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„Ein stetes Suchen und Scheitern“

Stefan Wolfram ist neuer Oberspielleiter des Bautzener Theaters. Mit seiner ersten Inszenierung geht er ungewöhnliche Wege.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Die alte Platane im Garten des Bautzener Theaters begeistert Stefan Wolfram. Mitte des 17. Jahrhunderts kamen die ersten dieser Bäume mit ihrer markanten Rinde von England und Frankreich nach Deutschland. So viele Jahre trägt der Stamm sicher nicht seine Krone. Vielleicht stammt er aus der Zeit, wo die Sozietät zum Feiern einlud. Für Schauspieler sind die ausladenden Äste derzeit grüner Schattenspender. Denn Wolfram probt seine Inszenierung „Terror“ mit ihnen unter freiem Himmel. Diese Produktion ist sein Regie-Einstand als neuer Oberspielleiter.

Stefan Wolfram setzt sich. Nachher will er noch in die Stadt und dann nach Görlitz. Am dortigen Theater gastiert die Bautzener Bühne mit ihrer Erfolgskomödie „Die Nervensäge“. Diese Regiearbeit bringt den gebürtigen Plauener vor einem knappen Jahr erstmals an die Spree. „Damals habe ich ein Teil des Ensembles und das Haus kennengelernt. Es war eine schöne Zusammenarbeit. Das hat mir die Entscheidung, herzukommen, leicht gemacht“, sagt der ausgebildete Puppenspieler und Schauspieler.

Bei freien Theatergruppen mitgemacht

Seine ersten Schritte im Theater macht er in Leipzig. Neben seiner Tätigkeit als Medizintechniker am Forschungsinstitut für Biomedizin schnuppert er in freie Theatergruppen hinein. Dieser Zeit schließt sich die Ausbildung zum Puppenspieler an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin und von 1986 bis 1990 das Studium an der Rostocker Außenstelle der Schauspielschule an. „Theater ist für mich die Kunst, die einzig durch Darstellungskraft aus dem Nichts etwas erschaffen kann. Im Theater können wir Wirklichkeiten zusammenbringen und den Einzelnen sensibilisieren, die Sache von der anderen Seite zu betrachten“, sagt er über die Faszination seines Lieblingsorts.

Diese Theaterheimat hat Stefan Wolfram schon vielerorts gefunden. Die meisten Spuren hinterlässt er mit 20-jähriger Tätigkeit am Schauspielhaus seiner Heimatstadt. Zuerst arbeitet er am Vogtlandtheater als Schauspieler. Ende der 1990er-Jahre wechselt er vom Rampenlicht ins Dunkel der Regie. „Die Arbeit auf der Bühne ist ein stetes Suchen und Scheitern. Wer diesen Prozess nachvollziehen kann, hat eine bessere Verbindung zu den Schauspielern. Ich hoffe, dass ich mir dieses Empfinden bewahren kann“, sagt der 54-Jährige.

Auch das freiberufliche Leben genossen

Auch das ist Oberspielleiter-Aufgabe, wie Ansprechpartner für die Schauspieler zu sein. „Es ist toll, mit einem Ensemble kontinuierlich zu arbeiten, zusammen eine Begeisterung zu finden. Daraus wird die innere Stärke eines Theaters“, sagt der Neu-Bautzener. Dabei hat er auch das freiberufliche Leben ab 2011 genossen. Er arbeitet vor allem für Theater in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Unter anderem bringt er im Februar 2015 am Cottbuser Staatsschauspiel das hochgelobte Stück „Sonnenallee“ auf die Bühne. Für das Theater Chemnitz inszeniert er im vergangenen Jahr „Robin Hood“ unter freiem Himmel auf der Küchwaldbühne.

Nach diesen unsteten Jahren will Stefan Wolfram nun Wurzeln in Bautzen wie die Platane im Theatergarten schlagen. „Stadttheater sind regionale Zentren. Es bietet immer ein kollektives Erlebnis, etwas live mitzuerleben. Die Menschen sollten wieder vielmehr ins Theater gehen, in einer Zeit, wo sie das Leben nur noch posten“, sagt der Oberspielleiter. Ihn interessiert auch die sorbische Sprache und Kultur. Die „zweisprachige Region“ war für ihn nur abstrakt. „Doch dann bist Du da und unterhältst Dich mit Menschen auf Deutsch, die wenig später mit dem nächsten Gesprächspartner Sorbisch sprechen“, sagt er.

Stück wird im Gericht aufgeführt

Vorerst muss sich der Regisseur um „Terror“ kümmern. „Ich habe das Stück erst kürzlich am Dresdner Staatsschauspiel gesehen. Wenn man die Vorlage kennt, ist man auf die Umsetzung gespannt. Ich fand spannend, das Urteil zu fällen“, sagt Wolfram. Seine Version wird im Bautzener Schwurgerichtssaal zu sehen sein. Das Besondere am Werk von Ferdinand von Schirach aber ist, dass die Zuschauer Beteiligte eines Prozesses sind, bei dem sie am Ende über Schuld oder Unschuld des Angeklagten richten müssen. Verantworten muss sich ein Bundeswehrsoldat, weil er ein gekidnapptes Flugzeug mit 164 Passagieren abschießt, um ein voll besetztes Fußballstadion vor dem Terroranschlag zu retten.

Stefan Wolfram greift nach seiner Tasche. „Wir verfallen gern in Schwarz-Weiß-Denken, aber wie dieses Stück zeigt, können wir Fragen nicht mehr mit Gut oder Böse beantworten. Die Gesellschaft ist im Wandel. Terrorismus macht es uns nicht leicht, Werte aufrechtzuerhalten. Wichtig ist doch, im Gespräch zu bleiben“, sagt der Oberspielleiter ernst und verabschiedet sich nicht ohne Blick auf die Platane. Unter ihrem Blätterdach gehen in den kommenden Tagen die Proben zu „Terror“ weiter, zwei weitere Regiearbeiten folgen noch in der Spielzeit.