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Ein Spenderherz für die V 60

Die Ostsächsischen Eisenbahnfreunde Löbau pflanzen einen neuen Dieselmotor in ihre Lokomotive. Ein Risiko bleibt.

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© Rafael Sampredo

Von Markus van Appeldorn

Sanft, ganz sanft bringt der Autokran die vier Ketten am Lasthaken auf den Zug. Ein Helfer auf dem Waggon reckt den Daumen. Es kann losgehen. Sekunden später schwebt das 4,8 Tonnen schwere Spenderherz in der Luft. So gespannt wie die Ketten ist in diesem Moment auch Philipp Beckel, Vorstand bei den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden in Löbau. Über ein Jahr musste der Verein darauf warten, dass seine Diesellokomotive 105 015, die gute alte V 60, wieder in Fahrt kommt. Jetzt ist endlich wieder ein Dieselmotor drin.

Der Maschinenbau-Student Philipp Beckel ist Vorstand bei den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden in Löbau.
Der Maschinenbau-Student Philipp Beckel ist Vorstand bei den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden in Löbau. © Rafael Sampredo
Der 4,8 Tonnen schwere Zwölfzylinder schwebt in der Luft. Jetzt wird die Lokomotive darunter geschoben.
Der 4,8 Tonnen schwere Zwölfzylinder schwebt in der Luft. Jetzt wird die Lokomotive darunter geschoben. © Rafael Sampredo
Geschafft! Nach ein paar Minuten ist das neue Herz in den Maschinenraum eingepflanzt.
Geschafft! Nach ein paar Minuten ist das neue Herz in den Maschinenraum eingepflanzt. © Rafael Sampredo

„Der alte Motor war Schrott. Da gab es keine Rettung“, sagt Philipp Beckel der SZ bei der Aktion am Freitag am Depot der Eisenbahnfreunde am Löbauer Bahnhof. Langsam schiebt eine kleine Akku-Lok die entkernte 105 unter den schwebenden Motor. Langsam absenken, ganz langsam. Millimeter-Arbeit ist das, den Motor in die Lok zu heben. Wenn er irgendwo aneckt, wird alles noch teurer. Jetzt auf den letzten Zentimetern darf nichts mehr passieren.

Die Lokomotive ist wichtig zur Finanzierung der Vereinsarbeit. Außer für die vereinseigenen Sonderfahrten ist die Lokomotive noch mietweise im Güterverkehr oder vor Bauzügen unterwegs.

Um sie betriebsfähig zu halten, wendete der Verein erst 2013 weit über 100 000 Euro für die vorgeschriebene Hauptuntersuchung auf. Doch dann bahnte sich ein kapitaler Motorschaden an. „2015 haben wir festgestellt, dass Kühlwasser im Motor ist“, erzählt Beckel. Und mit einer bloßen Reparatur der Zylinderkopfdichtung war es leider nicht getan: „Beim Zerlegen des Motors haben wir gesehen, dass er Lochfraß im Kurbelgehäuse aufwies.“

Dieser Schaden rührt wahrscheinlich von der früheren Nutzung der Lokomotive bei einer Anschlussbahn. Die Deutsche Reichsbahn betrieb die ab 1955 beim Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg entwickelte Lokomotive in großer Zahl. Zum Korrosions-Schutz setzte die Reichsbahn dem Kühlwasser für den 12-Zylinder-Motor vom VEB Motorenwerk Johannisthal ein Additiv zu. „Bei Nebenbahnen hat man üblicherweise Kühlwasser ohne Zusätze verwendet“, erklärt Beckel. 40 Jahre später hat sich das für den Motor Baujahr 1974 in der Lokomotive der Eisenbahnfreunde gerächt.

Eine problematische Situation für die Eisenbahnfreunde. Denn der Ersatz an den 650-PS-Aggregaten ist rar. Die vielen Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn wurden seit den 90ern samt und sonders verschrottet. Nur einige Maschinen von ehemaligen Werksbahnen sind übrig geblieben. „Dankenswerterweise sind wir bei der Preßnitztalbahn in Jöhstadt im Erzgebirge fündig geworden“, sagt Beckel, „Die hatten eine Lok als Ersatzteilspender. Da war noch der Originalmotor drin.“

Das richtige Aggregat, aber dennoch ein Risikokauf. „Der Motor ist bereits Baujahr 1965“, sagt Beckel, „und leider fehlt das Motorstammheft.“ Deshalb wissen die Eisenbahnfreunde nichts über Laufleistung oder Betriebsstunden des Motors. Philipp Beckel hat den Motor auch noch nicht laufen hören. Am 24. März schließlich kam der Motor bei den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden an. Der Beginn einer monatelangen Total-Operation.

„Wir haben den Motor in unserem Lokschuppen komplett zerlegt“, erzählt Philipp Beckel. Er studiert in Zittau Maschinenbau. Da sieht er so eine Arbeit auch als willkommenes Praktikum. Erste Diagnose: „Der Motor war deutlich besser in Schuss als der alte“, sagt Beckel. Die Eisenbahnfreunde haben Dichtungen und Kolbenringe getauscht, Zylinderköpfe gereinigt, Laufbuchsen in das Kurbelgehäuse eingeschliffen, Pleuelstangen gecheckt – so eine Maschine in all ihre Innereien zu zerlegen und wieder zusammenzubauen, das ist schon ein halbes Studium.

Wenn die Lok schon nicht fahren konnte, wollten die Eisenbahnfreunde die Situation wenigstens zum Großreinemachen nutzen. Sie brachten den leeren Motorraum mit einem neuen Anstrich wieder auf Hochglanz. Auch die beiden Elektromotoren zur Versorgung der Bord-Elektrik ließen sie bei der Gelegenheit checken und instand setzen.

Als der neue Motor auf seinem Sockel im Motorraum aufsetzt, weicht die Spannung von Philipp Beckel und seinen Vereinsfreunden. Der Kranführer hat seinen Job mit höchster Präzision erledigt. Jetzt müssen die Eisenbahnfreunde den Motor nur noch befestigen und mit allen Leitungen und Nebenaggregaten verbinden. Wird er anspringen? „Es würde mich schon sehr wundern wenn nicht,“ sagt Beckel.