Merken

Ein Pirnaer ist dann mal weg

Marcus Schubert pilgert auf dem Jakobsweg. Dort trifft er viele Menschen und kommt zu einer wichtigen Erkenntnis.

Teilen
Folgen
© privat

Von Mareike Huisinga

Pirna. Von Barcelona geht es in Richtung Osten. Erste Gewitterwolken ziehen auf. Am Strand zwischen den Felsen spannt Marcus Schubert seine Hängematte. Doch dann wird das Grollen stärker. Also schaut sich der Pirnaer um und findet Unterschlupf unter einer Brücke. Er legt die Hängematte als Bett auf dem Boden und zieht zur Sicherheit noch einen kleinen Abflussgraben drum herum. Eine sinnlose Maßnahme, wie sich gleich herausstellen soll. Es ist zwei Uhr nachts. Blitze zucken und das Donnern rückt näher heran. Sturzregen ergießt sich auf die Landschaft.

Die Jakobsmuschel weist Marcus Schubert den Weg. Der 38-Jährige ist sieben Monate lang auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen.
Die Jakobsmuschel weist Marcus Schubert den Weg. Der 38-Jährige ist sieben Monate lang auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen. © privat

Zunächst läuft das Wasser spärlich in Richtung der Bettstatt von Marcus Schubert. Schnell packt er seine Habseligkeiten zusammen und rettet sich auf einen Felsen. Kurze Zeit später entwickelt sich das Wasser zu einem reißenden Strom, sofort reicht es ihm bis zu den Hüften. Schubert versucht, sich an dem Felsen festzuhalten. Keine Chance. Das Wasser steigt. Seine Angst auch. Dann fasst er einen Entschluss. Er springt mit seinem Gepäck ins Nass und kann sich zur sicheren Böschung auf die andere Seite retten.

Schließlich findet er am Strand einen Tisch, unter den er sich legen kann. Am nächsten Tag scheint die Sonne, alles trocknet. Zuversichtlich setzt der Pirnaer seinen Weg fort.

Dieses Ereignis auf der langen Wanderung den Jakobsweg entlang ist ein Schlüsselerlebnis für Marcus Schubert. „Ich habe festgestellt, dass es keine planbare Sicherheit gibt. Man kann noch so viele Vorkehrungen treffen, es kommt manchmal anders“, sagt der 38-Jährige. Die Erkenntnis ist für ihn nicht negativ. Im Gegenteil. „Wenn mein Leben durch Angst und Furcht bestimmt ist, dass ich etwas verlieren könnte, dann geht mir Lebensqualität verloren. Ich stelle fest, dass Verlust zum Leben gehört und kann damit umgehen. Dieses Wissen verschafft mir Freiheit.“

Fast sieben Monate unterwegs

Dabei brach Marcus Schubert am 5. April dieses Jahres nicht auf, um zu sich selbst zu finden, was das Ziel viele Pilger ist. „Ich hatte mich vorher während eines Urlaubs im Allgäu mit einer Bekannten zum Wandern verabredet und festgestellt, dass es mir einfach gut tut“, sagt Schubert schlicht.

Mit Rucksack, Isomatte und Schlafsack macht er sich auf seinen Weg, der ihn durch Deutschland, die Schweiz, Frankreich, Spanien und Portugal führt. Vorher hatte er seine Jobs bei der evangelischen Landeskirche Sachsen und bei einem Schulverein gekündigt.

Insgesamt läuft er 3 500 Kilometer. Pro Tag schafft er 30 bis 50. Insgesamt wird Marcus Schubert gut sieben Monate unterwegs sein. Keine Schmerzen zu haben ist die Ausnahme. Meistens tun seine Füße weh. Schubert muss lächeln. Das soll keine Klage sein. Manchmal schläft er unter Brücken, am Strand, im Wald, in einfachen Herbergen, oft bei Fremden, die Freunde werden.

Noch gut erinnert er sich an eine Begegnung im Süden von Deutschland. Schubert betritt eine Metzgerei und bittet als Pilger um Essen. Ohne Erfolg. Dafür laden ihn andere Kunden spontan zu einem Würstchen mit Brot ein. Das Pärchen nimmt Marcus Schubert mit zu sich nach Hause, wo er übernachten darf. Bevor alle zu Bett gehen, unterhält man sich lange und intensiv. „Der Kontakt besteht bis heute, und das Paar hat sich als Pilgereltern offiziell registrieren lassen, sodass Pilger in der Region bei ihnen Unterschlupf finden“, berichtet Marcus Schubert. „Überhaupt habe ich viele tolle Menschen getroffen“, resümiert er. Oftmals werden sie auch seine guten Weggefährten für eine Teilstrecke.

Die große Freiheit, die er dabei erlebt, ist für ihn beeindruckend. Ebenso die Landschaft, der wilde Atlantik, die grüne Flächen im spanischen Asturien, das Kap Finisterre westlich von Santiago de Compostela, das als eigentliches Ende des Jakobsweges gilt. Marcus Schubert wandert weiter durch Portugal, zweigt dann in Richtung Mittelmeer ab. Seine Tour endet erst in Girona bei Barcelona.

Sieben Monate so einfach mal weg zu sein, stößt nicht bei allen Angehörigen auf Verständnis. Anders bei Marcus Schubert. „Meine Familie hat mich sehr unterstützt.“ Im Vorfeld ist Marcus Schubert mit seiner Frau Kerstin in Sachsen einen Abschnitt des Jakobsweges probegelaufen. Er selber hat sich unter anderem im Fitnessstudio auf die Anstrengungen der Wanderung vorbereitet. Und die nächste Pilgertour? Marcus Schubert schmunzelt. „Jetzt ist erst mal wieder Job angesagt.“ Im Moment arbeitet er bei der Schlossbrauerei Weesenstein. Trotzdem wird er bald wieder reisen. Diesmal, um seine vielen Freunde zu besuchen, die er unterwegs auf dem Jakobsweg gefunden hat. Diese Reisen werden ihn in die ganze Welt führen.