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Ein Radebeuler und die Vorfahren von Lego und Playmobil

Martin Leesch sammelt und bemalt Zinnfiguren. Dafür taucht er tief in die Geschichte ein und recherchiert kleinste Details.

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© Arvid Müller

Von Ulrike Keller

Radebeul. Im Handumdrehen verwandelt sich ein kleiner Stubentisch in einen verschneiten Landstrich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Soldaten versuchen, reitend, auf Gespannen, Fahrrädern und Schlitten vorwärts zu kommen. Ein Teil kämpft an veralteten Maschinengewehren auf einem Dreibein. An einer Ruine ist die Feldküche aufgebaut. Militärkraftwagen und Panzer rollen an.

Auf diesen Zentimetern tobt – in Zinn gegossen – der russisch-finnische Winterkrieg 1939/40. „Diesen Krieg haben heute alle vergessen“, sagt Martin Leesch. „Die Russen sind einfach mal in Finnland einmarschiert. Durch den Hitler-Stalin-Pakt hatten sie nichts zu befürchten.“

Der Radebeuler sammelt Zinnfiguren. Diesen Figurensatz hat eine Nürnberger Firma bereits 1939 herausgebracht. Vor Kurzem sind die Ursprungsformen – die gravierten Negative – wieder aufgetaucht. Eine Serie in kleiner Auflage wurde daraus gegossen. Martin Leesch konnte eine ergattern. Doch alle neuen Stücke gibt es nur noch metallisch blank zu kaufen. „Das hält den Preis konstant“, erklärt er.

Deshalb hat der Tischlermeister selbst zum Pinsel gegriffen. Und sie so bemalt, dass die flachen Miniaturfiguren mit Schnee, Licht und Schatten plastisch wirken. Genauso wichtig ist ihm aber, dass alle Details der damaligen Wirklichkeit entsprechen. Darum wälzte er wieder ausgiebig Bücher, um herauszufinden: Wie hat alles ausgesehen? Die finnischen Panzer etwa gestaltete er als französische. „Die hatten die Finnen noch vom Ersten Weltkrieg da“, berichtet er. Anders sehen die russischen aus. „Wenn ich die bemale, müssen alle Ecken rosten“, erzählt er und lacht.

Die Leidenschaft für Zinnfiguren begleitet den 54-Jährigen seit der Jugend. Damals begann er, alte Figuren mit Schellack zu restaurieren. 1973 trat er dem Verein Klio bei, benannt nach der Göttin der Geschichtsschreibung. Inzwischen leitet er diese Organisation, der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren angehören. Am 11. Oktober feiert der Verein im Stadtmuseum Dresden in geschlossenem Rahmen 90-jähriges Bestehen.

So lang die Tradition dieser Liebhaberei schon zurückreicht – die Zukunft scheint eher ungewiss. Denn der Altersdurchschnitt im Verein liegt bereits bei 60. „Wir möchten junge Leute für Zinnfiguren begeistern, damit sie das Hobby fortsetzen“, sagt Martin Leesch. „Sonst besteht die Gefahr, dass der Großvater von Lego und Playmobil ausstirbt.“

Seine erwachsenen Kinder sammeln nicht, können sich aber – ebenso wie seine Frau – mit ihm an der Welt der Zinnfiguren erfreuen. „Meine Töchter haben dadurch Geschichte quasi nebenbei gelernt“, erzählt er. Doch ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass sich Zinnfiguren nur auf militärische Ereignisse beziehen. „Es gibt alles, auch Dinosaurier“, weiß er. Das Paradies mit Adam und Eva hat er im Schrankfach stehen. Die Kara-Ben-Nemsi-Serie nach Karl May ruht im Original-Pappschächtelchen.

Und gerade hat Martin Leesch ein neues Sammelgebiet für sich entdeckt: Kleine Zinn-Gäule auf Federn. Damit spielten Kinder um 1900 Pferderennen. Auch in Radebeul.

Der Verein Klio trifft sich jeden letzten Mittwoch im Monat ab 17 Uhr in der Dresdner Gaststätte „Zum Schießhaus“. Interessierte können gern vorbeischauen. Mitglieder bringen Zinnfiguren mit. Es wird ein Vortrag gehalten.