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Ein historischer Schatz ist heimgekehrt

Alte Erbregister von Pretzschendorf sind in Baden-Württemberg aufgetaucht. Wie sie dorthin kamen und wieder zurück.

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Von Anja Ehrhartsmann

Pretzschendorf. Die Einbände sind ausgeblichen, die Schrift darauf ist stellenweise kaum noch lesbar. Tief gebeugt sitzt Marc Zschäckel über dem vergilbten Papier und entziffert die Handschrift, die noch aus dem 18. Jahrhundert stammt. Für ihn und Siegfried Funke, beides Ortschronisten, ist ein historischer Schatz nach Pretzschendorf zurückgekehrt: Esther-Annie Dietz aus der Nähe von Reutlingen in Baden-Württemberg hat im Nachlass ihres Großvaters zwei Erbregister aus Pretzschendorf gefunden. Sie stammen aus den Jahren 1699 und 1720. Die Bücher enthalten Aufstellungen von Abgaben und Frondiensten aus der Zeit. Damit geben sie auch Einblick, wer damals in Pretzschendorf gewohnt hat und wie die Lebensverhältnisse waren.

Das heutige Pretzschendorf war damals in zwei Rittergüter aufgeteilt: Nieder- und Oberpretzschendorf. Das einzige Wirtshaus gehörte beiden Erbherren, nur dort durfte ausgeschenkt werden. „Außerdem war Schwarzbrennen schon damals untersagt“, sagt Marc Zschäckel, der sich schon intensiv mit den beiden Registern beschäftigt hat. „Jeder Landbesitzer ist einzeln aufgeführt mit dem Frohn- und Zinsdienst, den er zu leisten hatte“, sagt Zschäckel, der zu den wenigen gehört, die noch alte Handschriften lesen können. „Flächen des Ritterguts sind heute noch erhalten. Diese Ländereien haben diejenigen damals gepachtet, die kein eigenes Land besaßen“, sagt Siegfried Funke, der sich schon seit Jahren als Ortschronist engagiert.

Die Register wurden damals von einem kaiserlich vereidigten Notar aufgesetzt, wie dessen Siegel auf den vorderen Seiten belegt. Rechtsgültig wurden die Register durch einen Huldigungseid, den die versammelte Gemeinde vor den beiden Erbherren leisten musste. Mit „dreien vorderen Fingern der rechten Hand“ schworen die Pretzschendorfer, ihren Herren treu ergeben zu sein. Zum Schluss wurde der Eid per Handschlag an die Herrschaft besiegelt. „Das ist schon interessant, man erfährt so etwas über die Verhältnisse früher. Und wer Familienforschung betreibt, hier sind mehr als nur die Geburtsdaten vermerkt“, sagt Zschäckel, der selbst seit 25 Jahren der Geschichte seiner Familie nachspürt.

Der Weg, den die Register genommen haben, ist rekonstruierbar: Esther-Annie Dietz stammt vom Pretzschendorfer Braumeister Friedrich Ernst Zimmermann ab, ihr Ururgroßvater. Dessen Sohn Ernst Reinhard Zimmermann war HNO-Arzt in Zittau. Sein einziges Kind und Großvater von Dietz, Heinrich Zimmermann, flüchtete aus der DDR nach Stuttgart. Wie die beiden Register allerdings in den Besitz ihrer Familie gekommen sind, werde wohl immer ein Geheimnis bleiben, sagt Dietz. Zur Übergabe der Register reiste sie im April nach Pretzschendorf und besuchte dort die ehemalige Brauerei, die von einem ihrer Vorfahren erbaut wurde. Heute ist die Bäckerei Sauer in dem Haus. Außerdem lernte sie noch einen Verwandten kennen, von dem sie bisher nichts wusste. „Das ist natürlich der Wahnsinn“, sagt Dietz.

Um den historischen Fund nun der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, wünschen sich die Chronisten Platz für ein eigenes Archiv. „Es gäbe Räume, die dafür genutzt werden könnten, zum Beispiel im Kulturhaus oder im Herrenhaus des ehemaligen Ritterguts“, sagt Funke. Derzeit hat er die Erbregister noch bei sich Zuhause, „ich sehe das aber eher als eine Art Zwischenlager“. Zwar könne heute vieles digitalisiert werden, „aber das sind Handschriften, die gibt es nur einmal und sind unwiederbringlich, wenn etwas passiert“, so Zschäckel.