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Ein Platz an der Sonne

Die Thusts sind seit 60 Jahren verheiratet und zogen nun nach Heidenau. Die Feier ist eine Überraschung. Für einen Gast.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Sie haben dem Aberglauben eins ausgewischt. Von wegen vorher feiern bringt Unglück. Naja, richtig gefeiert haben sie ja am Sonnabend nicht, nur die Familie war zusammen. Das hat sich so ergeben. Nächsten Sonnabend gibt es in der Familie eine Grüne Hochzeit zu feiern, also eine Trauung. Da haben die Thust mit ihren 60 Jahren Ehe-Erfahrung gern zurückgesteckt. Ihr eigentlicher Tag ist der 22. August. Für den haben sich ihre Kinder noch was einfallen lassen. Am Mittwoch wird dann im Johanniter-Zentrum in Heidenau gefeiert.

Hierher zogen die beiden 81-Jährigen erst vor einem Vierteljahr. Es fiel ihnen nicht leicht, ihr kleines Haus mit dem großen Garten in Grauschwitz bei Cottbus nach 40 Jahren zu verlassen. „Der Garten war mein Fitnessraum und meine Apotheke“, sagt Helga Thust. Sie suchten etwas, wo sie selbstständig sein können und im Notfall doch jemand da ist. In Görlitz schauten sie sich eine Bleibe an, das war’s nicht. Dann sagte der in Dohna wohnende Sohn: Fünf Minuten von mir wird grad das gebaut, was ihr sucht. Sie kamen zum Tag der offenen Tür, da gab es eine kostenlose Bratwurst und Jürgen Thust sagte: Da bleiben wir. Dennoch dauerte es noch eine Weile, weil sie sich nicht so schnell entscheiden konnten und dann erst wieder eine Wohnung frei werden musste.

Bisher hat fast nur sie geredet. „Mein Mann wollte auch was sagen“, sagt sie und er: „Ich kann nämlich auch reden.“ Die Waschmaschine pfeift. „Machst Du mal bitte auf“, sagt Helga zu Jürgen. Die beiden studierten Lehrer haben einen schönen Humor und fühlen sich wohl. Sohn und Tochter mit ihren Familien halfen beim Umzug. Einen Mini-Garten haben sie auch, auf dem Balkon. Zwischendrin die Keramik-Katzen von Helga Thust. Der Umzug hat noch einen Vorteil: „Ich muss nicht mehr Unkraut jäten.“ Der Platz auf dem Balkon ist ihr Platz an der Sonne, den hatten sie sehr oft im Leben. Dafür sind sie dankbar.

Sie haben ihre Selbstständigkeit, aber auch ihr Programm. Freitags zum Beispiel, da ist 10 Uhr Sport. Sie müssen zwar nicht, aber wenn sie mal fehlen, fragt die 95-jährige Nachbarin, was denn los war. Als sie einzogen, stellte sich ein Mitbewohner bei Jürgen Thust vor. „Ich bin der Manfred, und wie heißt du?“ Die Thusts nutzen die Angebote des Hauses, unternehmen aber auch noch viel mit dem Auto, bauen sich ihren neuen Kreis von Kontakten auf. Dafür ist es nie zu spät. Es ist ihnen wichtig, dass sie das noch können.

Später einmal

Helga und Jürgen Thust haben beide ihre Väter im Krieg verloren. „Das ist unser Schicksal.“ Er stammt aus Markkleeberg bei Leipzig, sie als Schlesien. Ihre Mutter floh mit sieben Kindern. Sie landeten in Lübz in Mecklenburg. „Dort, wo das Bier gemacht wird.“ Die Liebe zum „wunderschönen Schlesien“ ist geblieben. Zum 80. Geburtstag wurde die ganze Gästegesellschaft im Bus dorthin gefahren.

Kennengelernt haben sich Helga und Jürgen beim Lehrerstudium in Potsdam. Er unterrichte danach Geschichte, sie Biologie. Nach dem Studium wurden sie nach Grauschwitz in die neue Schule geschickt. Sie freuten sich drauf, war das doch in der Nähe ihres geliebten Spreewaldes. Gegenüber der Schule gab es das Säuglingsheim für ihr Kind, und gewohnt haben sie im Arztzimmer der Schule, weil es noch keine Wohnung gab. Möbel oder viele andere Sachen hatten sie nicht, nur einen Kinderwagen und vier, fünf Pakete Bücher. Helga Thust war 30 Jahre an dieser Schule. „Jeder Bürgermeister, jeder Werkleiter und Arzt im Ort war mein Schüler.“ Sie hat das alles und die Familiengeschichte aufgeschrieben. „Aber das interessiert ja niemanden, aber später vielleicht mal.“ Jetzt muss sie erst einmal die Wäsche aufhängen.

Die nächste Jubiläums-Hochzeit bei Thusts ist in fünf Jahren die Eiserne. „Das machen wir mit links“, sagt Jürgen Thust. Helga Thust muss sich erst mal ausruhen nach der ganzen Aufregung, die sie eigentlich gar nicht wollte.

Die Thusts sind damit nicht allein. In Heidenau feiern in diesem Jahr 94 Paare ihr 60. oder höheres Ehejubiläum. Der „Rekord“ ist ein 73. Hochzeitstag. Zum Hochzeitstag der Thusts am Dienstag kommt neben den Kindern nur eine Freundin, die gar nicht weiß, dass die beiden da ihre Diamantene Hochzeit feiern. Sie besucht sie ab und zu und konnte nur am Dienstag … Wahrscheinlich wird es nicht die einzige Überraschung an diesem Tag …