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Ein Jahrhundert für den Vogel

Der Verein der Görlitzer Kanarien- und Exotenzüchter ist 100 Jahre alt. Die Mitglieder schauen lieber nach vorn.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Jenny Thümmler

Der Garten von Reinhard Rose hat etwas Idyllisches. Mitten in der Stadt und doch wie auf dem Dorf. Vögel singen, gurren, zwitschern, gackern, tirilieren. Mittendrin steht Reinhard Rose, guckt zufrieden und streut etwas Futter aus. Das hier ist sein Leben. Seit mehr als 30 Jahren.

Pokale für die schönsten Vögel
Pokale für die schönsten Vögel © Pawel Sosnowski/80studio.net

Der 71-Jährige ist Vorsitzender der „Görlitzer Kanarien- und Exotenzüchter 1914“. Vor Kurzem ist der Verein 100 Jahre alt geworden und hat seinen Geburtstag mit einer großen Vogelausstellung gefeiert, zu der 300 Besucher kamen. Wie die Vogelzüchter damals, ausgerechnet zu Beginn des Ersten Weltkriegs, auf die Idee kamen einen Verein zu gründen, lässt sich heute kaum noch sagen. Nahezu das gesamte Material ist im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Schriftlich nachweisbar ist heute nur noch, dass der Verein „Kanaria Görlitz“ 1913 aufgelöst wurde, weil keine Bundesbeiträge gezahlt wurden. Ein Jahr später wurde eine „Interessentenvertretung zur Hebung der Kanarienzucht“ in Görlitz gegründet, heißt es in der Fachzeitschrift „Kanaria“. „Verein der Züchter edler Kanarien“ nannte sich das Ganze. Welche Aktivitäten es dann im Vereinsleben gab, ist unbekannt. Heute befinden sich im Vereinsarchiv nur noch wenige Dinge wie einige Pokale, Wimpel, eine Matrize mit dem Logo und die Liste der Vereinsvorsitzenden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Verein Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Erst ab 1956 wurde er aktiv, als die Welt Interesse an Exportvögeln zeigte. Über die Zoologica Berlin verkauften die Görlitzer ihre Kanarien und Exoten zum Teil bis nach Amerika. Der Verein wuchs – bis zum Umschwung Anfang der 1960er Jahre, als die Exportbestimmungen vereinfacht wurden und Vogelliebhaber die Tiere aus ihren Herkunftsländern bekommen konnten. „Da ist die Zahl unserer Vereinsmitglieder deutlich gesunken“, sagt Rose.

Ein Ende war das jedoch nicht. Wenngleich die Vogelzüchter bis heute kein großer Verein sind, gibt es feste Größen. Arno Rothenbusch ist solch ein Name, auch Lutz Kunath, der mehrere Meistertitel mit seinen Vögeln gewann. Mehrere Pokale sind bis heute da. Einige davon haben die Görlitzer für ihre Gesangskanarien bekommen, die in den 1970er Jahren beliebt waren. „Diese Vögel müssen abgeschottet von anderen sein, weil sie sonst deren Gesänge übernehmen“, erklärt Reinhard Rose und nennt Begriffe wie Wasserschläger und Hohlroller, die die ganz eigene Gesangscharakteristik der Vögel beschreiben. Keine Tiere für Ausstellungen. Zu groß war die Gefahr, ihr Stimmbild zu verfärben.

Heute besteht an solchen Vögeln kaum noch Interesse. „Jetzt ist eher Farbe gefragt“, sagt Züchter Rose. Kanarienvögel sind nämlich längst nicht immer gelb. Beliebter bei Privatleuten sind aber nach wie vor Wellensittiche. Auch sie hat Reinhard Rose in der Laube, wo all seine Vögel wohnen: Finken, Tauben, Gimpel, Zwergwachteln und natürlich Kanarien. Zwischen den Käfigen steht ein Pellettofen, mit dem Rose den Raum beheizt. Hier ist sein Reich. Jeden Tag verbringt er mit seinen Vögeln, setzt Keimfutter an, macht sauber, kontrolliert die Nester. An allen Käfigen hängen handgeschriebene Zettel mit Geschlecht und Schlüpfdatum der Vögel. Seit 1983 ist er Kanarienzüchter. Warum? Er zuckt mit den Schultern. „Weils Spaß macht.“ Für ihn erklärt das alles. Seine Frau Sigrid kennt ihn kaum anders und akzeptiert das liebgewonnene Hobby. Als Kassenwart des Vereins wacht sie über die Finanzen. Reinhard Rose grinst. „Es ist nicht immer einfach, wenn ich dann was will.“

Neun Mitglieder hat der Züchterverein aktuell. Hauptsächlich Görlitzer, ein Horkaer. Engagierte Mitstreiter aus verschiedenen Altersklassen. Reinhard Rose ist stolz, bei der Ausstellung neulich 21 verschiedene Vogelarten gezeigt zu haben, 200 Tiere – ohne Züchter anderer Vereine fragen zu müssen. Zwei neue Interessenten haben ihn bei der Schau schon angesprochen und wollen vielleicht mitmachen im Verein. „Wir ergänzen uns und gestalten die Mitgliederversammlungen locker“, sagt der Vereinschef. „Das funktioniert so sehr gut.“