Merken

Ein Sitzungs-Marathon

Prozesse dauern immer länger, Verfahren werden aufwendiger – da kann selbst der Urlaub zum Problem werden.

Teilen
Folgen
© Alexander Schneider

Von Alexander Schneider

Dresden. Wann hat es das schon einmal gegeben? Joachim Kubista, der Vorsitzende Richter der dritten Strafkammer am Landgericht Dresden, hat am Freitag drei Prozesse geleitet. Der Grund für die ungewöhnliche Betriebsamkeit ist verständlich. Auch Richter müssen mal Urlaub machen. Da Strafprozesse nur maximal drei Wochen unterbrochen werden dürfen, sind Pragmatismus und Fantasie gefragt. Alle drei Hauptverhandlungen werden daher zum letzten möglichen Termin fortgesetzt: am Montag, dem 7. August.

Birgit Wiegand, Richterin im Ruhestand
Birgit Wiegand, Richterin im Ruhestand © Alexander Schneider

Es ist inzwischen zu einem kleinen Kunststück geworden, mit mehreren Prozessbeteiligten – vor allem Verteidigern, Nebenklage-Vertretern und Gutachtern – längere Prozesse durchzuplanen. Richterin Beate Ibler-Streetz etwa musste einmal ihren Urlaub in Spanien unterbrechen, damit ein Prozess nicht platzte. Morgens flog sie von Barcelona nach Dresden und abends nach dem Sitzungstag wieder zurück. Am Amtsgericht verzichtete erst am Montag eine Schöffin auf einen Urlaubstag, um einen Prozess zu retten.

Hauptverhandlungen werden immer länger und aufwendiger, was die Gerichte zusätzlich belastet. Erst kürzlich hat das Landgericht eine Hilfskammer eingerichtet, weil mehrere dringende Großverfahren anstehen, dringend, weil die Angeklagten in Untersuchungshaft sitzen und der Freiheitsentzug Staatsanwaltschaft und Gerichte zusätzlich unter Druck setzt.

„Ich hätte gerne noch ein paar Jahre gearbeitet“, sagte Birgit Wiegand, die langjährige Vorsitzende des Schwurgerichts bei ihrer Pensionierung. „Aber Richter in Sachsen dürfen das nicht“. Früher oder später jedoch wird sich die Justiz etwas einfallen lassen müssen, wenn die Pensionierungswelle hereinschwappt. „Für mich ist es dann aber zu spät“, sagte Wiegand.

Die aktuellen Prozesse der dritten Strafkammer haben es in sich. Um 9 Uhr begann der freitägliche Sitzungs-Marathon mit der Verhandlung gegen zwei Ermittler von Verfassungsschutz und Polizei. Sie wurden im Oktober 2010 angeklagt – erst seit Mai 2017 läuft der Prozess um Vorwürfe, die unter dem Schlagwort „Sachsensumpf“ bekannt sind (siehe Sachsen).

Um 10.30 Uhr der nächste Fall. Ein Rumäne soll zu einer Bande gehören, die im großen Stil an Geldautomaten Daten ausgespäht hat. Mit EC-Karten-Doubletten wurde im September 2011 in Argentinien eine Viertelmillion Euro abgehoben. Skimming nennt die Polizei diese Masche. Der 38-jährige Angeklagte wurde bereits im September 2016 am Landgericht Dresden zu fünf Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt – als mutmaßlicher Drahtzieher der Gruppe. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf und verwies die Sache ans Landgericht zurück. Es ist ein ungewöhnlicher Fall, denn das Urteil war Ergebnis einer Verfahrensverständigung – milde Strafe gegen umfassendes Geständnis.

Die Kammer hatte jedoch beim Vereinbaren dieses Deals nicht richtig belehrt – kleiner Fehler – große Wirkung. Seit Juni verhandelt die Kubista-Kammer neu. Einen Deal gibt es nicht mehr, der Angeklagte schweigt – und wichtige Zeugen, Mittäter, sind längst wieder in Freiheit und können in Rumänien nicht mehr geladen werden. Daher musste nun die pensionierte Richterin Wiegand als Zeugin aus ihrer Heimat Baden-Württemberg anreisen. Sie berichtete, was damals Zeugen ausgesagt hatten.

Um 14 Uhr schließlich wurde der Prozess gegen zwei Mitglieder der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) fortgesetzt. Auch dieses Verfahren ist aus dem Ruder gelaufen. Die Angeklagten hatten Geständnisse angekündigt, was einen vergleichsweise kurzen Prozess erwarten ließ. Dann brauchten die Angeklagten für ihre Geständnisse allein drei Tage – aus sechs Sitzungstagen wurden zunächst elf. Weil am Freitag ein Zeuge nicht erschien, war die Sache nach einer Dreiviertelstunde beendet – endlich Urlaub.