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Ein Zuhause ohne Mama

200 Kinder im Kreis Bautzen leben von ihren Eltern getrennt in Heimen. Viele haben schlimme Erfahrungen gemacht.

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© Matthias Schumann

Von Jana Ulbrich

Ein bisschen verloren steht Kevin in seinem Zimmer. Mit hängenden Schultern und einem Blick, aus dem nicht zu lesen ist, was er gerade denkt. Kevin hat dieses Zimmer noch nicht richtig angenommen. Der Sechsjährige ist erst seit Kurzem ein Heimkind. Er braucht Zeit, sich an sein neues Zuhause zu gewöhnen. Kevin wohnt jetzt in einer der Wohngruppen im Louisenstift in Königsbrück – zusammen mit sechs anderen Kindern zwischen fünf und 13 Jahren und acht Betreuern, die sich Tag und Nacht im Schichtdienst abwechseln.

200 Kinder und Jugendliche im Landkreis leben zurzeit in solchen Wohngruppen oder in Heimen, 188 in Pflegefamilien. In Königsbrück hat Kevin jetzt einen geregelten Tagesablauf. Er hat feste Essens- und Duschzeiten. Er hat seinen Wochenplan, seine täglichen Beschäftigungsangebote und sein persönliches Wochenziel. Kevin hat hier auch eine Traumapädagogin, mit der er über alles reden kann.

Mitarbeiter sind spezialisiert

Die meisten Kinder in dieser Gruppe sind traumatisiert von den Erlebnissen, Erfahrungen und Verletzungen, die sie in ihrem Leben schon erleiden mussten. Dinge, die die kleinen Körper und Seelen nicht so leicht verkraften: dramatische Bindungsabbrüche, Verwahrlosung, Misshandlung, Missbrauch. Manche sind psychisch krank geworden davon oder verhaltensgestört. Manche brauchen auch die Hilfe von Ergotherapeuten und Heilpädagogen. Einige Kinder sind aber auch hier, weil ihre Eltern krank sind und sich deswegen nicht ausreichend um sie kümmern können.

So funktioniert die Hilfe

Schenken Sie Bedürftigen Ihre Unterstützung und damit einen Lichtblick. Sie können sicher sein, Ihre Spende kommt in gute Hände. Dafür sorgt wie bisher das enge Zusammengehen mit sozialen Einrichtungen, die die Hilfsanträge genau prüfen und bei der Stiftung Lichtblick einreichen.

Der Überweisungsbeleg gilt bis 200 Euro als Spendenquittung. Für größere Spenden senden wir bei Angabe der vollständigen Adresse automatisch eine Bescheinigung zu.

Ihr Kontakt: Hilfesuchende wenden sich bitte an Sozialverbände vor Ort wie Diakonie, Caritas, DRK, Volkssolidarität, Arbeiterwohlfahrt, Jugend- und Sozialämter und gemeinnützige Vereine, mit denen Lichtblick zusammenarbeitet. Erreichbar ist Lichtblick Montag bis Donnerstag 9 bis 16 Uhr. Telefon: 0351 4864-2846, Fax - 9661, E-Mail: [email protected],

Post: Sächsische Zeitung, Stiftung Lichtblick, 01055 Dresden

www.lichtblick-sachsen.de

Konto-Nummer: Ostsächsische Sparkasse Dresden, IBAN: DE88850503003120001774, BIC: OSDDDE81

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Teamleiterin Stefanie Wolf und ihre Mitarbeiter sind auf den Umgang mit traumatisierten Kindern spezialisiert. Hier in dem schönen Einfamilienhaus mit den vielen Kinderzimmern und dem großen Garten sollen sie zur Ruhe kommen. Hier können sie Kind sein. Hier können sie Sicherheit und Geborgenheit erfahren. Hier lernen sie auch einen respektvollen Umgang miteinander.

Männlicher Betreuer ist wichtig

„Kommst Du mit raus?“ Moritz, der kleine Blondschopf aus dem Nachbarzimmer, reißt Kevin aus seinen Gedanken. Es ist Nachmittag, Zeit zum Spielen. Und draußen legt sich die Spätherbstsonne gerade noch mal ins Zeug. „Aber setzt Euch Mützen auf!“, ruft Stefanie Wolf den beiden Jungs hinterher. Wie eine Mutter ihren Kindern in diesem Moment auch hinterherrufen würde. „Und sagt Alex Bescheid!“ Alexander Starke, der einzige Mann im Erzieherteam, ist mit den anderen schon draußen. Der 33-Jährige ist für die Kinder eine wichtige Bezugsperson. Die meisten hatten bisher in ihrem Leben keine guten männlichen Vorbilder.

Mit der Wut der Kinder umgehen

Alex muss sich jetzt erst mal um Danny kümmern. Danny hat gerade wieder Wut. Vom Haufen mit dem Grünschnitt hat sich der Zehnjährige einen abgesägten Ast geholt. Den hebt er immer wieder mit beiden Händen weit über den Kopf und schlägt ihn auf den Boden wie eine Axt – mit aller Kraft, die er zu haben scheint. Immer und immer wieder. „Komm Danny, was ist los?“, versucht Alexander Starke den Jungen zu beruhigen. Der Erzieher weiß gut, wie er umgehen muss mit der Wut des Zehnjährigen, die aus ihm heraus will.

Danny lässt den Ast sinken. Er hat jetzt Tränen in den Augen. Alexander Starke setzt sich zu ihm. Vielleicht will Danny ja reden. Manchmal können ganz banale Dinge plötzlich der Anlass dafür sein, dass die Kinder von verdrängten Erinnerungen eingeholt werden: ein bestimmter Geruch, ein Ton, eine ähnlich erlebte Szene. Auch für die geschulten Erzieher ist es oft schwierig, in solchen Momenten zu helfen.

Mama kommt am Wochenende

Moritz hat sich sein Fahrrad aus dem Schuppen geholt, Kevin das rote Tretauto. Jetzt jagen sie beide um die Wette durch den Garten. Moritz ist erst fünf und der Jüngste in der Wohngruppe. Aber Fahrrad fahren kann er schon genauso gut wie die Großen. Lachend dreht er Runde und Runde um den alten, knorrigen Ahornbaum im Hof. „Das ist nämlich mein Fahrrad, das hat mir meine Mama gebracht“, erzählt der kleine Moritz voller Stolz. „Deine Mama kommt Dich am Wochenende auch besuchen“, ermuntert ihn Stefanie Wolf, die jetzt auch mit nach draußen gekommen ist. Der Kontakt zu den Eltern ist sehr wichtig für die Kinder, weiß die Sozialpädagogin. Erstes Ziel ist es, dass die Kinder eines Tages wieder zurückgehen können in ihre Familien. „Eine Unterbringung im Heim darf immer nur die letzte Möglichkeit für ein Kind sein“, erklärt Stefanie Wolf.

Nach Hause auf Urlaub

Jeden Monat bekommen die Eltern einen Brief, in dem sie erfahren, wie es ihren Kindern geht und wie sie sich entwickeln. Wenn sie möchten, können die Kinder auch selbst etwas malen oder schreiben. Wer möchte, kann unter Begleitung regelmäßig mit seinen Eltern telefonieren. Manche dürfen an den Wochenenden sogar nach Hause.

Sonntags ist Familientag in der Königsbrücker Wohngruppe. „Am So-honntag kommt mein Pa-pa. Am So-honntag kommt mein Pa-pa“, singt Kevin auf dem Tretauto unermüdlich. Der Sechsjährige ist jetzt schon wieder viel fröhlicher als noch vor einer halben Stunde in seinem Zimmer. „Machen wir da wieder alle zusammen einen Ausflug, Stefanie?“, fragt er.

Die Teamleiterin schmunzelt: „Mal sehen, Kevin“, sagt sie mit einem Augenzwinkern, das bestimmt etwas zu bedeuten hat. Sie weiß, wie sehr die Kinder gemeinsame Wochenend-Ausflüge lieben. Aber das Budget dafür ist begrenzt.

Abendbrot wie in Familie

Stefanie Wolf lächelt. Kevin und die anderen wissen ja noch nichts von der Überraschung. Im Dezember werden sie alle gemeinsam mit den Eltern auf den Striezelmarkt nach Dresden fahren. Die Stiftung Lichtblick schenkt den Kindern diesen unbeschwerten Tag, den sie so wünschen.

Es ist Abendbrotzeit im Louisenstift. Heute gibt’s Obstsalat. Salate sind gerade der Hit in der Wohngruppe, und Kevin und Danny überbieten sich beim Apfelschnippeln. Der kleine Moritz hilft beim Tischdecken. Am großen Abendbrottisch sitzen sie dann alle zusammen – fast so wie in einer großen Familie. Sie unterhalten sich, wie der Tag war. Und auch wenn er nicht so gut war, wie bei Danny heute, dann wartet morgen ein neuer mit einer neuen Chance. Das vor allem wollen die Erzieher den Kindern hier ins Leben mitgeben. Später zur Schlafenszeit wird jedes mit seinem ganz persönlichen Abendritual ins Bett gebracht: mit einer Igelballmassage, einer Gute-Nacht-Geschichte, einem Schlaflied. Beinahe wie in einer richtigen Familie.

Die Namen der Kinder haben wir aus Gründen des Datenschutzes geändert.