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Ein Schaufenster fürs Schlafzimmer

Möbel aus Heidenau gehen in die ganze Welt. Das 120 Jahre alte Werk präsentiert sich auf dem Branchentreff in Köln.

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© Ronald Bonß

Von Michael Rothe

Maik Hippel, Chef des Möbelwerks Heidenau, hat dieser Tage noch mehr als sonst um die Ohren. Es ist Möbelmesse in Köln, einer der weltweit wichtigsten Branchentreffs. Da müssen sich Besucher des Werks schon mal gedulden. Im Vorzimmer finden sie Zeitvertreib: ein Büchlein über die 120-jährige Firmengeschichte und ein dickes Kompendium zur Tradition der Möbelbranche in Sachsen. Sein Titel „Möbel für alle“ ist für die Heidenauer Programm.

Die Rand-Dresdner fertigen in Serie Schlafzimmer als zerlegte Mitnahmemöbel: Betten, Schränke und Kommoden aus folierten Spanplatten – rund 450 verschiedene Artikel in zig Farb- und Typvarianten. Einstiegspreis: 800 Euro. Durch die geprägte Dekorfolie können Laien die Teile kaum noch von Furnier unterscheiden. Abnehmer sind Händler wie Roller, Skonto, Boss, Mahler, Höffner und zunehmend Internetportale. „Man darf sich dem Netz nicht verschließen“, sagt Chef Hippel. Mit dem Otto-Versand seien für manche Produkte Kurzlieferzeiten vereinbart: zehn bis 15 Tage von der Bestellung bis zur Auslieferung.

Die Modelle der Heidenauer heißen Ilona, Pamela, New York oder Chicago, eins auch Lotto. Laut der Firmenchronik glichen Erfolge und Überleben zeitweise tatsächlich einem Glücksspiel: Von der Gründung als Eisenwarenfabrik über Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg, Spezialisierung auf Schlafraummöbel in der DDR, unsichere Treuhandzeit mit Entlassungen nach der Wende, Werksverkauf, Umstrukturierung und Jahrhundertflut der Müglitz 2002 bis hin zur Standorterweiterung.

„Als Teil des Möbelkombinats Hellerau waren wir Ende der 80er-Jahre reiner Exportbetrieb für England“, erzählt der Werkleiter. Heute erwirtschafteten 145 Mitarbeiter, darunter 14 Lehrlinge, 36 Millionen Euro Jahresumsatz, gehen die Schlafzimmer in über 50 Länder – vor allem in die Niederlande, nach Großbritannien, Frankreich und auf den Balkan.

Die Heidenauer machen etwa ein Drittel ihres Geschäfts mit dem Ausland. Einige Abnehmer trifft der Chef auf der Kölner Messe. Dort stellen die Schlafzimmer-Hersteller unter den Labeln „Wimex“ und „Fresh to go“  aus – auf dem Stand des Wiemann-Konzerns mit Sitz in Georgsmarienhütte, dem das Werk seit 1992 gehört.

In dieser Woche präsentieren sich am Rhein über 1 200 Aussteller aus gut 50 Ländern, darunter Vertreter der kleinen aber feinen Branche in Sachsen – wie der Polstermöbelhersteller Oelsa in Rabenau und der Ikea-Lieferant Maja in Wittichenau.

Die Heidenauer Schlafzimmer-Produzenten sind seit 1992 dabei. „Diesmal stellen wir mit einer Kombination aus Schwebetüren und Außenschubkästen eine Innovation vor“, sagt Werkleiter Hippel. Ferner seien eine neuartige Bettanlage mit LED-Beleuchtungspaneelen und ein Planungsprogramm im Bettbrückenbau zu sehen.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar TNS verbinden zwar vier von fünf Befragten mit deutscher Produktion hohe Qualität, doch nur gut die Hälfte akzeptiere dafür einen Aufpreis. „Wegen der Grundsensibilität für heimische Möbel sollten Handel und Industrie partnerschaftlich an neuen Konzepten arbeiten, um das enorme Absatzpotenzial, das im Qualitätsversprechen ,Made in Germany’ liegt, stärker auszuschöpfen“, sagt Axel Schramm, Präsident des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen Produzenten und Händlern angespannt. Die Hersteller leiden unter dem Preisdruck großer Einkaufsverbände wie Begros, VME/Union und Giga. Die mächtige österreichische Möbelhauskette XXXLutz hatte Empörung ausgelöst, als sie nach Übernahme des Wolfsburger Konkurrenten Buhl von dessen Lieferanten sogar „Hochzeitsrabatte“ verlangte und sie erst nach Intervention des Bundeskartellamts zurückzog.

Handel und Industrie beklagen eine Kaufzurückhaltung der Deutschen. Ein Grund sei der rückläufige Wohnungsbau. Jedoch werde die Inlandsschwäche durch wachsende Auslandsnachfrage kompensiert, heißt es vom Branchenverband VDM. Der Umsatz liege stabil bei 18 Milliarden Euro, die Exportquote habe 2017 mit gut 32 Prozent einen neuen Rekord erreicht.

Zuletzt erschütterten die Pleite des Küchenbauers Alno und der Bilanzskandal des Ikea-Rivalen Steinhoff die Branche. Er berührt auch die Heidenauer Möbelwerker, beliefern sie doch unter anderen den Möbel-Discounter Poco, der zur Hälfte Steinhoff gehört. Nach Vorwürfen der Bilanzfälschung hatte der Konzern mit Sitz in Amsterdam mit 13 Milliarden Euro gut 90 Prozent seines Börsenwerts verloren.

Hippel bleibt gelassen. Der 52-Jährige, der 1981 als Lehrling im Werk begonnen hatte, sorgt sich mehr wegen der Billigkonkurrenz aus Polen. „Dort gab es gigantische Investitionen auf der grünen Wiese, teils mit 70-prozentiger EU-Förderung“, sagt er. Noch sei die auftragsbezogene Fertigung ein Wettbewerbsvorteil der Ostsachsen, „aber sehr anstrengend“.

Die Heidenauer werben mit „Made in Germany“. Hippel verantwortet die Tarifkommission des regionalen Branchenverbands, zahlt selbst Einstiegslöhne von 11,46 Euro, dazu Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Dennoch sucht auch das Möbelwerk händeringend Fachkräfte und Lehrlinge. Schließlich wollen die Heidenauer expandieren. Im vergangenen Jahr hatte Hippel den einstigen Praktiker-Baumarkt zurückgekauft. Die Nachbarimmobilie hatte 2015/16 Flüchtlinge beherbergt und war auch Schauplatz gewalttätiger Proteste. Auf dem Gelände sollen ein Lager- und Logistikzentrum entstehen und durch die Verlagerung neue Produktionskapazitäten. Die Zeichen stehen auf Wachstum. „Im vergangenen Jahr haben wir fast 1,7 Millionen Möbelpakete gepackt“, berichtet er stolz.

Nach der Messe ist vor der Messe: Zwei Wochen nach dem Kölner Schaufenster starten in Bad Salzuflen Partnertage Ostwestfalen. „Diese Ordermesse konzentriert sich aufs Inland und ist so fast noch wichtiger“, sagt Hippel. Doch schon am kommenden Wochenende heißt es, vor der Haustür Flagge zu zeigen: auf der Job- und Gründermesse „Karrierestart“ in Dresden. Auch dort geht es um die Zukunft des Werks.