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Ein Weltbürger

Die Wurzeln von André Strobel liegen in Burkau. Der 29-Jährige ist aber viel unterwegs. Das prägt ihn.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

Burkau. Was André Strobel wichtig ist, trägt er als Tattoo auf seinem Körper. Kürzlich kam als siebentes eine Hummel dazu. Sie steht für seine Nichte, die alle in der Familie „Hummel“ nennen. „Meine Nichte ist vom Charakter so wie ich“, sagt der 29-Jährige. Auch für seinen verstorbenen Bruder Jens trägt André Strobel ein Tattoo. Gleich unter seinem Herzen. Von seinen fünf Geschwistern – vier Brüder und einer Schwester – war Jens wohl derjenige, der ihm am nächsten stand. Er starb in seinen Armen. Kurz vor seinem Tod versprach er ihm, sich für ihn die Welt anzuschauen. Der Burkauer lebt dieses Vermächtnis und fügt auf Nachfrage hinzu: „Ich würde aber wohl auch sonst reisen.“

André Strobel auf Reisen. Der 29-Jährige geht unbefangen auf Menschen in anderen Ländern zu und lebt mit ihnen ihren Alltag.
André Strobel auf Reisen. Der 29-Jährige geht unbefangen auf Menschen in anderen Ländern zu und lebt mit ihnen ihren Alltag. © privat

Eintauchen in fremden Alltag

André Strobel hat schon viele Länder gesehen. Nicht als gewöhnlicher Tourist, sondern als einer, der eintaucht in den Alltag anderer Länder. Der mit den Menschen dort lebt, mitunter auch dort arbeitet, um sich das Geld für die nächste Etappe seiner Reise zu verdienen. Nach dem Abi 2005 am Bischofswerdaer Gymnasiums ging er zunächst für knapp zwei Jahre als Au-pair in die USA. 2012 tourte er mit einer Freundin sechs Wochen durch Israel – ein faszinierendes Land, das ihn seitdem nicht mehr loslässt. André Strobel, der in Dresden Lehramt studiert, überlegt, ein Auslandssemester in Israel einzuschieben. Doch da ist auch die Liebe zu Australien. Acht Monate war er seit September 2015 dort unterwegs, reiste mit einem Visum „Work & Travel“ quer durch den Kontinent von der West- zur Ostküste. Er arbeitete in einer Rinderfarm – wie ein Cowboy und abgeschieden von der Welt; der nächste Hof war drei Autostunden entfernt. Später fand er Arbeit auf einer Milchkuhfarm, die deutsche Auswanderer vor 13 Jahren gegründet hatten. Einen Job zu bekommen, ist in Australien kein Problem, sagt André Strobel. Dank Smartphone und Internet kann man innerhalb weniger Tage eine Stelle in der Nähe finden, wo man gerade ist. Er kaufte sich ein Auto, war damit mobil. Und er verkaufte es, ehe er im Mai dieses Jahres nach Deutschland zurückkehrte.

Zur Hochzeit der Sandkastenfreundin nach Indien

Im August saß er dann schon wieder im Flugzeug. Seine „Burkauer Sandkasten-Freundin“ heiratete in Indien. Er war eingeladen – und kam. Wie natürlich auch die Familie der Braut, die gleich in der Burkauer Nachbarschaft wohnt. Einmal in Asien, reiste André Strobel weiter nach Vietnam, Myanmar und Thailand. Dort ließ er sich die Hummel tätowieren – Kunst am Körper. „Die Asiaten sind Meister darin“, schwärmt er. Acht Wochen, den August und September, hatte er sich für Asien Zeit genommen – und unterbrach den Trip nach einer spontanen Entscheidung. Von Südostasien aus flog er noch einmal für zehn Tage nach Australien.

André Strobel erzählt es, als wäre es das Normalste von der Welt. Er ist Weltbürger genug, um sich überall zu Hause zu fühlen. Im Moment hat er seinen Lebensmittelpunkt wieder in Deutschland. Er setzt an der Technischen Universität Dresden sein Pädagogik-Studium fort, möchte Gymnasiallehrer für Kunst und Englisch werden. 20 Stunden in der Woche arbeitet er darüber hinaus im Firnessstudio Sport Live Rammenau, managt dort die Anlage. Außerdem wird er zu Hause auf dem Hof der Familie in Burkau gebraucht. An den Wochenenden kellnert er im Café „Zur Lachtaube“, das seine Mutter Marika führt. Unter der Woche hilft er ihr, so wie seine Geschwister, bei Einkäufen und Vorbereitungen. Ein Tag könnte 48 Stunden haben. Auf die Frage, wann er eigentlich schläft, sagt er lachend: „Die Nächte sind kurz.“

Erfahrungen, die ein Leben lang prägen

André Strobel hat sein Studium mehrfach für seine Reisen unterbrochen. Ein schlechtes Gewissen hat er deswegen nicht. Er braucht es auch nicht zu haben, denn er sammelt Erfahrungen, die ihn ein Leben lang prägen werden. Er ist ein bemerkenswert offener Typ und spricht unbefangen übers Leben – und auch über den Tod, mit dem seine Familie immer wieder konfrontiert wurde. Der Tod der Großeltern, der frühe Tod des Vaters und des Bruders – mit solchen Erfahrungen denkt man anders über das Leben nach, ist sich bewusst, dass es endlich ist. Sicher auch ein Grund für den Burkauer, intensiv zu leben und seine Träume zu verwirklichen.

Mitbewerber hinter sich gelassen

Als Student liege er keinem auf der Tasche, betont André Strobel. Seiner Familie nicht. Und auch nicht dem Steuerzahler. Denn er bekommt kein Bafög. All die Jahre seit dem Abitur hat er immer gearbeitet. Nach seiner Rückkehr als Au-pair in den USA machte er seinen Zivildienst in der Behinderten-Werkstatt der Lebenshilfe Bischofswerda. Er jobbte als Kellner und Barkeeper unter anderem im Kulturhaus Bischofswerda und Sport Live Rammenau. Das ebnete ihm auch den Weg zur jetzigen Aufgabe als Anlagenleiter. Vor sechs Jahren schaffte es der hochgewachsene Mann mit dem markanten Gesicht ins Finale des Wettbewerbes „Face of 2010“. Etliche Mitbewerber ließ er hinter sich.

André Strobel sagt von sich selbst, er sei Künstler. Nicht nur weil er Kunst studiert. Er malt, zeichnet, schauspielert, schreibt Stücke, die auf dem Strobelschen Hof aufgeführt werden und dort viel Beifall finden. Seine Reisen schärfen den Blick auf Deutschland. Er war gerade in Australien, als in Dresden montags mehrere tausend Menschen zu Pegida liefen. „Man schaut anders auf Deutschland, wenn man im Ausland die Nachrichten verfolgt. Man schämt sich für Pegida und das deutsche Wutbürgervolk“, sagt er. Zugleich hilft die Weltsicht, eigene Ansprüche zu relativieren und Dinge, die für uns selbstverständlich sind, ganz anders wertzuschätzen. Zum Beispiel sauberes Trinkwasser. „Man wird sich bewusst, was für ein Schatz das ist“, sagt André Strobel.

Er kehrt immer wieder gern nach Burkau zu seiner Familie zurück, hat aber nie Heimweh. Seine Familie ist ihm wichtig, sagt André Strobel. Trotzdem denkt er auf Reisen nur selten an sie. „Ich weiß, dass sie da ist. Dass ich jederzeit zurückkehren kann. Dass ich hier ein Bett und was zu tun habe“, sagt er. Diese Gewissheit stärkt ihn auf seinen Reisen, gibt ihm Sicherheit.

Im Unterschied zu seinen Geschwistern, die in Burkau oder der näheren Umgebung leben, wird es ihn wieder fortziehen. Vielleicht noch während des Studiums, wenn er sich den Wunsch nach einem Auslandssemester in Israel erfüllen kann. Spätestens aber nach dem Studium. André Strobel kann sich vorstellen, später einmal in Australien als Englischlehrer zu arbeiten und dort Kinder der Aborigenes, der Ureinwohner des Kontinentes, zu unterrichten. „Eventuell bleibe ich auch für immer in Australien“, sagt er.