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Ein Institut für gute Nachbarschaft

Sechs Freunde haben einem Tante-Emma-Laden erfolgreich wieder Leben eingehaucht. Das Geschäft soll nun sogar wachsen.

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© Norbert Neumann

Von Ulrike Kirsten

Zügig in der Radeberger Vorstadt von A nach B kommen, ist für Karsten Selbig an manchen Tagen fast unmöglich. Denn rund um die Frühlingsstraße ist der 35-Jährige bekannt wie ein bunter Hund. Vor gut einem Jahr hat er mit fünf guten Freunden den Tante-Emma-Laden an der Ecke zur Nordstraße wiedereröffnet. In dem Geschäft hatte Brigitte Seidel 23 Jahre lang Lebensmittel verkauft, bevor sie es im März 2013 altersbedingt dicht machen musste.

Der Traum vom Institut für gute Nachbarschaft hat sich längst erfüllt. So wie es sich die sechs Freunde gewünscht haben. Der Laden ist mehr als nur Geschäft, er ist zum Treffpunkt für Jung und Alt im Viertel geworden. Bei einer Tasse Kaffee tauscht man sich über das Neueste im Kiez aus. „Vom Sehen kannte man die meisten Leute schon immer, aber jetzt kennen wir sie persönlich, weil viele regelmäßig in die Ecke Nord kommen“, sagt Karsten Selbig.

Aus purem Gemeinschaftssinn haben er, Katrin Kohn, Holger Nagel, Jana Krötzsch, Susan Voigt und Mathias Kade den Tante-Emma-Laden übernommen und in Eigenregie saniert – nicht aus Eigennutz. Denn das große Geld mit dem Geschäft zu machen, war nie das Ziel. Ihre Berufe als Orthopäde, Technologe, Luftverkehrsfrau, Trauerrednerin, Verwaltungsangestellter und als Behindertenbetreuer haben die sechs Gesellschafter, die allesamt auf der Nordstraße wohnen, deshalb behalten.

Nach einem Jahr ist die „Ecke Nord“ nun nicht mehr wegzudenken aus dem Viertel. Schüler der nahe gelegenen Waldorfschule kommen in der Mittagspause, um sich mit Getränken und Süßem einzudecken. Viele Anwohner erledigen hier ihre Wocheneinkäufe. Das Angebot aus frischen und ökologisch produzierten Lebensmitteln, die noch dazu aus der Region kommen, variiert ständig. „Die Kundschaft ist bunt gemischt. Allerdings merken wir es schon am Umsatz, wenn Ferien sind und die Stammkunden und Schüler wegbleiben“, sagt Karsten Selbig.

Deshalb wollen die Gesellschafter nun auf mehrere Standbeine setzen, beispielsweise das Cafégeschäft noch weiter ausbauen. Zudem möchten sie ab Februar einen Mittagstisch mit Suppen und kleinen Imbissgerichten ins Angebot aufnehmen. Bis dahin muss jedoch noch die kleine Küche im hinteren Teil des Ladens fertig ausgebaut werden. „Wir wünschen uns, dass die Ecke Nord im Gespräch bleibt und vielleicht sogar zu einer kleinen Touristenattraktion in Dresden wird“, sagt der dreifache Familienvater. Gar nicht abwegig, denn mit der Neustadt vor der Tür, dem Alaunpark nebenan und dem Kraszewski-Museum ein paar Häuser weiter auf der Nordstraße bietet das Viertel schon jetzt einiges Sehenswertes.

Zusätzlich möchten die sechs Freunde ab diesem Jahr noch mehr Kulturelles wie kleine Feste oder Lesungen anbieten. Bereits am Freitag startet die Reihe „Nach der Arbeit – Vor dem Schlafen: Konzert in der Ecke!“, die ab diesem Jahr einmal monatlich stattfinden soll. Den Anfang macht die Band La Tambora, eine Band mit Musikern aus aller Welt in Dresden, die die Musik ihrer Herkunftsländer ineinander verschmelzen lassen. So kommen unter anderem Bossa Nova, Rumba, Rock, Tango Flamenco, Zamba Argentina, Reggae und Funk zusammen, aus denen eigene verrückte Songs entstehen.

Mit dem Erfolg denken die Gesellschafter nun sogar darüber nach, das Geschäft zu erweitern. „Wir haben schon Ideen entwickelt. Das ist aber noch Zukunftsmusik“, sagt Karsten Selbig. Neben seiner regulären Arbeitszeit als Behindertenbetreuer ist der ausgebildete Kaufmann wöchentlich rund 20 Stunden in der Ecke Nord tätig. Wie es mit den Angestellten weitergeht, bliebt hingegen erst einmal abzuwarten. Derzeit arbeiten sieben Angestellte stundenweise im Laden, erzählt Karsten Selbig. Auch Vorbesitzerin Brigitte Seidel, die jeden Morgen belegte Brötchen für das Frühstücksgeschäft schmiert. „Wir müssen schauen, wie sich das mit dem neu eingeführten Mindestlohn entwickelt.“

Konzert mit der Band La Tambora am Freitag ab 19 Uhr in der Ecke Nord an der Kreuzung Frühlings-/Nordstraße. Der Eintritt ist frei.