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Ein Körper wie gemalt

Julie Boehm ist Weltmeisterin im Bodypainting. In der Magic City in Dresden holt sie sich besondere Inspirationen.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Wahrscheinlich gehört sogar der kleine schwarze Strich an ihrer Schläfe zum Gesamtkunstwerk. Zuzutrauen wäre es Julie Boehm, bei der kein Pinselstrich, kein Schritt und kein Blick zufällig wirkt. Wenn die 29-Jährige über die Motive ihrer Arbeit spricht, hat man Mühe, ihren künstlerischen Gedankengängen zu folgen, die in jeder Menge englischen Fachbegriffen verschlüsselt sind.

Dann lieber erst einmal zuschauen. Julie Boehm stammt aus Oberbayern und ist an diesem Donnerstagvormittag zu Gast in der Magic City, der Straßenkunst-Ausstellung in der Zeitenströmung. Hier steht sie mitten in einer bunten Formenwelt und lebt ihre schier unerschöpfliche Kreativität aus. Mit Pinsel und Acrylfarbe bemalt Julie die weißen Hosen und das weiße Top von Nicole aus Dresden, die hier etwa sechs Stunden stillstehen muss. Respekt!

Nach und nach verschmilzt die Rückseite des Models mit dem bunten Hintergrund des Kunstwerks. Camouflage nennt man diese Art von Bodypainting. Für die Stellen mit nackter Haut kommt Körper-Make-up zum Einsatz. In der linken Hand hält Julie ein Handy samt Selfie-Stick, auf dem sie ständig abgleicht, ob ihre Striche dem Entwurf entsprechen. „Beim Braun muss ich noch einmal nachfärben“, stellt sie fest. Die Farben sind beim Trocknen dunkler geworden und fügen sich nicht mehr exakt in die Szenerie ein.

Julie Boehm weiß, was sie tut und zwar vermutlich besser als jeder andere. Sie ist 2015 auf einem Festival am Wörthersee in Österreich Weltmeisterin im Bodypainting geworden. Auch davor und danach wurden ihre Arbeiten dutzendfach auf der ganzen Welt ausgezeichnet. Dabei stand Julie bis 2009 noch selbst Modell. Zufällig erkrankte dann bei einem Wettbewerb eine Malerin, und sie sprang spontan ein. Ihr Talent blieb nicht lange verborgen.

Allerdings sieht sich Julie Boehm nicht nur als klassische Bodypainterin, sondern als multimediale Künstlerin. Sie malt auch auf Leinwänden und allem, was nicht weglaufen kann. Dazu fotografiert sie, verarbeitet Bilder am Computer zu digitalen Kunstwerken und dreht eigene Filme. Während ihrer Ausbildung studierte Julie unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und lernte zwei Jahre an der Filmschool Babelsberg. Gerade ist sie auf der Zielgeraden eines Studiums für Animation an der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Woche über studiert sie, am Wochenende verdient sie sich durch kleine Jobs das Geld für ihre Projekte.

Im Juni sollen die Dreharbeiten zu einem Film beginnen, in dem die Protagonistin in ein Streetart-Gemälde fällt, weil sie nicht an die Illusion vor ihren Augen glaubt. Hier, in der Magic City in Dresden, möchte sich Julie noch Inspirationen für das Drehbuch holen. Sie selbst fragte deswegen vor einigen Wochen bei den Machern an, ob sie nicht mal vorbeikommen dürfe. Und natürlich durfte sie. Idealerweise wohnt auch der Filmemacher Marc Zimmermann, mit dem sie besonders gern zusammenarbeitet, in Dresden. Er hilft ihr auch bei diesem Projekt.

Vor einer Woche schauten sich die beiden zum ersten Mal in der Ausstellung um und suchten sich den perfekten Ort für ihr Happening aus: ein dreidimensionales Werk eines italienischen Graffiti-Künstlers. Am Donnerstagmorgen legten sie los und luden Model Nicole ein.

Das schwarze Tuch um ihren Mund dient nicht etwa als Schutz vor giftiger Farbe, wie man zunächst annehmen könnte. Es ist Teil der Deko. „Ich wollte nicht einfach ein Model bemalen, sondern einen Straßenkünstler“, erklärt Julie die Idee dahinter – wie passend. Und Straßenkünstler tragen nun mal oft solche Tücher, wenn sie an Häuserwände sprayen. Außerdem wurde Nicole ein weißes Basecap aufgesetzt. Eine ihrer Hände wurde mit Band zu einem Pinsel geformt, die andere soll später zu einem Stift werden. Wenn alle Farben passen, soll Nicole sich umdrehen und, einem Degenstoß gleich, mit dem Pinsel nach vorn springen. Eine „provokante Angriffspose“. Das Ganze soll also eher eine Performance werden als statisches Kunstwerk. Vor Ort erleben werden das allerdings nur wenige. Um den Auftritt festzuhalten, fotografieren und filmen Marc und Julie fleißig. „Damit schlagen wir die Brücke vom Analogen zum Digitalen“, sagt sie. Wer sollte daran zweifeln wollen.