gelernt, seit Jeen bei ihnen in der Familie ist. Seit vier Wochen schon. Vor wenigen Tagen hat die Elfjährige, die während der Flucht aus Syrien von ihren Eltern getrennt wurde, ihr erstes Weihnachtsfest in Deutschland gefeiert. Zusammen mit Jana, Verena und Selina (Namen teilweise geändert/d. A.), die ebenfalls zur Familie gehören. Oder eben fast. Denn bei den Borrmanns haben sie nicht das Licht der Welt erblickt. Aber aufgewachsen sind sie in dieser Familie.

Die Borrmanns betreuen seit nunmehr 18 Jahren im Steinbacher Albert-Schweitzer-Kinderdorf Kinder aus Familien, die unter schwierigen Bedingungen leben. Sie haben Gewalt oder Missbrauch erlebt, konnten wegen gesundheitlicher Einschränkungen oder aus anderen Gründen nicht dort aufwachsen, wo sie geboren wurden. „Manche unserer Schützlinge hatten zuvor nicht einmal ein eigenes Bett“, erzählt Silke Borrmann.

17 Kinder betreut

Das Albert-Schweitzer-Dorf besteht seit 1996. Derzeit leben hier in vier Häusern 21 Kinder in drei Familien und einer familiennahen Wohngruppe. Seit 1998 sind die Bormanns dabei. Seither haben sie insgesamt 17 Kinder betreut. Viele von ihnen kamen schon als Babys zu den Borrmanns und sind erst weggezogen, als sie selbstständig waren. „Das ist das Prinzip dieser Dörfer“, erklärt Silke Borrmann. „Die Kinder wachsen hier dauerhaft unter familiären Bedingungen auf.“ Nur Jeen wird das Dorf eher verlassen, dann, wenn ihre Eltern einen sicheren Ort erreicht haben und gefunden worden sind. „Bis dahin verständigen wir uns eben mit wenigen Worten sowie Zettel und Stift. „Wenn gar nichts mehr hilft, können wir auch eine Dolmetscherin anrufen“, so Silke Bormann weiter.

Die 46-Jährige ist ausgebildete Krippenerzieherin und hat nach der Wende eine sozialpädagogische Qualifikation erworben. „Ich habe danach in einer Heimeinrichtung in Dresden gearbeitet und hatte dort den ersten Kontakt zur Jugendhilfe“, sagt sie. Doch das ständige Kommen und Gehen in diesen Einrichtungen hatte sie gestört. „Ich dachte, dass man das vielleicht auch optimieren kann.“ 1997 erfuhr sie vom Kinderdorf. Eine Alternative zu ihren bisherigen Erfahrungen. „Natürlich muss man in der Familie das Für und Wider eines solchen Zusammenlebens genau abwägen“, sagt ihr Mann Torsten. Der 48-Jährige hatte damals als Monteur gearbeitet, fand schließlich eine Stelle als Hausmeister im Kinderdorf. Auch Fahrdienste übernimmt er. Vor 15 Jahren zogen die beiden samt Tochter Sandra ins Kinderdorf. Die wichtigste Bedingung dafür ist, dass ein Elternteil einen Abschluss als staatlich anerkannter Erzieher oder Sozialpädagoge hat.

„Das hier ist ein Vollzeit-Job“, sagt Silke Borrmann. Bis zu sieben Kinder lebten teilweise in der Familie. Unterstützt werden sie von einer Erzieherin, die auch dann einspringt, wenn Silke Borrmann nicht anwesend ist. „Ich muss ja die Kinder in die Schule fahren oder auch wieder abholen. Denn die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist sehr schlecht“, so Silke Borrmann. Täglich hilft sie auch bei den Hausaufgaben, kontrolliert die Hefte.

Auch die Kontakte zu den leiblichen Eltern werden gepflegt. „Manche Eltern kommen selten, andere sind regelmäßig hier“, sagt Silke Borrmann. Natürlich würden daraus auch Konflikte entstehen, „denn die Kinder sind ja nicht ohne Grund hier“. Dass die Kinder auf diese Weise zwei Familien hätten, darauf müsse man sich unbedingt einlassen können. „Aber wir sind als Familie gut aufgestellt und haben eine Menge Durchhaltevermögen.“

Freuden, Sorgen und Werte

Das haben die Borrmanns auch an den Feiertagen gebraucht. Denn da kommen traditionell viele Gäste, auch ehemalige Schützlinge wie Tobias. Der 18-Jährige ist als Baby zu den Borrmanns gekommen, macht jetzt eine Ausbildung in Dresden. „Er ist oft bei uns, auch wir besuchen ihn in Dresden“, sagt Silke Borrmann. Sie und ihr Mann möchten diese Kontakte nicht missen. Sie sind nicht zuletzt eine Bestätigung für einen Lebensentwurf, den die Familie konsequent umgesetzt hat.

Ein Ende dieser prägenden Zeit können sich die Borrmanns kaum vorstellen. Da sind die gemeinsamen Sommerfeste mit den anderen Kinderdorf-Familien. Da ist der Spaziergang mit den Kindern am 1. Januar, mit dem die Borrmanns immer das neue Jahr eröffnen. Da sind Freuden, Sorgen, Werte, die sie leben. Und doch denken sie darüber nach, dass Jana, Verena und Selina vielleicht die letzten Kinder sein werden, die sie ins Erwachsenwerden begleiten. Bis dahin werden noch Jahre vergehen. „Und“, schränkt Silke Borrmann ein, „eine Kurzzeit-Betreuung, so wie bei Jeen, ist auf jeden Fall noch drin.“