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Ein O für jede Brust

Halten soll er, nicht hängen – Katrin Gäbler verkauft BHs in Übergrößen. Dabei landet manch alter Halter im Müll.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Zwei Körbchen können Probleme bereiten. Wenn sie nicht passen und zwicken. Katrin Gäbler kennt solche Gefühle. Die 51-Jährige verkauft seit zwei Jahren Büstenhalter in Übergrößen. Bei Größe C fängt das Angebot an. Nach Größe O kann selbst Katrin Gäbler nichts mehr bieten. O? Das ist der 15. Buchstabe im Alphabet. So viele BH-Größen soll es geben? Wo doch sonst nur B und C gefragt und oftmals angeboten werden. „Aber klar, es gibt auch O“, sagt die Geschäftsfrau. Die Modelle ordert sie in Großbritannien. Dort gibt es die XXL-BHs nicht nur in einer Farbe, sondern in allerlei Variationen, bunt, mit Spitze und Glitzer und mit verstellbaren Trägern.

Die Idee für das Geschäft kam von Katrin Gäblers Mann. „Warum verkaufen wir nicht BHs?“, hatte der vor fünf Jahren spontan gefragt. Das Paar war damals gerade aus den Niederlanden zurückgekommen. Dort hatten die beiden 20 Jahre lang gelebt und gearbeitet. Dann hatte es sie zurück in die Heimat gezogen. In Dresden wollten die Brandenburger sesshaft werden. Doch mit dem Job wollte es nicht klappen. Katrin Gäbler hatte in Deutschlands Nachbarland ebenfalls im Handel gearbeitet, sogar bis zur Filialleiterin in einer großen Schmuck- und Accessoire-Kette hatte es die 51-Jährige geschafft. In Dresden hatte sie kein Glück mit diesem Lebenslauf. „Überqualifiziert“, sagt sie. Und die Bezahlung stimmte nicht.

Dann machte ihr Mann den Vorschlag mit dem Dessousgeschäft. Am Anfang war sie skeptisch. „Ist klar“, hat sie spontan geantwortet, hat mit dem Kopf geschüttelt. Welche Schnapsidee. Dabei hatte auch sie sich stets beschwert, wie schwer es ist, den richtigen BH zu finden. Wann aus der Schnapsidee schließlich doch der Schritt in die Selbstständigkeit wurde, wissen beide nicht mehr so genau. Wie hart der Weg war, bis sie schließlich öffnen konnten, daran erinnern sie sich dafür sehr genau.

Drei Jahre hat sich das Paar vorbereitet. Gründerseminare, Dutzende Termine bei Banken mit langen Verhandlungen, die Suche nach geeigneter Ware und Schulungen zu den Produkten. Auch die Ladensuche war schwer. „Die Mieten im Zentrum sind einfach zu hoch“, sagt Volker Gäbler. In Löbtau wurden sie fündig. Auf der Reisewitzer Straße nahe der Kesselsdorfer haben sie sich eingerichtet. Volker Gäbler hat alles im Laden selbst entworfen und gebaut. Jede Wandfarbe wurde abgestimmt. Was wirkt wie, wo fühlen sich Frauen wohl? Wie groß muss eine Umkleide sein? Nun gibt es dort sogar Deo, Tempobox, Haargummis und Schuhanzieher.

Eine Schnatterecke für die Kunden? Ist das notwendig? „Ja“, findet Katrin Gäbler. Ihr Wunsch wurde erfüllt. Oft sitzt die Geschäftsfrau dort nun mit ihren Kundinnen, die zu Freundinnen geworden sind. Es gibt dann Käffchen oder Sektchen – so steht es auf Schildern über der Sitzecke an der Wand.

Nicht nur deshalb kommen die Kunden. Inzwischen reisen Frauen nicht allein aus Dresden an, um hier BHs zu kaufen. Katrin Gäbler hat Kunden in ganz Deutschland. „Wohlgeformt“ hat sie ihren Laden genannt. Hier kauft die Studentin, die Kassiererin, die Großmutter. „Wenn ich zum Arzt gehe, will ich schließlich was Schickes drunter haben“, hat eine der älteren Damen mal gesagt. Eine andere erzählte von der späten Liebschaft, für die sie nun auch drunter schick sein wollte.

Familiär geht es zu. Die Geschäftsfrau nimmt sich Zeit, berät lange. Schon beim Reinkommen sieht die Dessousexpertin, ob der alte BH richtig sitzt. Ihr Urteil? Vernichtend. Nur bei einer Kundin habe der Umfang, den diese nannte, auch gestimmt. „Die meisten Frauen tragen eine falsche Größe“, sagt sie. Eine schwierige Materie. Die Kennzahlen für Umfang und Körbchengröße variieren von Modell zu Modell. Die eine Größe pro Frau gibt es einfach nicht. Die Folge sind Schmerzen. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen. Katrin Gäbler war deswegen in physiotherapeutischer Behandlung. Nun braucht sie das nicht mehr. „Weil der BH jetzt passt“, sagt sie.

Das sagt auch Sarah Koch. Die 27-jährige studiert in Dresden. Nebenbei jobbt sie im Supermarkt an der Kasse. Dort haben sie die Gäblers angesprochen und ihr eine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Ungewöhnliche Werbung. Aber eine, die ankommt. „Wir sprechen oft Frauen auf der Straße an, die potenzielle Kunden sind“, sagt Volker Gäbler. Natürlich charmant.

Viele von ihnen kommen dann in den Laden. So wie Sarah Koch. Auch sie hat jahrelang nichts gefunden und mit Rückenschmerzen gekämpft. Sogar eine Operation zur Brustverkleinerung hatte ihr der Arzt angeraten. Notwendig ist das nun nicht mehr. Mehrmals im Jahr kauft sie hier ein. Ihre alten BHs hat sie weggeschmissen. „Das machen viele meiner Kunden“, sagt Katrin Gäbler. Manch einer hat den alten gleich im Geschäft entsorgt.

Bereut hat das Paar den Schritt in die Selbstständigkeit nie. Seit fast 30 Jahren sind sie verheiratet. Sie hatten den gleichen Lebensweg, teilen nun den Job. Sie kümmert sich um die Beratung, er um die Buchhaltung. Im Hinterzimmer hat er sein Spielzimmer aus Bestellzetteln, Quittungen und Steuererklärung. Mit in die Kabine zum Anprobieren kommt Volker Gäbler nie. „Das sollen die Mädchen unter sich machen“, sagt er. Den Lohn für die Mühe haben die beiden von einer großen Fachzeitschrift bekommen. Das Löbtauer Geschäft wurde zu einem der besten Dessousgeschäfte in ganz Deutschland ernannt. Stolz zeigt Katrin Gäbler die Urkunde. Noch mehr freut sie sich aber über das Lob der Kunden. Immer dann, wenn zwei Körbchen endlich passen.