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Ein Leben für das Stadtgrün

Der deutsche Nestor der Gartenkunst stammt aus Görlitz. Dieter Hennebo starb vor zehn Jahren.

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© Sammlung Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Görlitz. Das hier ist eine Geschichte von Flucht und Vertreibung. Sie erzählt von einer berühmten alten Görlitzer Gartenbaufirma und von zwei jungen Menschen.

Dieter Hennebo um 1985.
Dieter Hennebo um 1985. © Sammlung Ralph Schermann

Der eine Mensch heißt Dieter Hennebo. Im Juni 1923 kommt er in Wittenau zur Welt, ein paar Kilometer nördlich der Stadt Görlitz, jenem Ort, in dem er Kindheit und Jugend verbringt. Er beginnt in Prag ein Studium der Medizin, das er nach vier Semestern beendet. Viel mehr interessiert ihn der Gartenbau, wie ihn östlich der Neiße die berühmte Firma Jesche & Co praktiziert. Auch Waltraud interessiert ihn. Sie ist die zweite Person in dieser Geschichte und die Tochter des Chefs besagter Firma, Martin Rother. Im elterlichen Betrieb lernt sie Gärtnerin. Eine Geschichte, die mit Blumen und Idylle zu einem Happy End kommen könnte. Doch es ist 1945, es ist Krieg.

Auch Dieter Hennebo wird in diesen Krieg geschickt. Verwundet erlebt er das Ende des Infernos in der Fränkischen Schweiz bei Verwandten. Zu Fuß schlägt er sich in die Heimat durch, in der die Neiße zum Grenzfluss geworden ist. Ein gewitzter kleiner Junge trägt seinen Zettel durch diese neue Grenze in die Gärtnerei in Moys, und wenige Stunden später liegen sich Waltraud und Dieter nahe der Peterskirche in den Armen. Ein Zurück gibt es für die junge Frau nicht mehr, denn an der Behelfsbrücke erlebt sie wenige Stunden später, wie ihre Eltern aus dem polnischen Teil vertrieben werden. „Nur mit dem, was ich am Leibe hatte, ging ich mit Dieter nach Pottenstein ins Fränkische“, erzählt sie.

Sie sind Tage unterwegs, erbetteln sich unterwegs Essen. „An einem Tag hatten wir nur eine Zwiebel“, notieren sie. Unterwegs in Tharandt beschließen sie spontan, zu heiraten. Für den Standesbeamten ist es am 5. Juli 1945 die erste Trauung nach dem Krieg, noch liegt ihm das „im Namen des Führers“ auf den Lippen.

Später gehen beide noch einmal zu Fuß nach Görlitz. Mittlerweile hat sich die Firma Jesche im Görlitzer Westteil etabliert. Ihr Büro unterhält sie dort, wo heute das City-Center steht: An der Frauenkirche 12. 1948 legt Dieter Hennebo hier seine Gärtnerprüfung ab. Auch Henry Kraft wirkt hier, jener Mann, der die Görlitzer Grünanlagen und Parks zur Blüte bringt und dessen Name für Gestaltung von Tierpark, Zwinger und Ochsenbastei steht. Er war zur NSDAP-Zeit deren Mitglied und muss sich deshalb erst bewähren, ehe er wieder Stadtbaudirektor in Görlitz wird.

Dieter Hennebo beginnt 1948 ein Studium an der Berliner Humboldt-Uni, diplomiert 1952, promoviert zum Doktor der Agrarwissenschaften und bereitet 1953 seine Habilitation über die deutsche Gartenbaukunst vor, für die er „nebenbei“ kunstgeschichtliche Vorlesungen besucht. Kaum zu glauben: In Görlitz ist er 1950 und 1951 neben seinem Studium ebenfalls aktiv und übernimmt, nun als Diplomgärtner und Gartenarchitekt, die Leitung der Firma Jesche. Einer der ersten Großaufträge ist die Gestaltung des sowjetischen Ehrenfriedhofes in Rauschwalde. 1951 stirbt Waltraud Hennebos Vater. Als Schwiegersohn Dieter 1953 in Berlin eine Wohnung erhält, folgen ihm Frau, Sohn und Tochter in die Hauptstadt. Damit endet die Görlitzer Hennebo-Zeit, erst recht 1956, als die Familie in den Westteil Deutschlands auswandert.

Dort wird Dieter Hennebo Assistent in einer Lehranstalt in Geisenheim, dann Direktor der Gärtnerschule Essen. 1960 bekommt er einen Lehrauftrag an der TU Hannover, 1965 eine Professur. Er kämpft um die Anerkennung der Gartendenkmalpflege, die in akademischen Kreisen belächelt wird. Unermüdlich etabliert Hennebo seine Ansichten in Vorträgen, veröffentlicht 1984 ein Handbuch zur Gartendenkmalpflege, das noch heute als Standardwerk gilt. 1988 wird er emeritiert. Er ist ab 1965 Herausgeber der Fachzeitschrift „Das Gartenamt“, ab 1970 der „Geschichte des Stadtgrüns“. 1991 wird Dieter Hennebo der Friedrich-Ludwig-von-Sckell-Ehrenring verliehen, die höchste Auszeichnung im Bereich der Landschaftsarchitektur. Schüler Hennebos wirken später als Chef der Potsdamer Sancoussi-Gärten oder als Direktor des Fürst-Pückler-Parks in Bad Muskau.

Die DDR nimmt dem mittlerweile auch international bekannten Gartengestalter die Ausreise lange übel. Bis 1971 gilt ein Einreiseverbot. Beim ersten Besuch der Stätten ihrer Jugend werden Hennebos in Zgorzelec 1975 festgenommen. Ein bedauerlicher Irrtum, entschuldigen sich die Behörden, doch die Erfahrung verleitet nicht zu häufiger Wiederkehr. Erst nach der Wende gibt es öfter Treffen in und um Görlitz. Was für ein berühmter Mann Dieter Hennebo aber geworden ist, wissen hier dennoch nur wenige. Am 1. Januar 2007 ist er in Hannover gestorben.