Von Annett Heyse
Freital. Der Revierförster kommt. Noch einmal schaut Holger Baumann auf die Fichte, ein gleichmäßig gewachsenes Prachtexemplar. Sie steht in der morgendlichen Kälte an der Straße von Kurort Hartha nach Dorfhain, Tau tropft von ihren Nadeln. „Es ist wirklich ein schöner Baum. Ich hoffe, er kommt heil an“, sagt Baumann und blickt zu den Spezialisten um Andreas Deppner, die gerade ihre Ausrüstung anlegen. Bergstiefel mit speziellen Spikes, Kletterausrüstung, Karabiner und Seile, Helm, Funkgerät. Es kann losgehen. Der Kran steht, der Tieflader ist bereit und die Dresdner warten auf ihren Weihnachtsbaum für den Striezelmarkt.
100 Jahre alte Fichte für den Striezelmarkt
Deppners Mann wird an den Kran gehängt und langsam nach oben gezogen. Kurz darauf baumelt er über der Spitze der Fichte, die schon am Nachmittag auf dem Dresdner Weihnachtsmarkt stehen soll. Der Kranführer lässt den Baumkletterer langsam herunter, der Mann taucht in die Baumspitze ein. Dann hängt ein Maßband bis zur Erde herunter. Andreas Deppner, der mit seiner Truppe eine Baumpflegefirma betreibt und seit 19 Jahren den Dresdner Striezelmarktbaum heranschafft und betreut, schaut auf die Zahlen. „31,2 Meter!“, ruft er. Die Zweige wackeln, der Baumkletterer legt jetzt die Seilsicherungen um den Baum. Schließlich soll die Fichte nicht gefällt, sondern gesägt und dann vorsichtig herausgehoben werden.
Der Holzfäller arbeitet sich nun langsam am Baum entlang nach unten. Gut zehn Meter über dem Boden sichert er sich und legt die Säge an. In dieser Höhe soll der Baum gekappt werden. Der Motor springt an, Späne wirbeln wie Schnee durch die kalte Morgenluft.
Kameras klicken, zwei Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung schauen zu. Dresdens Weihnachtsbaum ist eine wichtige Sache, nichts bewegt die Dresdner im Vorfeld des Striezelmarktes so sehr, wie die Frage, ob der Baum dieses Mal besonders schön ist. Vor einigen Jahren fiel ein Exemplar durch. „Hässlich!, Kahl!, Eine Blamage!“ titelten damals die Zeitungen. Seitdem achtet man im Marktamt besonders auf die Optik und führt übers Internet sogar öffentliche Abstimmungen durch. Der Baum aus dem Tharandter Wald wurde allerdings ohne eine vorherige Umfrage ausgewählt, der Sachsenforst hatte ihn angeboten.
Die Säge ist durch den kompletten Stamm durch. Langsam schwebt der Baum zur Seite. Nun kommt der schwierigste Teil. Das Team der Baumpflege Deppner muss die Fichte auf dem Tieflader ablegen, ohne großen Schaden anzurichten. Ganz langsam wird der Striezelmarktbaum abgesenkt, er neigt sich waagerecht. Der Kranführer arbeitet mit Fingerspitzengefühl, immerhin hängen 2,1 Tonnen am Haken. Ein paar Zweige überleben die Prozedur nicht und brechen ab. Schließlich liegt der Baum auf der Ladefläche. Nun ist Handarbeit angesagt. Die Baumpfleger holen Spanngurte hervor und beginnen, die ausladenden Zweige zusammenzuraffen. „Die Fuhre darf wegen der Brücken und Oberleitungen nur 4,45 Meter hoch und maximal 5,50 breit sein“, sagt Andreas Deppner. Gegen 10 Uhr ist der Weihnachtsbaum verpackt, langsam setzt sich der Tieflader in Bewegung. Über Tharandt, Grumbach und Kesselsdorf geht es nach Dresden.
Gegen Mittag steht der Baum mitten auf dem Altmarkt. Viele Dresdner schauen beim Aufbau zu, es gibt auch schon Bratwürste und Glühwein, die Stimmung ist gut, der Baum scheint zu gefallen.
Revierförster Baumann bleibt lieber in seinem Wald. Er geht zu dem Stumpf, hockt sich nieder, streicht mit der Hand die Späne von der Schnittfläche und beginnt, die Ringe zu zählen. „100 Jahre alt“, sagt er schließlich.