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Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellen Themen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht des Autors Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.Heute: Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbeseitz in Berlin, erörtert am Beispiel der Berliner Schlosses, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielvorstellungen der Wiederaufbau historischer Gebäude sinnvoll ist.

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Von Hermann Parzinger



Schlossdebatten - Nutzungskonzepte und ihre Folgen zwischen Geschichtsbezogenheit und Zukunftsvision

Viele große Museen von nationalem und internationalem Rang rüsten sich für das 21. Jahrhundert, um auf die künftigen Herausforderungen angemessen vorbereitet zu sein. Die Strategie scheint man dabei vielfach in einer Verbindung von kulturellem Erbe und historischen Beständen einerseits und symbolkräftigen, zukunftsweisenden Konzepten andererseits zu suchen. Dies kann nicht ohne große architektonische Erweiterungen gelingen, und entsprechend großzügige und bisweilen auch kühne Baumaßnahmen sind in vielen europäischen Metropolen in Planung, in der Umsetzung begriffen oder teilweise sogar schon abgeschlossen. Dies gilt für Paris, St. Petersburg, Moskau, Kopenhagen, Madrid usw., aber es gilt auch für Berlin, und es gilt für Dresden.

Die inhaltlichen Konzepte, die damit verbunden werden, sind Zukunftsvisionen. Wie weit diese Visionen jedoch gehen können oder gehen dürfen, hängt von der jeweiligen Einzelsituation ab, denn jede konkrete Realisierung muss sich an zwei entscheidenden Voraussetzungen orientieren: der vorhandenen Ausgangsbasis und den zugestandenen Gestaltungsmöglichkeiten.

Doch so sehr bei all diesen Diskussionen um den Inhalt die Zukunftsfähigkeit beschworen wird, so sehr fällt doch auf, dass es dabei immer auch um den Umgang mit historischer Bausubstanz und die Frage von Rekonstruktion oder Teilrekonstruktion geht, nicht nur in Berlin und nicht nur in Dresden, und Schlösser spielen dabei eine ganz besondere Rolle. Irgendwie stehen wir zwischen einer allfällig starken Geschichtsbezogenheit einerseits und dem Wunsch nach großartigen Zukunftsvisionen andererseits.

Ich bin überzeugt, dass dies kein grundsätzlicher Widerspruch zu sein braucht, selbst wenn es so scheint. Ebenso sicher bin ich mir aber auch, dass Projekte mit solchen Rahmenbedingungen unter besonderer Beobachtung stehen, weil ein Erfolg auf den ersten Blick greifbarer zu sein scheint, wenn Inneres und Äußeres, wenn Inhalt und architektonische Hülle auf ein und dieselbe Idee hinarbeiten und dabei verschmelzen können. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, und - blickt man sich einmal um - die Zahl solcher Beispiele ist größer als man denkt, so hängt der Erfolg ganz entscheidend von der Schlüssigkeit des jeweiligen Nutzungskonzepts ab, von einem Konzept, das den scheinbaren Widerspruch zwischen Geschichtsbezogenheit und Zukunftsvision überzeugend zu überbrücken vermag. Dafür gibt es gelungene, aber auch missratene Beispiele. Entscheidend für das Gelingen ist, dass sich ein solches Konzept frei von öffentlichen und politischen Erwartungshaltungen gestalten und entfalten kann.

Zur Geschichte des Rekonstruierens

Wiederaufbau und Rekonstruktion waren schon in der Antike geläufig und meist religiös motiviert. Als wichtig erachtete man dabei in erster Linie die Funktion und den Ort eines Gebäudes, während die Substanz und deren Aura als nachrangig angesehen wurden. Kopie, Entlehnung, Zitat und Plagiat waren seit jeher legitime künstlerische Ausdrucksformen. Doch nicht nur die Rekonstruktion als Wiedergewinnung von zerstörter Bausubstanz, sondern auch der Streit darüber waren schon in der Antike Normalität. So stritt man im perikleischen Athen sehr wohl darüber, ob man einen kriegszerstörten Tempel wieder aufbauen oder als Zeugnis der gegnerischen Barbarei und Gottlosigkeit stehen lassen sollte; schon damals - so könnte man sagen - gewann die Rekonstruktion, wenn auch in leicht veränderter Form.

Die Renaissance rekonstruierte die Antike, wollte die antiken Formen dabei aber nicht einfach nur nachahmen, sondern sie fortentwickeln und sie sich in aktualisierter Gestalt aneignen. Die Renaissance kann damit auch als Aktualisierung der Antike, als Übersetzungsleistung im großen Stil gesehen werden. Nie ging es ihr nur um das pure Imitat, weil dem Imitat die Kunst fehlt.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat man aber auch partiell und formal weitgehend getreu rekonstruiert und kopierend aus- und weitergebaut, Original und Kopie sind dabei manchmal nur noch durch Inschriften zu unterscheiden. Man denke etwa an den Weiterbau gotischer Kathedralen, bei denen die grundlegend verschiedenen Konzepte von korrekter Kopie, kopierender Vollendung und historisierender Form mitunter nahezu untrennbar ineinander übergehen. Gerade im Zuge der Gegenreformation war die Sehnsucht nach kopierender Vollendung großer Stifts- und Domkirchen besonders groß. Insbesondere bei Zerstörungen nach Kriegs- oder Religionswirren war die originalgetreue Wiederherstellung vorangiges Ziel; so wurde z. B. die 1567 von den Hugenotten zerstörte Kathedrale von Orléans erst im 17. und 18. Jahrhundert wieder aufgebaut, aber in gotischen Formen.

Vielfach waren bei Rekonstruktionen in der Vergangenheit aber auch fürstliche Selbstdarstellungssehnsucht und politische Instrumentalisierung die ausschlaggebenden Beweggründe. Wenn etwa die 1674 durch einen verheerenden Brand in der Münchener Residenz völlig zerstörten frühbarocken Kaiserzimmer noch vom Enkel Maximilians I. wieder originalgetreu hergestellt wurden, dann war diese fürstliche Denkmalpflege natürlich von dem Wunsch getragen, durch den Erhalt dieses einzigartigen künstlerischen Ensembles auch die Kontinuität der Dynastie zu bewahren. Und wenn Friedrich Wilhelm IV. Mitte des 19. Jahrhunderts das Arbeits- und Sterbezimmer Friedrichs des Großen in Schloss Sanssouci rekonstruieren ließ, dann ging es auch dabei um eine dynastische begründete Indienstnahme von Bauten.

Im 19. Jahrhundert dominierte der Wunsch nach weitgehender Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ohne spätere Zutaten. Die purifizierende Wiederherstellung stand im Vordergrund, und die Wertschätzung eines idealisierten Erscheinungsbildes trat hinzu. Besonders deutlich wird dies beim sog. Pompejanum in Aschaffenburg, der idealtypischen, möglichst originalgetreuen Rekonstruktion eines römischen Stadthauses, das einem gänzlich anderen Konzept folgte als die Aktualisierung der Antike in der Renaissance. Übrigens musste man das von Anfang an als Museum geplante Pompejanum aufgrund schwerer Bombentreffer 1944/45 nach dem Zweiten Weltkrieg erneut rekonstruieren, die Rekonstruktion einer Rekonstruktion also, und erst 2002 konnte das von der Bayerischen Schlösserverwaltung und der Staatlichen Antikensammlung gemeinsam verwaltete Ensemble wieder im alten Glanz eröffnet werden.

Die Position der Moderne war es, die Architektur des Historismus, also das an der Geschichte orientierte Bauen des 19. Jahrhunderts, zu überwinden. Diese Art des Bauens sei bedeutungs- und wertlos, weil unschöpferisch, und die Verwendung historischer Formen produziere nur Attrappen, Kostüme, Lügengebilde, Masken, Scheinarchitektur oder - noch extremer ausgedrückt - Kitsch.

Als Begriff tauchte ‚Rekonstruktion' zwar schon im 18. Jahrhundert auf, zum wirklichen Problem wurde sie jedoch im 20. Jahrhundert. Der Philosoph Günter Abel wies darauf hin, dass das Wort ‚Rekonstruktion' bei Philosophen eine "gute Presse" habe, bei Denkmalpflegern aber "vermintes Gelände" sei; erst recht - so möchte man hinzufügen - bei Architekten.

Georg Dehio gab 1905 die Maxime aus: "konservieren, nicht restaurieren". Bis heute wird dieser Satz von Rekonstruktionsgegnern gerne zum Dogma erhoben. Die Rekonstruktion der Hamburger Michaeliskirche, die 1906 abgebrannt war, wurde von Dehio übrigens ausdrücklich befürwortet, doch ist hier eine Unterscheidung von Rekonstruktion und Wiederaufbau vorzunehmen.

Die Ablehnung alles Historischen beim Bauen führte bei der Vorkriegsavantgarde nicht nur zu einer Distanzierung, sondern fast schon zu pathologischem Hass auf historistische Architektur, keineswegs nur in Deutschland. So forderte Antonio Sant'Elia 1914 mit futuristischem Elan, jede Generation solle die jeweils alte Stadt abreißen und für sich eine völlig neue errichten. Für Berlin kann das fast gelten. In diesem Sinne ist auch Le Corbusiers "Plan obus" für Algier zu sehen: Die alte Stadt sollte buchstäblich zerschlagen werden, um sie gänzlich neu gestalten zu können. Für Walter Gropius war die Beschäftigung mit Geschichte geradezu gefährlich. Diese Leitmotive und Denkbilder prägten immer wieder Haltung und Argumentation von Rekonstruktionsgegnern.

Nach dem Krieg wurde diese seit jeher sehr emotionale Diskussion in Deutschland noch um den moralischen Aspekt bereichert: Der Strang eines halbwegs natürlichen Umgangs mit rekonstruierendem Wiederaufbau riss damit nach 1945 weitgehend ab, und Rekonstruktion wurde mit Geschichtsklitterung und Schuldverweigerung gleichgesetzt, wonach sich Rekonstruktion dem Vorwurf ausgesetzt sah, selbst verschuldeten Verlust ungeschehen machen zu wollen.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung war damals jedoch durchaus für eine rekonstruierende Wiederherstellung ihrer Städte, die dann vielfach aber doch auf die Gotteshäuser begrenzt blieb. Dabei gab es aber auch gänzlich rückwärts gerichtete Sichtweisen, die die Kriegszerstörungen als Chance sahen, nun die deutschen Altstädte in ihrem Zustand vor den Eingriffen des 19. Jahrhunderts wiedererstehen zu lassen.

Doch meist genügten nüchterne Berechnungen, um deutlich zu machen, dass Rekonstruktionen teuerer gewesen wären als nach Effizienz geplante Neubauten, insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit ihren knappen Mitteln und scheinbar unlösbar großen Aufgaben. In dieser Lage stellte sich die Politik in der Regel gegen die sog. Altstadtfreunde.

Die Denkmalpflege war seit Dehios Maxime von "konservieren, nicht rekonstruieren" weitgehend gegen Rekonstruktionen eingestellt. Doch es gibt durchaus Denkmalpfleger, wie etwa den früheren ICOMOS-Präsidenten Michael Petzet, die die Rekonstruktion als denkmalpflegerische Aufgabe verstehen, und die sie nicht als Sündenfall, sondern als legitime Methode betrachten, die aber entsprechende künstlerische und handwerkliche Fähigkeiten voraussetze. Mit der daraus folgenden Unterscheidung von guten und schlechten Rekonstruktionen begibt sich jedoch auch Petzet auf vermintes Gelände, weil dies erstens subjektiv ist und zweitens immer erst im Nachhinein empfunden werden kann.

Eine rationale, nüchterne Argumentation zum Thema Rekonstruktion fällt umso schwerer, je stärker die Begrifflichkeit moralisch besetzt ist. Dies führt dazu, dass Auseinandersetzungen darüber häufig wie Glaubenskriege bis an die Grenzen zur Irrationalität geführt werden. Die meisten Architekten vertreten die ultimative Forderung nach einer zeitgemäßen Ausdrucksweise überall im Bauen als ein Dogma, das kaum mehr hinterfragt wird. Umgekehrt muss man zugeben, das hinter der wenig reflektierten Rekonstruktion des Zerstörten oft in der Tat eine Art Ungeschehenmachen und aktives Verdrängen der Geschichte steht, wobei diese Haltung durch die Tatsache, dass sie in der Nachkriegszeit von vielen alten Nazis mitgetragen wurde, zusätzlich kompromittiert wurde.

Rückblickend muss man feststellen, dass der Umgang mit Rekonstruktion genauso wie der Umgang mit der jüngeren Geschichte von Ideologien und Leitbildern instrumentalisiert war und ist. Geschichte diente sowohl als willkommenes Feindbild zur Legitimation eines radikalen Neubeginns wie auch als Allheilmittel zur Rechtfertigung von Verdrängung durch Rekonstruktion, und sie diente als Heilsbringer bei der Suche nach Tradition, wie Winfried Nerdinger einmal sagte.

Vor diesem Hintergrund müssen wir all das sehen, was wir über neue Museen in historischen Gemäuern sagen und denken, insbesondere dann, wenn damit Rekonstruktionen oder Teilrekonstruktionen verbunden sind. Das Problem kann sich dabei noch erheblich verschärfen, wenn Rekonstruktionen Architektur und Geschichte letztendlich banalisieren; darauf kommen wir noch.

Es kann aber genauso keine Lösung sein, historische Formen - wenn an ihnen kein Weg vorbeiführt - ironisch zu verfremden oder bewusst als Kulisse inszeniert vorzuhängen (z. B. das Haus am Neuen Markt in Potsdam), so nach dem Motto: "Seht her, die rekonstruierten Formen sind unehrlich, aber ich zeige Euch, wie ehrlich ich bin".

Rekonstruierte Schlösser und ihre Nutzungen: Fallbeispiele

Der Rekonstruktion von Schlössern erlebt derzeit - und nicht nur in Deutschland - eine ungeahnte Renaissance, wobei charakteristisch ist, dass es sich dabei weitgehend um Rekonstruktionen ex nihilo handelt, also um die Wiedererrichtung von Gebäuden, die bereits vollkommen verschwunden waren. Diese Rekonstruktionswelle steht in deutlichem Gegensatz zu jener, die unmittelbar nach dem Ende des Krieges realisiert wurde, als die meisten im Krieg zerstörten Schlösser und Residenzen in den deutschen Innenstädten zumindest als Ruinen noch erhalten waren und auf der Basis der erhaltenen Bausubstanz wieder aufgebaut wurden. Die Münchener Residenz, das Berliner Schloss Charlottenburg und das Schloss in Stuttgart gehören z. B. in diese Reihe.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die Münchner Residenz. Seit dem 16. Jahrhundert wurde sie über vier Jahrhunderte hinweg immer wieder umgebaut und erweitert, wodurch ein vielfältiger Gebäudekomplex mit Architektur und Innenausstattung aus Renaissance, Barock, Rokoko und Klassizismus entstanden war. Nach massiven Kriegszerstörungen hatte man schon 1945 ihren Wiederaufbau beschlossen (Nerdinger 2007, 180), und er zog sich über sechs Jahrzehnte hin.

Die Rekonstruktion der Münchner Residenz wird bis heute als Wiederherstellung eines bayerische Identität stiftenden Bauwerks verteidigt. Es ging vordringlich um seine Wiedererrichtung als Symbol der Identifikation zwischen dem ehemaligen Herrscherhaus und der geschichtlichen Entwicklung des Landes. Ziel des Wiederaufbaus war aber auch, einen kulturellen Mittelpunkt in der Stadt zu schaffen und darüber hinaus die Residenz zu beleben, anstatt dort nur Verwaltung und Behörden unterzubringen.

Folglich kam es zu einer Mischnutzung kultureller und wissenschaftlicher Art: ein Residenzmuseum mit historischen Raumfolgen, weitere Museen (Schatzkammer, Münzsammlung), das Cuvilliés-Theater, Konzertsäle, Räumlichkeiten für die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Schönen Künste. Daneben werden die besonders repräsentativen Bereiche gerne und regelmäßig auch für staatliche Repräsentationszwecke genutzt.

Am Beispiel der Münchner Residenz lassen sich aber auch die Diskussionen exemplarisch aufzeigen, die sich bis heute fortsetzen, wenn es um die Rekonstruktion von zerstörten Schlössern geht, unabhängig, ob sie aus Ruinen oder ex nihilo wiedererstehen sollen. Georg Lill äußerte sich schon 1946 in einem programmatischen Aufsatz zum Umgang mit Bayerns Kulturbauten. Darin meint er, dass zumindest ein Teil der Baudenkmäler wiederaufgebaut werden müsse, sofern deren äußere Gestalt ausreichend gut dokumentiert sei. Eine Rekonstruktion der Innendekoration und Deckengemälde schließt er hingegen kategorisch aus: "… die Raumkunst der Residenzen in München und Würzburg ist und bleibt uns für alle Zeit verloren" (Talbot 2007, 4). Für Lill ist der Wiederaufbau im Inneren der Schlösser eine Aufgabe der zeitgenössischen Architektur, die in kongenialer Weise auf die veränderten Nutzungsansprüche zu antworten hat.

Ähnliches Denken herrschte zur selben Zeit auch im Rheinland vor, wo es um den Wiederaufbau der Residenzen von Bonn, Koblenz u. a. ging. Paul Clemen unterschied dort vier theoretische Möglichkeiten im Umgang mit zerstörten Baudenkmälern von Rang: Erhalt als Ruine bzw. Trümmerfeld, Beseitigung der Reste und Auslöschung der geschichtlichen Situation, Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes und Wiedererrichtung unter freier Fortführung des Baugedankens. Er sprach sich nachdrücklich für diesen letzten Weg aus und unterstrich ihn mit einem Zitat von Auguste Rodin: "Eine Kunst, die das Leben enthält, restauriert nicht die Kunstdenkmäler der Vergangenheit, sondern führt sie fort" (Talbot 2007,4).

Vieles von diesem Denken findet sich übrigens in David Chipperfields Konzept der Wiederherstellung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel wieder (das hier aber nicht unser Thema ist).

In der Praxis der vielen Wiederaufbauprojekte der unmittelbaren Nachkriegszeit - so unterschiedlich die einzelnen Fälle auch gelagert sein mögen - lassen sich zwei sehr grundsätzliche Herangehensweisen unterscheiden: ein nutzungsorientierter und ein musealer Wiederaufbau.

Eine nutzungsorientierte Wiederherstellung erfolgte in zahlreichen Schlössern quer durch die Republik: Bonn, Koblenz, Darmstadt, Mannheim, Hannover, Stuttgart, Karlsruhe usw. Etliche von ihnen hatten schon vor der Zerstörung eine Umnutzung erfahren. In Mannheim beherbergte das Schloss vor dem Ersten Weltkrieg verschiedene Behörden, in Darmstadt waren Landesbibliothek und Staatsarchiv eingezogen, in Bonn wurde das Residenzschloss bereits 1818 der Universität geschenkt und seither für Unterrichtszwecke genutzt.

Das Schloss in Hannover hatte man nach Aufgabe seiner Residenzfunktion zu einem Museum umgewidmet. Da es im Zweiten Weltkrieg einen Großteil seiner Exponate verlor, zog man nach 1945 keine museale Nutzung mehr in Betracht, sondern machte das Gebäude zum Sitz des Landesparlaments; die politische Macht kehrte hier also wieder in die ehemalige Residenz zurück, auch wenn es diesmal die Macht der gewählten Volksvertreter war.

Nahezu allen nutzungsorientierten Wiederaufbaumaßnahmen ist gemeinsam, dass zunächst die Fassaden wiedererrichtet wurden. Die Rekonstruktion historischer Raumfolgen im Inneren hing dann fast ausschließlich vom Bedarf an neuen Repräsentationsräumen ab. Darüber hinaus wurde auf eine künstlerisch besonders anspruchsvolle oder gar den ursprünglichen Zustand rekonstruierende Ausgestaltung in der Regel verzichtet. Interessant ist, dass trotz eines eindeutigen Überwiegens funktionaler Überlegungen doch versucht wurde, in neu gebauten Treppenhäusern, großen Eingangsbereichen und Gängen sowie Innenhöfen mit zeitgemäßen Mitteln einen gewisse repräsentative Aura zu erzeugen, auch wenn dies nicht mit einer Rekonstruktion verbunden war.

Die Rekonstruktion der Innenausstattungen konnte man in diesen Fällen aber auch schon deshalb vernachlässigen, weil sie in der kunstgeschichtlichen Bewertung meist nicht zu den herausragenden Schöpfungen ihrer Zeit gehörten. Der Wert dieser Schlösser als originäres Zeugnis einer bestimmten Architektur- bzw. Kunstepoche und damit auch als Geschichtszeugnis trat damit ganz klar hinter die Nutzungsüberlegungen zurück.

Die Residenzen in München, Würzburg und Brühl, aber auch Schloss Charlottenburg in Berlin sind demgegenüber anders zu bewerten: Ihr Wiederaufbau erfolgte unter musealen Aspekten. Brühl und Würzburg galten als Inkunabeln der barocken Architektur, die Nutzungsfrage war hier sekundär. Ähnliches gilt für München, wo die bereits erörterte Bedeutung des Komplexes für die Identifikation von Herrscherhaus und Landesgeschichte noch hinzukam.

Bemerkenswert ist, dass sich die Rekonstruktion dieser Residenzen im Grunde in drei Schritten vollzog. Zunächst unterschieden sich die musealen Wiederaufbauprojekte in nichts von den nutzungsorientierten: Es ging - allein schon aufgrund begrenzter Finanzmittel - erst einmal nur um den äußeren Baukörper, die Fassaden und evtl. noch um die Wiederherstellung der weniger beschädigten Räume. In einem zweiten Schritt widmete man sich dann den Innenräumen und rekonstruierte die bedeutendsten Hauptraumfolgen, und zwar samt künstlerischer Ausstattung. Von der Rekonstruktion hochwertiger Decken- und Wandgemälde bedeutender Künstler nahm man dabei noch Abstand, bei Fresken, die eher in den handwerklichen Bereich einzuordnen waren, übte man dagegen bereits deutlich weniger Zurückhaltung und malte sie nach. In einem dritten Schritt konnte es dann zu einer Totalrekonstruktion nahezu des gesamten Innenbereichs mitsamt seiner künstlerischen Ausgestaltung kommen; der Münchner Residenz fiel hier eine gewisse Vorreiterrolle zu.

Eine Tendenz tritt dabei ganz deutlich hervor: Mit zunehmender handwerklicher Erfahrung wuchs bei musealen Wiederaufbauprojekten der Wunsch, das betreffende Schloss in einen Bau- und Ausstattungszustand zu versetzen, der als möglichst ursprünglich angesehen wurde. Dies kann bisweilen soweit gehen, dass Raumfolgen und Zustände rekonstruiert werden, die schon Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts beseitigt worden waren. Die dafür benötigten ungleich höheren Finanzmittel werden in der Regel dann bereitgestellt, wenn es sich um Orte und Gebäudekomplexe handelt, die einerseits als geschichts- und identitätsstiftend betrachtet und andererseits auch als für staatliche Repräsentationszwecke geeignet gehalten werden. Gewisse Parallelen zwischen München und Dresden sind dabei nicht zu übersehen.

Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich die Situation in Deutschland grundlegend (Nerdinger 2008, 19). Der Vorwurf des Ungeschehenmachenwollens von selbstverschuldetem Verlust war in den veränderten Zeiten nicht mehr stichhaltig und verlor an Überzeugungskraft. Überdies ließen sich Bausünden des Sozialismus leichter thematisieren.

Die Folge war eine immer weiter ansteigende Welle von Rekonstruktionen und Rekonstruktionswünschen: Frauenkirche und Neumarkt in Dresden, Kommandaturgebäude, Bauakademie und Schloss in Berlin, Schloss und Garnisonskirche in Potsdam, Paulinerkirche in Leipzig u. v. a. Einige dieser Projekte sind bereits vollendet, andere auf dem Wege dazu. Und wenn man Diskussionen in Frankfurt am Main verfolgt, in denen die Wiedererrichtung der gesamten Altstadt gefordert wird, dann scheint es, als würde diese Welle allmählich zu einem Tsunami anwachsen.

Doch die enorme öffentliche Akzeptanz, die gerade die Rekonstruktion der Dresdner Frauenkirche gefunden hat, nicht nur in Dresden selbst, sondern in der gesamten Republik, sollte nachdenklich machen. Der Fall Dresden belegt, dass materielle Authentizität und Alterswert eines Baudenkmals dann ihre Grenzen finden, wenn es darum geht, dass mit der Rekonstruktion die verlorene Einheit eines Ensembles oder ein symbolischer Wert für die kulturelle Identität einer Gemeinschaft zurückgewonnen werden können.

Dies gilt in nahezu identischer Weise auch für den 1902 eingestürzten Campanile von Venedig, das Kloster von Monte Cassino, den Alcázar in Toledo oder die Brücke von Mostar. In allen diesen Fällen stand eine Rekonstruktion nie wirklich zur Diskussion. Natürlich, so könnte man einwenden, erfolgte der Wiederaufbau dort - im Unterschied zur Dresdner Frauenkirche und anderen kriegszerstörten Baudenkmälern in Deutschland - sehr zeitnah zur Zerstörung. Wenn ein Gebäude jedoch die oben definierten Kriterien erfüllt, also das Rückgewinnen der verlorenen Einheit eines Ensembles oder eines Symbols für die Identität einer Gemeinschaft garantiert, dann werden offenbar nicht nur materielle Authentizität und Alterswert zweitrangig, sondern auch der zeitliche Abstand zur Zerstörung verliert an Bedeutung.

Doch zurück zu den Schlössern und ihren Nutzungen. In Potsdam soll das im Krieg stark beschädigte und am Ende der 1950er Jahre gesprengte Stadtschloss bis 2011 als Teilrekonstruktion wiedererstehen. Hinter historisierenden Fassaden unter Einbeziehung von Originalteilen wird ein modernes und funktionales Inneres entstehen, mit der Nutzung als Landtagsgebäude folgt Potsdam damit dem Nachkriegsbeispiel aus Hannover.

Einen vieldiskutierten Sonderfall stellt das Schloss in Braunschweig dar. Die im 19. Jahrhundert an Stelle eines Vorgängerbaus aus dem frühen 18. Jahrhundert errichtete ehemalige Herzogsresidenz wurde durch Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs stark zerstört. Nach einer langen Debatte hatte man schließlich 1960 - gegen heftige Proteste - mit nur einer Stimme Mehrheit den Abriss der Ruine beschlossen. Ähnlich wie im Falle des Berliner Schlosses, zu dem wir noch kommen, betrachteten die Befürworter des Abrisses den Bau als historisch kontaminiert: Das Schloss wäre eine Machtdemonstration der Welfen gewesen, die die Stadt gegen den Widerstand der Bürgerschaft 1671 erobert hatten, außerdem hätte es im Dritten Reich als SS-Junkerschule gedient, Grund genug jedenfalls, um hier tabula rasa zu machen. Die Gegner des Abrisses hingegen betonten, dass dies als unwiederbringlicher Verlust Braunschweiger Identität empfunden werden müsse.

Über 40 Jahre später wurde dann die teilweise Rekonstruktion beschlossen. Die Diskussion war dabei scheinbar weit weniger emotional und politisch als 1960 vor dem Abriss der Ruine. Erst jüngst gelangte das Projekt zum Abschluss. Nach alten Plänen und unter Verwendung noch vorhandener Originalbauteile wurde die Schlossfassade nahezu originalgetreu rekonstruiert, dahinter folgte dann eine moderne Architektur, die in ihrem Innenbereich lediglich einige wenige Räume nach ihrem historischen Vorbild aufnimmt, allerdings mit teilweise veränderten Proportionen und auch nicht an ihren ursprünglichen Positionen im Schloss. Möglich wurde das Vorhaben ohnehin nur dank überwiegend privater Finanzierung.

Der Fall Braunschweig unterscheidet sich von allen anderen Schlossrekonstruktionen, und der entscheidende Unterschied liegt in der Sinngebung: Zwar gibt es Räumlichkeiten für kulturelle und öffentliche Nutzungen, doch der Neubau beherbergt in erster Linie das Einkaufscenter "Schloss-Arkaden". Das Braunschweiger Schloss wurde also zu einem Fassadentorso mit Einkaufscenter und Parkraum für fast 2.000 Autos, auch eine Form der nutzungsorientierten Wiederherstellung.

Die Befürworter aus der Politik sahen in diesem Projekt eine Aufwertung der Innenstadt, das Entstehen neuer Arbeitsplätze und beschönigten es als Leckerbissen für einen dringend benötigten Großinvestor in der wirtschaftlich kränkelnden Stadt. Die Braunschweiger Gegnerschaft hatte dem wenig schlagkräftige Argumente entgegenzusetzen: Man bedauerte die Zerstörung des an dieser Stelle gelegenen Schlossparks, und der örtliche Handel befürchtete Konkurrenz durch das neue Einkaufszentrum.

Aus der Fachwelt heraus wurde schärfer kritisiert: "Ein Komplex von einer Künstlichkeit und geistigen Leere, die erschüttert" (Radecke 2004, 40). Die Politik ließ zu, dass die Rekonstruktionswünsche der Bürger ausschließlich vom Kommerz kanalisiert und ausgenutzt wurden, und die Geschichtsfassaden sollen nur noch den Verkauf befördern (Nerdinger 2007, 188). Man darf neugierig sein, wie sich hier Braunschweiger Identität neu wird formieren können.

Nach den bisherigen Beispielen könnte sich der Eindruck aufdrängen, Schlossrekonstruktionen wären ausschließlich eine deutsche Besonderheit, doch weit gefehlt. Die Diskussion hat inzwischen auch Frankreich erfasst, wo man ernsthaft über die Wiederrichtung der Tuilerien nachdenkt. Das im 16. Jahrhundert entstandene Renaissanceschloss wurde 1871 beim Aufstand der Pariser Kommune zerstört und danach nahezu vollständig abgetragen. Einen Wiederaufbau hatte man in der Vergangenheit immer wieder gefordert. So sprach sich u. a. Charles de Gaulle dafür aus, der dort dann den Sitz des Staatspräsidenten unterbringen wollte. 2002 erreichte die Debatte schließlich eine breitere Öffentlichkeit und verstummt seitdem nicht mehr.

Die Voraussetzungen für eine Rekonstruktion sind gut: Die Fundamente, eine detaillierte Architektur-Dokumentation sowie Einrichtungsgegenstände und Gemälde der ursprünglichen Ausstattung (heute im Louvre) sind noch erhalten. Für eine Wiederherstellung werden in erster Linie historische und ästhetische Argumente vorgebracht. Die Tuilerien wären untrennbar mit der Französischen Revolution, dem Ende des Ancien Régime und den Prinzipen von 1789, also dem modernen Frankreich verbunden. Ein Schließen des Louvre-Hofs im Westen würde überdies das ursprüngliche architektonische Ensemble wiederherstellen und für ein ästhetisches Gleichgewicht sorgen.

Die Gegner einer Rekonstruktion führten die in solchen Debatten gängigen Argumente an, dass nach über 130 Jahren eine moderne Imitation nur mehr eine seelenlose Kopie sein könne, die nichts mehr mit dem Original zu tun habe, zudem sei ein solches Vorhaben rückwärtsgewandt und nicht zeitgemäß.

Inzwischen war eine von der französischen Regierung eingesetzte Experten-Kommission mit dem Thema befasst, die - was kein Geheimnis ist - überwiegend mit Befürwortern einer Rekonstruktion besetzt war. Als Nutzung wird u. a. eine Erweiterung des Musée du Louvre und des Musée des Arts Décoratifs diskutiert, ein Konferenzzentrum, ein großes Auditorium, ein Konzertsaal und vermietbare Salons für Empfänge sollen noch hinzukommen.

Bleiben solche Schlossdebatten im Westen Europas aber eher Ausnahmen, so sind sie in Mittelost- und Osteuropa erheblich aktueller. Einerseits hängt dies mit den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und mit den nachfolgenden zerstörerischen Eingriffen des Sozialismus zusammen, andererseits ist das aber auch im Zusammenhang mit den politischen Veränderungen nach 1990 zu sehen, dem Entstehen neuer unabhängiger Staaten und einer verstärkten Suche nach sinnstiftenden Symbolen geschichtlicher und kultureller Identität (Nerdinger 2008).

Dies gilt in besonderer Weise für Polen. Dort begann man gleich nach dem Ende des Krieges mit der Rekonstruktion der Altstädte (z. B. Warschau, Danzig, Posen, Breslau) als Zeugen der nationalen Geschichte und als Symbol des Wiederauflebens und auch der Unzerstörbarkeit Polens. Anders als in Deutschland war man auch nicht dem Vorwurf ausgesetzt, mit Rekonstruktion nur selbst verschuldeten Verlust ungeschehen machen zu wollen, ein irgendwie doch zutiefst deutsches Argument (Nerdinger 2008).

Für die polnischen Denkmalpfeger war das historische Baudenkmal eine Art Nationalreliquie, wobei die Direktiven durchaus vorsahen, dass auch rekonstruierte Gebäude neue Funktionen erhalten, neuen Zwecken dienen und in das moderne Leben integriert werden müssen.

Eine besondere Rolle spielt dabei das Schloss in Warschau, im 17./18. Jahrhundert Residenz der polnischen Könige, nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 von Deutschen dem Erdboden gleichgemacht. Der Ruf nach Wiederaufbau wurde gleich nach Ende des Krieges laut, zunächst aber aus politischen Gründen unterdrückt. Erst 1971 kam es schließlich zu einem entsprechenden Beschluss, der die Rekonstruktion ermöglichte. Maßgeblich hierfür war ein inzwischen völlig veränderter politischer Kontext, in dem sich auch eine kommunistische polnische Regierung zum Königsschloss als Symbol der Versöhnung zwischen Staat und Gesellschaft offen bekennen konnte. Das Warschauer Schloss war dabei von so außerordentlich hohem Symbolwert für die Stadt und die polnische Nation (Nerdinger 2008, 21), dass es um die Rekonstruktion fast keine politische oder gesellschaftliche Diskussion gab (Kalinowski 2005).

Die Wiedererrichtung beruhte auf einer detaillierten Dokumentation des Originals, intensiven Archivforschungen und der Verwendung erhaltener Originalteile. Die Rekonstruktion schloss dabei den Innenbereich ausdrücklich ein und geht bis zur Einrichtung mit historischen Möbeln und Gegenständen, auch wenn diese größtenteils nicht aus dem Schloss stammten.

Kontroverser wurden in der Öffentlichkeit dagegen die Nutzungsvorschläge diskutiert, wobei man an ein Museum, an den Sitz von Behörden, an kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen, an eine Volkshalle und an den Sitz des Staatsrats dachte. Heute wird das in den 1980er Jahren fertiggestellte Warschauer Königsschloss, das zusammen mit der Altstadt UNESCO-Weltkulturerbe ist, als Museum genutzt, in dem neben Sonderausstellungen auch Konzerte, Tagungen und Empfänge stattfinden.

Zu den kühnsten derartigen Projekten zählt zweifellos die kurz vor der Vollendung stehende Wiedererrichtung des Palastes des Großfürsten von Litauen in Vilnius, der schon Mitte des 17. Jahrhunderts stark beschädigt und an der Wende zum 19. Jahrhundert endgültig beseitigt worden war. Es gibt wohl kein zweites Wiedererrichtungsvorhaben, bei dem der zeitliche Abstand zwischen Zerstörung und Rekonstruktion so groß ist wie hier. Dies stellt unweigerlich die Frage, welche Macht hier wirksam ist, um ein solches Projekt zu ermöglichen.

Der Grund liegt in der Symbolkraft des Ortes und seiner Geschichte, gerade im Verhältnis zu Russland. Die Ursprünge des großfürstlichen Palastes reichen bis ins Mittelalter zurück, seine Zerstörung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geht auf den litauischen Freiheitskampf gegen russische Truppen zurück. Danach war aus finanziellen Gründen nicht an einen Wiederaufbau zu denken, und 1799-1801 veranlasste die russische Administration Litauens das Abtragen der Palastruine, um damit zugleich auch die letzten Symbole litauischer Eigenstaatlichkeit zu beseitigen.

Gegen Ende der Sowjetzeit fanden archäologische Ausgrabungen statt, und die Idee einer Rekonstruktion des Palastes fand im Zuge der wiedererlangten staatlichen Unabhängigkeit schließlich immer mehr Befürworter. Der wiedererrichtete Palast soll das Symbol der staatlichen Souveränität Litauens und der Rückgewinnung nationalen Selbstbewusstseins werden, er soll vergangene glanzvolle Zeiten des litauischen Großfürstentums sichtar werden lassen und zugleich ein Zeichen gegen die lange russisch-sowjetische Fremdherrschaft sein.

Die feierliche Eröffnung ist für das Milleniumsjahr 2009 geplant, genau tausend Jahre nach der ersten schriftlichen Erwähnung Litauens 1009, dem Krönungstag des litauischen Königs Mindaugas. Im selben Jahr wird Vilnius auch "Europäische Kulturhauptstadt 2009" sein. Das Nutzungskonzept sieht ein multifunktionales Kultur- und Bildungszentrum mit Konzerten, Konferenzen und Wechselausstellungen, ein National- und Residenzmuseum zur Geschichte Litauens sowie Bereiche für staatliche Repräsentationsbedürfnisse vor.

Die Schwäche dieser Rekonstruktion: Angesichts der schon früh erfolgten vollständigen Zerstörung liegen keinerlei für einen Wiederaufbau notwendige Dokumentationen wie Pläne, Zeichnungen, Bildmaterial oder Inventarlisten vor. Die Rekonstruktion wird deshalb weitgehend auf Hypothesen und Analogien beruhen. Und obwohl dem so ist, geht man sogar noch weiter und möchte selbst Teile des ehemaligen Interieurs nachbauen.

Vilnius ist ein anschauliches Beispiel dafür, was staatliches Repräsentationsbedürfnis und Identitätsfindung nach erst kürzlich gewonnener Unabhängigkeit zu bewirken vermögen.

Ein ganz anderer Fall liegt wiederum in Kaliningrad vor, dem ehemaligen Königsberg, und damit möchte ich die Reihe der Beispiele dann auch beschließen. Die Geschichte des dortigen Schlosses begann im 13. Jahrhundert als Deutsch-Ordens-Burg, im 18. und 19. Jahrhundert war es Krönungsort der preußischen Könige. Luftangriffe zerstörten das Schloss1944, und als ausgebrannte Ruine blieb es noch etliche Jahre stehen, ehe die Reste im Jahre 1969 von der Sowjetarmee gesprengt wurden, um dieses Symbol der ostpreußischen Vergangenheit der Stadt zu beseitigen und den "faulen Zahn des preußischen Militarismus" endgültig auszureißen.

Seit 2001 finden Ausgrabungen im Schlossareal statt, wesentlich finanziert vom Spiegel. Als Folge dieser Forschungen entstand die Idee einer Rekonstruktion des Schlosses, und 2006 gab es bereits eine Finanzierungszusage vom damaligen russischen Staatspräsidenten Putin in Höhe von 50 Mio. Euro. Hinsichtlich der Nutzung dachte man auch hier an ein historisch-kulturelles Zentrum, an einen herausgehobenen Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen, aber auch an einen repräsentativen Sitz der Regionalregierung sowie an ein integriertes Luxushotel.

2008 wurden die Ausgrabungen mangels behördlicher Genehmigung vorläufig wieder eingestellt, auch eine Rekonstruktion des Schlosses scheint damit wieder fraglich. Wie auch immer diese Geschichte eines Tages enden wird, allein schon der Wunsch eines rekonstruierten Schlosses offenbart das Versagen sozialistischer Architektur und Stadtplanung in Städten wie Kaliningrad: Seine russischen Bürger leben lieber in einer rekonstruierten "deutschen" Stadt als in dem beim Wiederaufbau nach 1945 entstandenen geschichts- und gesichtslosen Alptraum aus Plattenbauten (Nerdinger 2008).

Lässt man diese Beispiele - und viele weitere könnte man hinzufügen - Revue passieren, dann ist festzuhalten, dass eine an Glaubens- und Weltanschauungskämpfe grenzende kritische Diskussion über Rekonstruktionen eigentlich fast nur in Deutschland stattfindet, und nirgendwo sonst scheint das Rekonstruktionstabu so stark wie hier (Nerdinger 2008; Petzet 2008), auch wenn es dann meist doch zu Wiedererrichtungen kommt. Teilweise ist dies aus der besonderen deutsche Geschichte heraus erklärbar, die uns eben von Polen, Litauen oder Frankreich unterscheidet.

In diesen Ländern greifen die gängigen Motive für Rekonstruktionen, aber sie tun es nicht oder nur bedingt bei uns. Welche sind diese Motive? Das memoriale Bedürfnis des öffentlichen Geschichtsbewusstseins, der Wunsch nach Tradition und Kontinuität, die Sehnsucht nach etwas Früherem und Bewährtem, das Empfinden kollektiven Verlusts oder die Enttäuschung über die Ergebnisse moderner Architektur und Stadtplanung?

Bei Rekonstruktionen - sollen sie erfolgreich sein und von der Mehrheit akzeptiert werden - muss es einen übergeordneten Wert geben. Dieser kann auf die kulturelle, symbolische, identitätsstiftende oder gesellschaftliche Bedeutung eines Baudenkmals abzielen, auch die harmonisierende Wirkung für das städtebauliche Umfeld spielt dabei vielfach eine Rolle. All das kann die oft beschworene materielle Authentizität und den Alterswert eines Gebäudes durchaus in den Hintergrund treten lassen.

Wenn allerdings - wie im Falle von Braunschweig - ein reiner Fassadentorso mit einer höchst bedenklichen Nutzung überwiegend kommerzieller Natur verbunden wird, bleibt dieses Ziel unerreichbar. Der Symbolwert wird zerstört, ja er entsteht erst gar nicht. Die Historizität des Ortes wird missbraucht, weil Geschichte zum Marketinginstrument degradiert, eine Inszenierung von Ereignisräumen als Shopping-Malls, Entertainment-Bereich und Tagungszentren stößt die Menschen ab. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass die Intention eines Rekonstruktionsvorhabens für seine Beurteilung und seine Akzeptant eine ganz wesentliche Rolle spielt (Kerkhoff 2008, 53). Motivationen für Rekonstruktionen entstehen aus vielfältigen und tiefen Emotionen und Bedürfnissen, mit denen historische Orte verbunden sind. "Geistlose" Kommerz-Nutzungen (Braunschweig) können diese Bedürfnisse nicht befriedigen.

Das Berliner Schloss

Es scheint der Zeitpunkt gekommen, sich nun der Berliner Situation zuzuwenden, und zwar der Frage der Neugestaltung des Schlossplatzes im historischen Zentrum der Stadt. Ich möchte hier nicht alle Einzelheiten des langwierigen Diskussionsprozesses mit seinen z. T. sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Projizierungen rekapitulieren; ich denke, sie sind hinlänglich bekannt.

Hinlänglich bekannt sind auch die Bundestagsbeschlüsse von 2002 und 2003, die den Empfehlungen der Expertenkommission "Historische Mitte Berlins" folgten. Danach wird es - nach dem Abriss des "Palasts der Republik", der dort einst das 1950 gesprengte Hohenzollern-Schloss ersetzt hatte - zu einer Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses kommen, bestehend aus den drei äußeren Barock-Fassaden sowie drei weiteren Fassaden des Schlüter-Hofes, während der Rest modern gestaltet werden kann. Im Inneren soll das Humboldt-Forum entstehen, und zwar als ein in erster Linie den außereuropäischen Kulturen gewidmetes Kunst- und Kulturerfahrungszentrum, wie es Berlin bislang noch nicht gesehen hat.

Die Berliner Schlossdebatten wurden im Wesentlichen von zwei sehr gegensätzlichen Positionen bestimmt. Die Gegner der vorgeschlagenen Teilrekonstruktion forderten entweder den Erhalt des Palastes der Republik oder sprachen sich für eine Neubebauung des Platzes mit zeitgenössischer Architektur aus. Den Befürwortern ging die geplante Teilrekonstruktion nicht weit genug, und sie forderten auch die östliche Spreefassade in ihrer ursprünglichen Fassung sowie beide Innenhöfe und die Wiederherstellung ausgewählter Innenräume wie Treppenhäuser und Paradekammern, damit künftige Generationen - bei entsprechender Finanzlage - die Chance hätten, eine Komplettrekonstruktion irgendwann einmal zu vollenden, also eine Wiedererrichtung unter musealen Aspekten, ähnlich wie im Fall der Münchner Residenz. Dafür spräche auch die Tatsache, dass das von Schlüter gestaltete und von Eosander und Böhme weitergebaute Schloss einst zu den herausragenden Barock-Bauten im nördlichen Europa gehörte.

Die in dieser Debatte ausgetauschten Argumente ließen sich auf nahezu jedes Rekonstruktionsprojekt vergleichbarer Art anwenden. Die Gegner hatten denkmalpflegerische Bedenken ("konservieren, nicht restaurieren" nach Dehio 1905), appellierten an die geradezu moralische Pflicht zur zeitgemäßen architektonischen Selbstdarstellung (Nerdinger 2008, 20), setzten die fragwürdige Authentizität rekonstruierter Gebäude in Gegensatz zu wirklicher Wahrhaftigkeit, qualifizierten jede Rekonstruktion als unschöpferisch, verlogen und unwahr ab, sprachen von Scheinwelten, Attrappen, Fälschungen, Schattenbeschwörungen und Schlimmerem und setzten ein teilweise wiederstehendes Schloss gar mit undemokratischem Gedankengut und Geschichtsklitterung gleich, dem ein Humboldt-Forum mit seinem Bezug auf die außereuropäischen Kulturen nur als scheinbar weltoffenes Feigenblatt vorgeblendet werden solle. All diesen Aspekten ist durchaus eine gewisse Ideologisierung und Moralisierung gemein, wie kürzlich der Bauhistoriker Winfried Nerdinger hervorhob (Nerdinger 2007, 181).

Die Fürsprecher wiesen auf die Chance der Wiedergewinnung eines historisch, kunsthistorisch und stadträumlich bedeutenden Ortes hin und hoben den identitätsstiftenden Aspekt hervor, der andernorts wie selbstverständlich akzeptiert würde, warum also nicht auch in der Mitte Berlins. Gegenüber dem Bedeutungsinhalt und der immateriellen Substanz des Gebäudes würden das reale Alter und alles Materielle in den Hintergrund treten. Auch in diesen Argumenten steckt ein gerüttet Maß an Ideologisierung und Moralisierung. Doch dies gilt schließlich für die ganze Diskussion seit 18 Jahren, was bei einem Ort dieser Historizität wohl nicht anders sein kann, wenngleich etwas weniger Aufgeregtheit der Suche nach einer sachgerechten Lösung sicher dienlicher gewesen wäre.

Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass das Schloss im Zentrum Berlins eine prominente Stelle einnimmt, und die Geschichte des Schlosses war seit jeher engstens mit der Geschichte der Stadt verbunden. Das Schloss war das Bindeglied zwischen mittelalterlicher Stadt und barocker Königsresidenz und bildete zusammen mit den historischen Bauten in seiner unmittelbaren Umgebung einen der bedeutendsten städtischen Bereiche Berlins. Zeughaus, Dom, Marstall, sie alle beziehen sich unmittelbar auf das Schloss und suchen den Dialog mit ihm, und selbst die Modernität von Schinkels klassizistischem Alten Museum wird nur im Spiegel der Barockfassaden des Schlosses wirklich verständlich. Bei den Gegnern zählen diese Argumente wenig. Tatsache bleibt aber, dass es durchaus gute Gründe gibt, mit einer Teilrekonstruktion diese Lücke im historischen Zentrum Berlins wieder zu schließen

In all diesen Diskussionen über eine Teilrekonstruktion des Schlosses wurde aber auch deutlich, dass eine Debatte darüber ohne ein überzeugendes Nutzungskonzept nicht wirklich zielführend ist. Die Ideen dazu waren zahlreich und höchst phantasievoll: Sitz des Bundespräsidenten, Berlin-Repräsentanzen der deutschen Bundesländer, Niederlassung bedeutender politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Institutionen sowie nationaler oder internationaler Organisationen, Repräsentationsgebäude mit Festsälen für Staatsempfänge sowie einem Veranstaltungs- und Konferenzzentrum der Regierung. Nicht gerade sehr zukunftsweisend waren auch Überlegungen, in einem rekonstruierten Schloss Kunstgewerbemuseum und Gemäldegalerie unterzubringen. Und erst kürzlich hörte ich wieder den Vorschlag, es müsse alles gestoppt werden, denn in das Schloss gehöre einzig und allein das Bundesverfassungsgericht. Die Vorstellungen von einer Mischung aus öffentlicher und kommerzieller Nutzung mit Konferenzzentrum und Hotel, Bibliothek, Ausstellungshalle, Geschäften, Restaurants und Parkhaus - Braunschweig lässt grüßen - wurden glücklicherweise sehr schnell verworfen.

Die Expertenkommission "Historische Mitte Berlins" schlug eine Nutzung von gesellschaftlich herausragender Bedeutung vor und sprach sich mit Nachdruck für ein Konzept mit kulturpolitischer Ausstrahlung und starker urbaner Wirkung aus, nämlich das von Klaus-Dieter Lehmann, dem damaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ins Gespräch gebrachte Humboldt-Forum. Dieses stark integrative Nutzungskonzept trüge die Chance in sich, die beteiligten Institutionen zu vernetzen, und die dem Humboldt-Forum zugrundeliegende übergreifende Idee würde aus der Historizität des Orts entwickelt. Darauf gründete sich dann die Empfehlung der Kommission, das Schloss in Teilen zu rekonstruieren.

Das Konzept des in der Kubatur des Schlosses entstehenden Humboldt-Forums und unsere Arbeit daran wäre Thema eines eigenen Vortrags, weshalb ich mich hier kurz fassen möchte. Das Humboldt-Forum im Schloss soll ein Ort der Künste und Kulturen Afrikas, Amerikas, Australiens, Ozeaniens und Asiens werden, eine Erweiterung der Museumsinsel mit ihren Kulturschätzen Europas und des Nahen Ostens. Museumsinsel und Humboldt-Forum verbindet ein enger inhaltlicher Zusammenhang, beide zusammen bilden den neu entstehenden Ort der Weltkulturen, in dem jeder Kontinent seinen Platz hat. Und die Gebrüder von Humboldt stehen für eine kosmopolitische Weltsicht und die Erkenntnis von der Gleichberechtigung aller Kulturen.

Um diesen einzigartigen Komplex aus Museumsinsel und Humboldt-Forum lagert sich ein Gürtel weiterer bedeutender und zukunftsgerichteter Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen mit Humboldt-Universität, Deutschem Historischem Museum, Staatsbibliothek-Preußischer Kulturbesitz und Zentral- und Landesbibliotek Berlin, eine einmalige kulturelle und wissenschaftliche Topographie, die das neue geistige Zentrum der Hauptstadt Berlin werden kann.

Drei Einrichtungen werden das Humboldt-Forum bespielen. Die größte Fläche werden die SMB der SPK mit ihren derzeit noch in Dahlem befindlichen außereuropäischen Sammlungen einnehmen, fast 600.000 Artefakte und Kunstwerke aller Kontinente, ergänzt durch Ton- und Filmdokumente (darunter 16.000 Wachszylinder). Hinzu treten die ZLB mit ihren fünf Kernbereichen Tanz/Bühne, Film, Kunst, Musik und Kinder/Jugendliche und einem großen Service-Bereich sowie die Humboldt-Universität mit ihren wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen, Seminar- und Veranstaltungsräumen.

Museen, Bibliothek und Universität hatten hier in der brandenburgisch-preußischen Kunst- und Wunderkammer des Berliner Schlosses ihre gemeinsame Keimzelle. Von hier aus machten auch die völkerkundlichen Sammlungen den Schritt hinüber ins zunächst Neue Museum und anschließend weiter bis nach Dahlem. Museen, Bibliothek und Universität kehren nun zurück an den Ort ihres Ursprungs, nehmen ihn ganz in Besitz und werden hier neue Formen des komplementären Zusammenwirkens entwickeln.

Das künftige Humboldt-Forum wird sich dabei in drei zentrale Bestandteile gliedern: die Agora, die Werkstätten des Wissens und die Ausstellungsbereiche. Die Agora im Erd- und Untergeschoss wird der zentrale Empfangs- und Veranstaltungsbereich sein, eine Verteilerplattform zur schnellen Orientierung der Besucher, die mit ausgewählten Sammlungsstücken auf die zentralen Ausstellungsthemen vorbereitet und die mit Multifunktionsräumen für Veranstaltungen in den Bereichen Theater, Film, Musik und Performances die Vielfalt der Weltkulturen und der Diversität ihrer Erscheinungsformen deutlich macht. Weitere Räumlichkeiten sollen sich neuesten Entwicklungen der Gegenwartskunst aus Afrika, Asien oder Amerika widmen. Als Forum für Wissenschaft, Kultur und Politik wird die Agora auch ein Ort für Diskussionen sein, in denen die großen gesellschaftspolitischen Themen in hochrangiger Besetzung debattiert werden, und zwar in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen im In- und Ausland.

In den Werkstätten des Wissens werden die natürlichen und kulturellen Grundlagen dieser Vielfalt erforscht und auf modernste Weise in elektronischen und gedruckten Medien der Öffentlichkeit vermittelt: Es ist die Begegnung mit dem globalen Wissen der Welt, alle Bereiche des interkulturellen Dialogs umfassend und frei zugänglich bis in die späten Abendstunden in den Lese- und Diskursräumen der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB). Wissen wird hier für alle anschaulich gemacht und zu einem multimedialen Erlebnis.

Doch das Humboldt-Forum wird auch ein Ort der Wissenschaft und der Spitzenforschung sein. Gerade die in Berlin so starken Regionalwissenschaften können im Humboldt-Forum einen Ort finden, an dem sie zusammenfinden und themenspezifische Verbünde bilden. Ferner denken wir an spezielle Stipendienprogramme, mit deren Hilfe sich internationale Forschergruppen bestimmten Themen widmen. Sie werden im Humboldt-Forum arbeiten, und sie werden dies stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit tun als anderswo.

In den Ausstellungsbereichen kann sich der Besucher dann auf eine Reise durch die Welt begeben, durch Afrika, Amerika, Ozeanien und Australien sowie Asien. Entscheidend ist, bei der Präsentation der außereuropäischen Kulturen vielfältige und transdisziplinäre Zugänge zu schaffen. Wir wollen die Kunst und Kulturgeschichte der verschiedenen Natur- und Lebensräume unter für sie spezifischen und sich aus den Sammlungsschwerpunkten ergebenden Themen anschaulich machen.

Dabei ist es unerlässlich, in den Dauerausstellungsbereichen eine möglichst hohe Flexibilität zu erreichen. Es ist nicht unser Ziel, Ausstellungskonzepte zu erarbeiten, die dann über Jahrzehnte das Gesicht des Humboldt-Forums prägen sollen. Vielmehr muss es darum gehen, mit Hilfe einer modularen Innenarchitektur im Laufe der Jahre die einzelnen Kontinente und Lebenswelten mit immer wieder neuen Themen behandeln zu können. Allein der über 500.000 Objekte zählende Bestand des Ethnologischen Museums, eine der größten völkerkundlichen Sammlungen der Welt, verfügt über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir, das es nutzbar zu machen und zu erleben gilt, auch mit Hilfe sog. gläserner Archive.

Zum Ausstellungsbereich gehört ferner ein Bereich für Sonderaustellungen zu den großen Menschheitsthemen: Globalisierung, Migration, Zukunft der Städte u. v. m. Und hier wird auch Europa seinen Auftritt haben, weil diese Fragen die ganze Welt bewegen.

Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss wird ein Ort des Erfreuens und des Belehrens sein, ein Ort, von dem aus sich tragfähige Brücken zwischen den Kulturen schlagen lassen, was nie so notwendig war wie heute in unserer globalisierten Zeit. Das Humboldt-Forum soll ein lebendiger Ort für die ganze Gesellschaft sein, das Bürger aller Schichten, Schüler, Touristen und Spitzenforscher aus aller Welt gleichermaßen anlockt. Seine Anziehungskraft wird auf der Tatsche beruhen, dass es ein Ort ist, an dem die großen Themen der Menschheit von Fachleuten unterschiedlichster Disziplinen diskutiert, von Wissenschaftlern erforscht und dem Besucher auf ansprechende, ja faszinierende Weise präsentiert werden. Das Humboldt-Forum im Kontext mit den großartigen Sammlungen auf der Museumsinsel und vor dem Hintergrund der einmaligen Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in der Mitte Berlins kann so zu einem Ort für die ganze Welt werden. Dieser Ort hat das Potenzial, den Blick der Welt auf unser Land zu verändern. Insofern trägt das Humboldt-Forum auch eine hochpolitische Aufgabe in sich.

Ausgehend von der Historizität des Ortes soll hier also etwas Zukunftsweisendes gestaltet werden. Entscheidend ist dabei, dass die Etablierung des Humboldt-Forums in der Kubatur des Schlosses ja keinesfalls historisch völlig unmotiviert ist. Natürlich war das Hohenzollernschloss nie Bürgerforum, moderne Bibliothek oder stark frequentiertes Museum. Aber mit dem Bezug auf die brandenburgisch-preußische Kunst- und Wunderkammer als Keimzelle von Museen, Bibliothek und Universität greift das inhaltliche Konzept des Humboldt-Forums sehr wohl Teilfunktionen des alten Schlosses auf und entwickelt sie im modernen Sinne weiter. Was - noch - fehlt ist ein authentischer Entwurf, der die barocken Fassaden und die Innenräume mit den modernen Nutzeranforderungen in einer erstklassigen Architektur verbindet. Keine einfache Aufgabe, aber gewiss auch keine unlösbare! Ende November wissen wir dazu mehr.

Beispiele für eine Weiterentwicklung historischen Erbes mit zeitgenössischer Architektur und modernen Nutzungskonzepten gibt es in den großen Museumszentren europäischer Metropolen durchaus. So war etwa der Louvre in beklagenswertem Zustand, ehe François Mitterand sich höchstpersönlich seiner annahm und ohne Wettbewerb den Architekten Pei einsetzte. Es war das kulturelle Sendungsbewusstsein des Staatspräsidenten, das mit dem Auszug des Finanzministeriums aus dem Richelieu-Flügel neue Ausstellungsräume schuf und eine unterirdische Erschließungsebene unter der Cour Napoléon mit der gläsernen Pyramide im Hof des Louvre als Lichtquelle und monumentalem Zugang ermöglichte. Die Pyramide war dabei anfangs höchst umstritten, heute vermag man sie sich nicht mehr wegzudenken, ja sie ist ein Wahrzeichen des Louvre, wenn nicht sogar von Paris.

Weitere Beispiele für ein Weiterbauen oder Rekonstruieren von historischer Museumsarchitektur mit modernen Mitteln und zeitgemäßen Nutzungskonzepten liefern das British Museum in London (Überdachung des Innenhofs 1999-2001 durch Sir Norman Foster), die Berliner Museumsinsel und - natürlich - das Dresdner Residenzschloss.

Der von Rem Koolhaas entwickelte Masterplan 2014 der Ermitage in St. Petersburg sieht eine Erweiterung auf das benachbarte spätklassizistische Generalstabsgebäude vor, das einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen werden soll, wobei von der alten Bausubstanz wohl nur mehr die Fassaden erhalten bleiben werden. Die Suche nach etwas Neuem, das sich aus dem Vorhandenen entwickelt, steht dabei im Vordergrund. Diese Erweiterung der Ermitage ist auch mit neuen musealen Strategien und Präsentationsmethoden verbunden. Dabei geht es um ein innovatives Kulturprojekt von Museumsspezialisten und zeitgenössischen Architekten, ein Laboratorium für das Universalmuseum des 21. Jahrhunderts soll hier entstehen. Diese Pläne werden eine nachhaltige Wirkung auf die urbane Situation in St. Petersburg haben, denn das Erdgeschoss des Generalstabsgebäudes wird als städtisches Forum geplant, das sich zur Stadt hin öffnet. Damit unterstreicht die Ermitage ihre nationale und supranationale Bedeutung.

Auch das Puschkin-Museum in Moskau bereitet sich für das 21. Jahrhundert vor. Die Modernisierung und Erweiterung soll 2012 zu seinem 100. Geburtstag abgeschlossen sein. Der britische Stararchitekt: Sir Norman Foster ist beauftragt, die Ausstellungsfläche des heutigen Museumsgebäudes (1898-1912) zu vervierfachen, und zwar unter Einbeziehung umliegender Villen und neuer Gebäude, die durch Grünanlagen, Fußgängerzonen und unterirdischen Tunnelverbindungen miteinander verbunden werden. Am Ende soll ein herausragender Kulturkomplex mit Galerie, Bibliothek, Konzertsaal und Verwaltungszentrum entstehen, der die Stellung des Puschkin-Museums als Museum von Weltrang untermauern und in Nähe des Louvre und des British Museum rücken soll. Die Voraussetzungen sind günstig, bedenkt man, dass der jeweilige russische Staatspräsident Vorsitzender im Kuratorium des Puschkin-Museums ist, (und mit den Beutekunstbeständen aus Deutschland mag dieses Ziel sogar erreichbar sein).

Schluss

Die großen Museen wollen heute am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr nur "in sich selbst ruhen" und ihre traditionellen Aufgaben des Sammelns, Bewahrens, Erforschens und Vermittelns bestmöglich erfüllen, sondern sie suchen sich in großen Gesten nach außen zu öffnen und spartenübergreifende Aktivitäten und Dienstleistungen weit über die rein museale Präsentation hinaus anzubieten, ja die Museen entwickeln sich immer häufiger zu facettenreichen Kunst- und Kulturerfahrungszentren, dahin jedenfalls gehen die umfassenden Konzepte der großen Weltmuseen in St. Petersburg, Moskau, Paris und - auch in Berlin. Nur jene Museen, die sich dem Wandel der Zeit stellen, werden weiterhin besondere Vitalität entfalten können.

Eine solche Zukunft lässt sich nicht ohne Bauen realisieren, und fast immer kommt es dabei auch zu einer Verbindung von Altem und Neuem, von historischer bzw. historisierender und zeitgenössischer Architektur, die für die Museen keine Notlösung darstellt, sondern ihre Geschichte widerspiegelt, sie zugleich aber auch fortschreibt und dadurch sinnfällig ihre Rolle zwischen Geschichtsbezogenheit und Zukunftsvision veranschaulicht. Nicht nur Beispiele aus Deutschland zeigen, dass immer dann, wenn es um historisch besonders aufgeladene Orte geht, sich die Frage nach einer vollständigen oder zumindest teilweisen Rekonstruktion symbolbehafteter historischer Architektur unweigerlich stellt. Wollten sich die Museen dem nicht stellen, müssten sie wohl auf solche Standorte verzichten. In Peripherlagen wäre sicher so manche Gestaltungsfreiheit möglich, die man in historischen Stadtkernen vermisst.

Kaum eine andere europäische Metropole hat die Chance, einen solch zentralen und historisch aufgeladenen Ort mit einem vergleichbar weitreichenden kulturellen Projekt zu besetzen wie Berlin mit dem Humboldt-Forum in der Kubatur des Berliner Schlosses. Und dabei geht es ganz eindeutig um einen nutzungsorientierten und nicht um einen musealen Wiederaufbau. Eine weitgehende Rekonstruktion der Raumverhältnisse im Inneren würde deshalb den Ansprüchen an ein modernes, vielfältiges und lebendiges Kunst- und Kulturerfahrungszentrum, wie das Humboldt-Forum es sein soll, kaum gerecht werden können; dies wird man bei der Entscheidungsfindung zur Architektur zu bedenken haben. Natürlich muss es gelingen, die historisierenden Fassaden außen mit den modernen Nutzungsanforderungen innen auf gelungene Weise zu vereinen. Doch ebenso gewiss ist, dass die Fassaden nicht das eigentliche Problem darstellen.

Der frühere Berliner Kultursenator Thomas Flierl hat völlig Recht, wenn er schreibt: "Nicht die Debatte über die Fassadengestaltung, sondern ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, ein solches öffentliches "grand projet" zu konzipieren und zu realisieren, ist die bundespolitisch entscheidende Frage" (Flierl 2008).