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Ein Kirchenfenster wird restauriert

Kunstwerke können Lebenshilfe sein. Das wollen auch die schlichten Fensterbilder im Reinersdorfer Gotteshaus. Man muss sie nur zu deuten wissen.

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© M. Spindler

Von Matthias Spindler

Reinersdorf. Farbige Bleiglasfenster haben eine besondere Wirkung. Ob modern oder traditionell gestaltet, das durchscheinende Licht verleiht diesen Kunstwerken Strahlkraft. Natürlich unterliegen solche Fenster wie alle Teile von Bauwerken auch einem Alterungsprozess. Allein durch das Eigengewicht der Glasscheiben können die Bleirippen im Laufe der Zeit verformt werden. Eiserne Haltedrähte beginnen, allmählich zu rosten. Hat ein Kirchenfenster keinen äußeren Schutz, kommt der Druck des Windes als weitere Belastung hinzu.

In der Kirche zu Reinersdorf sind es zwei kleinere Bilder, die seit mehr als 100 Jahren den Blick des Besuchers nach vorn lenken. Im Kunstgeschmack jener Zeit dargestellt, zeigt das rechte Fenster ein Porträt von Jesus. Als Symbol für das Wort Gottes hält er ein Buch in seiner Hand. Im vorigen Jahr wurde dieses Fenster ausgebaut und komplett restauriert. Damit war viel Arbeit verbunden. In neuem Glanz schmückt es nun wieder unseren Altarraum.

Bilder für Altes und Neues Testament

Jetzt ist das linke Fenster an der Reihe. Auch hier ist eine Männergestalt zu sehen. Der Ausdruck des Gesichtes wirkt streng. Nach oben gerichtete Augen sowie Lichtstrahlen über dem Kopf deuten eine besondere Beziehung zu Gott an. Zwei Finger der rechten Hand liegen wie zum Schwur geformt auf den Steintafeln, die von der linken Hand gehalten werden. Wer die biblischen Geschichten kennt, weiß sofort: Hier ist Mose dargestellt. Mose und Jesus, da ist in vereinfachter Form der Glaube des Alten und des Neuen Testamentes abgebildet.

Für uns heute spielt die Erzählung von der Wüstenwanderung des Volkes Israel in einer sehr fernen Zeit. Doch einige Denkanstöße finden wir in diesen Geschichten schnell: Berichtet wird von einem Volk, das in die Freiheit aufbricht. Da gilt es, äußere Widerstände zu überwinden und sich den Ängsten ganz tief innen zu stellen. Da werden die eigenen Grenzen mitunter in schmerzhafter Deutlichkeit erfahren. Vor allem aber will das Vertrauen auf Gott gewagt und ausprobiert werden, und das auf jeder Etappe eines langen Weges neu.

Gebote als Lebenshilfe

Auf fast jedem Bild von Mose sind die zehn Gebote sichtbar. Sie regeln sowohl das Miteinander zwischen Mensch und Gott als auch das Zusammenleben untereinander. Ein großer Teil von diesem uralten Grundgesetz kehrt abgewandelt in unseren heutigen Moralvorstellungen und Paragrafen wieder. Doch die zehn Gebote sind keine Gesetze im Sinne einer Strafverfolgung. In erster Linie wollen sie Lebenshilfe sein. Sie dienen glaubenden Menschen als Anleitung für ein sinnvolles Dasein. Gottes Gaben dankbar zu nutzen und von ihm geschenkte Lebensmöglichkeiten nicht zu gefährden oder zu verspielen, darum geht es damals wie heute.

In sehr frühen Zeiten nannte man die Bleiglasfenster einer Kirche auch die Armenbibel. Wer wenig besaß, bekam keine Schulbildung, von Latein gar nicht zu reden. Doch wer nie Lesen und Schreiben gelernt hat, trainiert täglich sein Langzeitgedächtnis. So konnten die Bilder in den Kirchenfenstern zu einem wichtigen Ersatz werden, gerade für Menschen, denen Bücher nicht zugänglich waren. Oft waren die Abbildungen vielfältig. Hatte man die dazu gehörende Geschichte einmal gehört, konnte man sie bei jeder Betrachtung in der Stille wiederholen. Heute ist uns eine Flut von Literatur und anderen Medien zugänglich. Doch was uns wirklich wichtig ist, bedarf nach wie vor der Wiederholung. Die Kunstwerke in unseren Kirchen können dazu eine Hilfe sein, vielleicht auch die schlichten Fensterbilder in Reinersdorf.

Matthias Spindler ist Pfarrer in Reinersdorf und Ebersbach