Merken

Ein Zug in Blau und Orange

Die Betonwand vorm Gymnasium ist jetzt ein Hingucker. Mit einer ganz besonderen Botschaft.

Teilen
Folgen
© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Das muss ich mir doch mal genauer anschauen“, sagt ein älterer Herr mit Brille und bleibt vorm Haupteingang des Gymnasiums auf der Melanchthonstraße stehen. Er sei nicht unbedingt ein Fan dieser Kunst, der Graffiti. Doch das hier scheint ihm gekonnt gemacht. Alles andere als die Schmierereien, die an dieser Stelle früher mal zu sehen waren. Und über die er sich oft geärgert hat. Nicht als Einziger.

Denn die Sichtbetonwand, die den schrägen Behindertenaufgang zur Schule verkleidet, ist zuvor häufig Untergrund für nichtkünstlerische Äußerungen. Darunter unangenehme Sprüche, wie Kunstlehrerin Birgit Kunze vorsichtig formuliert. Die Stadt hat die Fläche dann immer wieder reinigen lassen. Bis eines Tages ein Brief im Gymnasium auftaucht mit der Frage, warum man das ertrage und nicht selbst etwas gestalte. Der entscheidende Anstoß.

Ein Jahr dauert es bis zur Umsetzung. Ein Wettbewerb soll klären, welches Motiv die Wand zieren soll. Ausgeschrieben ab Klasse acht, macht ein Siebtklässler das Rennen. Rafael Knappe – klarer Favorit der Jury, sagt die Kunstlehrerin. Von der technischen Seite her ein Talent und mit viel Wissen über die Materie. Seit drei Jahren beschäftigt er sich mit Graffitigestaltung im Dresdner Kulturzentrum Spike.

Wie er erläutert, stellt das dreiteilige Bild das Gymnasium mit seinen Profilen dar. Ein Chemiker verkörpert die Naturwissenschaften, die Europafahne steht für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, Noten für den künstlerischen. Die Schulfarben Blau und Orange dominieren. Und ein Zug rollt vorüber – für Rafael Knappe ein Symbol der Reise durchs Leben. Eine Reise mit dem Abschnitt Schule, eine Reise ins Unbekannte – was die Schienen andeuten: raus aus dem Bild, ins Endlose.

Mit klarem Ziel dagegen waren die Schüler des neuen Leistungskurses 11 des künstlerischen Profils angetreten. Eine Projektwoche ermöglichte es ihnen, Rafaels Entwurf umzusetzen. Weithin sichtbar nicht nur für die Mitschüler. Wobei die Gestalter erst in der zweiten Wochenhälfte auf die Wand losgelassen wurden, sich erst mal mit Graffiti vertraut machen mussten.

Natalie aus der 11 sagt, sie seien als Laien angetreten, lernten die Utensilien kennen und die Arbeitsschritte: Vormalen, ausmalen, dann noch mal umranden. Sie entwickelten Schriftzüge mit dem eigenen Namen, arbeiteten viel mit Stiften, später mit Dosen. Dabei standen ihnen Fachleute, Profi-Sprayer vom Jugendhaus Spike, zur Seite. Johann und Evolution Art haben ihnen das Metier nahe gebracht, sie bei dem großflächigen, komplexen Werk unterstützt. Fünf Tage lang ein schöner Job, sind sich die Beteiligten einig. Auch Rafael Knappe, obwohl er sich seit drei Jahren mit dieser Kunstart beschäftigt, auch im Workshop bei Spike.

Als sie vor Ort ans Werk gingen, standen die 18 Graffiti-Gestalter – Gymnasiasten, Spike-Experten und die fürs Organisatorische zuständige Kunstlehrerin – von Anfang an im Blick der Passanten. Zumal sie schon ein bisschen ungewöhnlich aussahen, mit ihren Masken vor Mund und Nase. Ein wichtiger Schutz, vor allem wegen der möglichen Langzeitfolgen, sagt Graffiti-Künstler Evolution Art. Masken, Dosen, Schuhschoner und Handschuhe gehören sozusagen zur Grundausstattung. Kein geringer Aufwand. Der Schulförderverein sorgte für Finanzierung, sagt Birgit Kunze.

Die sehr angetan davon ist, dass sich ihre Schüler bei dem Projekt so ins Zeug gelegt haben und am liebsten gleich weitermachen würden. Wo es doch im Gymnasium noch mehr graue Flächen gibt.