Merken

Ein leeres Schaufenster mehr

Schweren Herzens trennt sich Gertrud Kästner von ihrem Trödelladen am Rathausplatz – allerdings nicht wegen der Lage.

Teilen
Folgen
© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Gertrud Kästner hatte gehofft, schneller wieder auf die Beine zu kommen. Im vergangenen Jahr hat sie ein neues Knie bekommen. „Ich dachte, das alte kommt raus, das neue Gelenk kommt rein, ein paar Wochen Reha, dann geht das schon wieder irgendwie.“ Da spricht die Optimistin in Gertrud Kästner. Immerhin hat sie mit ihrem Trödelladen schon ganz andere Geschichten durch. Doch dazu später. Vor allem wegen ihres gesundheitlichen Zustandes gibt sie ihr Geschäft nun auf – schweren Herzens.

Ein leeres Schaufenster mehr am Riesaer Rathausplatz.
Ein leeres Schaufenster mehr am Riesaer Rathausplatz. © Sebastian Schultz

Schon Ende vergangenen Jahres war sie kaum im Laden. An Kartons tragen und Möbelrücken ist für die Zeithainerin nicht mehr zu denken. „Und ich habe auch noch eine Mutter zu Hause, die mehr und mehr meiner Hilfe bedarf.“ Zudem arbeitet Gertrud Kästner als Trauerrednerin. Ein Job, den die 65-Jährige noch nicht an den Nagel hängen möchte – doch dann noch die Arbeit im Laden. Das ist ihr einfach zu viel.

Leicht gefallen ist es ihr nicht, das Trödeln aufzugeben. „Ich habe diesen Schritt schon lange vor mir hergeschoben.“ Ihren Laden neben Foto-Schröter nennt sie auch ihr „kleines Museum“. Wenn sie von den Dingen erzählt, die sie verkauft, leuchten ihre Augen. „Ich liebe die alten Sachen. Häufig sind es Alltagsgestände, aber solche, die noch von Hand gefertigt wurden. Das sieht man ihnen auch an. Sie haben Ecken und Kanten, aber das ist gerade das Schöne daran. Diese Dinge sind nicht so gleichmäßig und uniform wie Massenware.“

Und sie interessiert sich für die Geschichten ihrer Antiquitäten – recherchiert zum Teil auch noch mal nach, um der Herkunft auf den Grund zu gehen. Das kommt nicht von ungefähr.

Schließlich ist Kästner studierte Museumswissenschaftlerin. In der Trödelbranche ist sie durch einen tragischen Zufall gelandet. „Eine Freundin von mir ist vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Daraufhin habe ich ihren Kindern den Trödelladen ihrer verstorbenen Mutter abgekauft“, erzählt sie. Das Geschäft stand in Meißen in der Burgstraße. Von dort aus ist Kästner vor der 2013er Flut in ein anderes Ladenlokal am Theaterplatz gezogen.

„Man hat mir versichert, dass der Laden trocken bleibt, wenn alle Sicherungsmaßnahmen funktionieren. Doch das haben sie dann leider nicht.“ Die Folge waren 2,20 Meter Wasser im Laden. „Ich hatte damals fünf Stunden Zeit, um das Geschäft auszuräumen. Alles, was ich nicht wegbekommen habe, ist abgesoffen.“ Daraufhin zog die engagierte Händlerin auf die Meißner Schlossstufen. „Das war eine schöne Lage, sehr romantisch, aber der An- und Abtransport war dort eine Katastrophe. Zumal ich in dieser Zeit schon mit meinem Knie zu kämpfen hatte.“

Also zog Gertrud Kästner noch einmal um – diesmal nach Riesa. „Von der Lage her hat mir das viel besser gepasst, weil ich in Zeithain lebe. Da kommt man natürlich schneller hin und her.“ Seit Sommer 2015 verkaufte sie ihre alten Puppen, Möbel, Geschirr und Schmuck also am Rathausplatz. Obwohl Meißen der eindeutig bekanntere und frequentiertere Schauplatz für Trödelläden ist, hat sie sich in Riesa als Händlerin immer wohlgefühlt. „Klar, das ist hier keine super Lauflage, aber besonders an Markttagen schauen viele Leute vorbei.“ Zudem laufe inzwischen viel übers Internet. Viele ihrer Antiquitäten bietet sie auch bei Ebay-Kleinanzeigen an. „Das zieht auch Kunden in den Laden. Neulich war jemand aus Dresden hier.“

Das nächste Unglück ließ allerdings nicht lang auf sich warten. „Im Mai 2016 kam ich in den Laden. Ich weiß noch genau, wie ich mich darüber gewundert habe, dass der Fußboden so glänzt. Dann habe ich an die Decke geguckt. Von dort tropfte es ohne Unterlass.“ In der Wohnung im ersten Stock war der Geschirrspüler kaputt gegangen. Das ganze Wasser aus dem Gerät war in der Geschossdecke versickert und schließlich in den Trödelladen geflossen. „Erst kam das Wasser von unten, dann von oben“, sagt sie. Erst vier Monate nach dem Vorfall konnte Gertrud Kästner ihren Laden wieder öffnen. Und ausgerechnet dann machte ihr die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung.

Schon jetzt fängt Gertrud Kästner an, aufzuräumen, dabei steht der große Ausverkauf noch bevor. Im Februar möchte sie ein großes Schild ins Schaufenster hängen, das auf die nahende Ladenschließung hinweist. Wahrscheinlich ab März wird es damit wohl ein leeres Schaufenster mehr in Riesa geben.