Merken

Ein Mann gegen das Chaos

Unfall, Panne, Havarie – wenn ein Fahrzeug nicht mehr will, ist Abschlepp-Unternehmer Axel Fröhlich zur Stelle.

Teilen
Folgen
NEU!
© Egbert Kamprath

Von Jörg Stock

Dippoldiswalde. Axel Fröhlich ist auf alles gefasst. Nach über dreißig Jahren Dienst an Pannenfahrzeugen und Unfallstellen gibt es nicht viel, was er noch nicht gesehen hat. Dachte er. Doch der Anblick, der ihn am Morgen des 19. Juli 2014 auf der A4 in Dresden erwartet, stellt alles in den Schatten. Die Verwüstung, das Trümmerfeld, die Toten – er geht wie durch ein Kriegsgebiet. Am schlimmsten sind die Handys. Überall verstreut, klingeln die Geräte ohne Pause nach ihren Besitzern. Aber keiner geht ran. Bis heute hat Axel Fröhlich diese Töne im Ohr. „Es klang wie … wie Höllenmusik.“

Stunden des Grauens: Im Juli 2014 zieht Axel Fröhlich mit seinem Kran einen verunglückten Reisebus von der Autobahnböschung in Dresden. Fast ein Dutzend Menschen kam bei dem Unfall um.
Stunden des Grauens: Im Juli 2014 zieht Axel Fröhlich mit seinem Kran einen verunglückten Reisebus von der Autobahnböschung in Dresden. Fast ein Dutzend Menschen kam bei dem Unfall um. © Foto: Firma Fröhlich

Dieser Julitag schockiert das Land. In aller Frühe ist ein polnischer Reisebus durch die Mittelleitplanke gerast, hat einen Kleinbus pulverisiert und liegt nun auf der Böschung. Zehn Menschen sind tot, Dutzende schwer verletzt. Fröhlichs Dippoldiswalder Firma, viele Jahre schon an der Autobahn aktiv, wird alarmiert, um den Bus anzuheben. Sind darunter weitere Opfer?

Direkt neben den schon geborgenen Leichen muss Axel Fröhlich seinen Kran in Stellung bringen. Das völlig zerdrückte Vehikel ist kaum zu fassen. Busse haben keine Henkel. Was, wenn das Wrack ins Rutschen kommt? Fröhlich hat nur einen Versuch. Alles muss 200 Prozent halten. Er vertraut seiner Erfahrung und den 40 Tonnen seiner Maschine. Die sind sein Schutz, falls es schief geht. Aber es geht gut. Schließlich steht der Bus wieder auf den Rädern. Weitere Tote werden nicht gefunden.

Abschleppdienste haben keinen guten Ruf. Freilich, sagt Axel Fröhlich, hat das Abschleppen die Eigenschaft, teuer zu sein, zumindest, wenn man keinen Schutzbrief hat. Dann müssen er und seine Leute sich wüste Schimpfworte anhören. Der „Halsabschneider“ gehört zum Standard. Kein Betroffener denkt an die Anschaffungskosten für die teure Technik, an die Ausgaben für das Personal, das Bereitschaft schiebt, auch wenn nichts passiert oder wenn Wochenende ist und die Männer von daheim in die Spur gehen müssen. „Die Kollegen wohnen ja nicht in der Firma“, sagt Fröhlich sarkastisch.

Das tragische Busunglück hat die Meinung über die Branche ein wenig korrigiert. Etliche haben sich nachher bei ihm bedankt, sagt Axel Fröhlich, weil sie sahen, was alles dran hängt an diesem Job. Eine Danksagung hat er aufgehoben. Unter Glas steht der Brief in seinem Büro. Er ist vom einstigen Landesvater und lobt in dunkler Tinte die Einsatzbereitschaft des Unternehmers: „Diese Bereitschaft ist nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der viele nur an sich denken…Ihr Kurt Biedenkopf“.

Multitalent wäre am besten

Vielleicht hat es mal eine Zeit gegeben, in der ein Fahrer plus Lastwagen reichte, um einen Abschleppdienst zu gründen. Vielleicht war das so in den 1960er-Jahren, als Axel Fröhlichs Schwiegervater Klaus Pötzsch anfing, im Osterzgebirge, speziell auf der Fernverkehrsstraße 170, Pannenautos zu bergen. Der Transitverkehr auf dieser Route nahm ständig zu. Pötzsch musste aufrüsten, unter anderem mit einem sowjetischen KrAZ-Laster, an den man die Seilwinde eines Schiffs montierte. Die Technik faszinierte den jungen Landmaschinenschlosser Axel Fröhlich so sehr, dass er die LPG verließ und bei Pötzsch anheuerte.

Ein Lasterführerschein ist längst nicht mehr genug, um im Geschäft zu bestehen. Der Abschleppdienstler ist heute ein Multitalent. Er braucht technisches Verständnis, muss viele Sorten Fahrzeuge steuern können, muss wissen, wie man mit Kran und Winde umgeht, muss ein bisschen Kaufmann sein, muss Rechnungen schreiben und Mietwagen herausgeben können. Und, ganz wichtig, sagt Axel Fröhlich, er muss menschlich „gut drauf“ sein, muss trösten können, denn manche sind nach einem Unfall völlig kopflos. Solche Mitarbeiter sucht Axel Fröhlich. Sie zu finden sei, trotz guter Bezahlung, „total schwierig“.

Am Unfallort soll der Abschleppwagen nach etwa 30 Minuten eintreffen, egal ob jetzt, nachts um zwei oder zu Weihnachten. „Das ist die Herausforderung“, erklärt der Chef. Gibt es was Größeres, fährt er selbst mit raus und macht den Bergungsleiter. Der Auftrag lautet kurzgefasst: Das Chaos beseitigen, und zwar so, dass nicht noch mehr Schaden entsteht.

Beispiel: Beim Abladen von Steinen in Freital kippt ein Laster auf die Seite. Dank des ausgefahrenen Kranarms schwebt das Führerhaus zehn Zentimeter über dem Boden. Das Terrain ist zu eng für einen großen Kran. Was tun? Platz schaffen, die abgeladenen Steine wegfahren. Matten zum Binden von Öl auslegen, damit das Pflaster nicht fleckig wird. Die hydraulischen Stützbeine am Unfallauto manuell einfahren, dazu erst mal das Öl ablassen. Kettengehänge am Laster anbringen und mittels Winde des Bergefahrzeugs, kleinem Kranauto und Umlenkrolle den Havarierten langsam aufrichten, anschließend alle Spuren beseitigen. Arbeitszeit: vier Stunden, Kosten: etwa 4 000 Euro. Der Laster konnte nach Hause fahren, ohne einen Kratzer an der Flanke. Sogar der Spiegel war noch heil.

Wie wird der Winter? Hoffentlich gut, sagt Axel Fröhlich. Gut ist der Winter für ihn, wenn es schnell knackig kalt wird und schneit, und dann wieder taut, und dann wieder schneit. Das fordert die Autofahrer. Freilich wünscht er keinem, dass er den Abschleppdienst braucht. Wenn er den Kunden „Auf Wiedersehen!“ sagt, so sagt er das ohne Kalkül. Mancher lacht dann und entgegnet: „Ja, aber bitte nicht so bald.“