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„Eine Frage der Zeit, bis es uns trifft“

Feralpi-Stahlwerker haben in Brüssel gegen Billig-Stahl demonstriert. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze.

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© Sebastian Schultz

Riesa. China – so fern und doch so nah. Kein Land der Welt produziert so viel Stahl wie die Volksrepublik. Und der Staat hilft kräftig nach. Die Überproduktion lässt die Preise sinken. Die europäischen Produzenten geraten in Schwierigkeiten. Auch in Gröba sorgen sich Mitarbeiter und Geschäftsleitung um die Zukunft. Vier Mann von Feralpi haben sich daher am Montag auf den Weg nach Brüssel gemacht. Mit Tausenden anderen Stahlwerkern aus ganz Europa demonstrierten sie in der EU-Hauptstadt dafür, den europäischen Markt vor Dumping-Stahl zu schützen. Die SZ hat darüber mit Feralpi-Betriebsratschef Maik Paul gesprochen.

Riesaer Stahlwerker waren mittendrin, als am Montag in Brüssel Tausende Arbeiter in Brüssel demonstrierten.
Riesaer Stahlwerker waren mittendrin, als am Montag in Brüssel Tausende Arbeiter in Brüssel demonstrierten. © privat

Herr Paul, kochen Sie als Stahlwerker gerade vor Wut?

Es hält sich noch in Grenzen.

Trotzdem war die aktuelle Lage Motivation genug, für eine Demonstration bis nach Brüssel zu reisen.

Ja, klar. Es geht ja auch um unsere Arbeitsplätze. Die Jobs der Stahlarbeiter in ganz Europa sind gefährdet. Aber es geht mir auch noch um etwas anderes.

Und zwar worum?

Um die europäischen Standards. Etwa was Umweltauflagen, Arbeitsschutz oder Tarifbindung angeht. Dafür haben wir Metaller jahrelang gekämpft. Und was den Umweltschutz betrifft, so haben wir hier am Standort in den letzten vier Jahren 21 Millionen Euro investiert. In China wird der Strom hauptsächlich noch von klimaschädlichen Kohlekraftwerken produziert. Mit dem Billig-Stahl aus China importieren wir also auch eine ganze Menge CO2.

Die schwache Weltkonjunktur und die Überproduktion in China lassen die Stahlpreise sinken. Wie wirkt sich das auf Feralpi in Riesa aus?

Glücklicherweise noch nicht allzu stark. Stahlwerk ist nicht gleich Stahlwerk. Es gibt ja verschiedene Produkte, die die europäische Stahlindustrie herstellt. Mit manchen ist China auf den hiesigen Märkten mehr vertreten als mit anderen. Die betroffenen Hersteller kämpfen also schon jetzt gegen die Dumping-Preise. Wir produzieren hier in Riesa Baustahl. Was unsere Produkte angeht, hält sich die Konkurrenz aus China noch in Grenzen. Aber wenn sich jetzt nichts ändert, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch uns trifft.

Warum?

Zwei chinesische Hersteller von Baustahl haben bereits die Zulassung für den deutschen Markt erhalten.

China soll Stahl zu Preisen unterhalb der Produktionskosten anbieten. Wie geht das?

Durch hohe Subventionen vom Staat. China ist keine Marktwirtschaft. Das Land verkauft Stahl zu Preisen, für die wir nicht einmal unseren Schrott einkaufen könnten. Ich habe gehört, dass die Werke zum Teil nicht mal ihren Strom bezahlen müssen.

Und die Stahlindustrie verbraucht enorm viel Strom. Aber auch die deutsche Stahlindustrie zahlt einen geringeren Strompreis durch die Befreiung von der Ökostromumlage. Ist das nicht auch eine staatliche Subvention?

Das ist zum Teil richtig, aber auch dazu gibt es Pläne, das zu ändern. Das würde die Produktion in Deutschland weiter verteuern.

Brüssel ist der Hauptsitz der Europäischen Union. Was soll die EU tun?

Verhindern, dass der Billig-Stahl auf unseren Markt kommt. Die USA erheben schon jetzt Strafzölle, damit die Stahlindustrie dort konkurrenzfähig bleiben kann.

Das Beispiel Solarindustrie hat gezeigt, wie China eine Branche in Deutschland lahm legen kann. Inzwischen gibt es kaum noch Solaranlagen „Made in Germany“. Die EU hat den Verfall nicht verhindert. Wieso sollte sie es bei der Stahlindustrie tun?

Wegen der enormen Anzahl der Arbeitsplätze, die hier auf dem Spiel stehen. Das ist eine ganz andere Nummer als in der Branche der Solarindustrie.

War es Ihre Idee, nach Brüssel zu fahren?

Unser Werkdirektor Frank-Jürgen Schaefer und ich hatten die Idee gemeinsam. Geflogen sind wir dann aber ohne ihn. Aus Riesa waren wir zu viert in Brüssel, alle Betriebsräte. Es war die größte Demo, an der ich je teilgenommen habe. Das war ein beeindruckendes Bild: Tausende Teilnehmer aus allen Ecken Europas in ihrer Arbeitskleidung – und wir mittendrin.

Denken Sie, die Demo hat etwas bewirkt?

Ja, ich denke schon. Die Medienaufmerksamkeit, die wir bekommen haben, war auf jeden Fall immens.

Das Gespräch führte Britta Veltzke.