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Ein Görlitzer will olympisches Gold

Marcus Groß paddelt im Kanu-Sport von Erfolg zu Erfolg. Ein Sieg in Rio de Janeiro wäre die Krönung.

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© Eberhard Thonfeld

Von Ralph Schermann

Seinen größten Traum hat er sich bereits erfüllt: Im August 2015 holte der Kanute Marcus Groß in Mailand WM-Gold im Kajak-Zweier und gleich nach der Siegerehrung silberne Ringe aus der Tasche. Damit fiel er vor Kathi Zengler auf die Knie – und seine langjährige Freundin sagte Ja zu diesem überraschenden Heiratsantrag.

Die deutschen Olympia-Kanuten mit Marcus Groß (Kreis) nahmen für den Musiker Simon Goodlife (mit Hut) den schmissigen Olympiade-Song „Riolympia“ auf.
Die deutschen Olympia-Kanuten mit Marcus Groß (Kreis) nahmen für den Musiker Simon Goodlife (mit Hut) den schmissigen Olympiade-Song „Riolympia“ auf. © privat
Der Görlitzer Junge im Jahr 1994. Zum Wasser zog es ihn auch damals als Fünfjährigen schon.
Der Görlitzer Junge im Jahr 1994. Zum Wasser zog es ihn auch damals als Fünfjährigen schon. © privat
2015 machte Marcus Groß direkt nach dem WM-Sieg in Mailand seiner Kathi einen Heiratsantrag. Ende des Jahres war Hochzeit, und im Februar 2016 kam Sohn Fritz zur Welt.
2015 machte Marcus Groß direkt nach dem WM-Sieg in Mailand seiner Kathi einen Heiratsantrag. Ende des Jahres war Hochzeit, und im Februar 2016 kam Sohn Fritz zur Welt. © Freise

Seitdem nennt Marcus Groß seinen noch offenen sportlichen Wunsch nicht mehr größten Traum, sondern wichtigstes Ziel. Und das rückt jetzt immer näher. Olympisches Gold soll es sein, und die Welt wird auf den 26-Jährigen blicken, mit dem in Rio de Janeiro nicht nur einer der besten deutschen Wassersportler an den Start geht – sondern der einzige aus Görlitz stammende Olympionike.

Wer die Begriffe Görlitz und Wassersport verbinden will, überlegt lange. Älteren fällt vielleicht noch Schwimmweltmeisterin Ulrike Richter ein. Auf Kanusport aber kommt kaum einer. „Wir sind eben nicht so populär und auch seltener in den Medien“, bedauert Marcus Groß. Dabei galt Görlitz tatsächlich einst als Hochburg des Kanusports. In den 1920er Jahren entbrannte auf der Neiße das Kanu-Fieber und ließ gleich mehrere Sportvereine zu den Paddeln greifen. Doch als Marcus Groß 1989 in Görlitz das Licht der Welt erblickte, war der hiesige Kanusport nur noch eine Nische am Volksbad. Dem kleinen Marcus war das egal, interessierte ihn zunächst ebenso wenig wie der Fußball, dem sein älterer Bruder Alexander bis in die Höhen der regionalen Vereine folgte. Marcus Groß besuchte in Görlitz den Kindergarten, erinnert sich noch heute an Großeltern-Ausflüge auf die Landeskrone und folgte ansonsten brav seinen Eltern, als diese von der Görlitzer Heilige-Grab-Straße aus der Arbeit wegen nach Berlin zogen. Dort hatte Marcus Groß plötzlich viel Wasser vor Augen, denn die Familie wohnte an der Grünauer Kanuten-Trainingsstätte. Dass ihm Freunde anboten, selbst mitzupaddeln, erwies sich als Glücksfall für den deutschen Sport. Denn im Grünauer Kanuverein 1990 entdeckte Trainer Jürgen Hausmann das Talent, das der 183 Zentimeter große Görlitzer für diese Sportart mitbrachte, und Trainer Eckehardt Sahr formt heute an diesem großen Talent noch immer.

Aus sportlichem Spaß wurde eisernes Training. Auch ein schwerer Unfall 2006 ließ nach kurzer Pause die Leistungskurve des jungen Athleten nicht sinken, im Gegenteil: 2007 war Marcus Groß Abräumer bei der Junioren-Weltmeisterschaft, wurde mehrfacher Juniorenweltmeister, dreifacher Deutscher Meister, und es begann eine noch immer andauernde Bilderbuchkarriere im Kajak-Zweier: zweifacher Weltmeister, sechsfacher Europameister, zweifacher Juniorenweltmeister, dazu zahlreiche Silber- und Bronzemedaillen, und darunter auch Siege mit dem Kajak-Vierer.

Dafür hat Marcus Groß oft die Zähne zusammengebissen und manches andere Ziel verschoben. Sein Abi erreicht er 2010, den Beginn eines Maschinenbaustudiums musste er sportlichen Entscheidungen anpassen. Der Wehrdienst führte ihn zur Sportfördergruppe der Deutschen Bundeswehr. Jetzt ist er bei der Bundespolizei im Bundesleistungszentrum Kienbaum.

In London 2012 hätte es für Marcus Groß fast schon gereicht! Im Kajak-Vierer schrammte er mit Platz 4 nur hauchdünn an einer olympischen Medaille vorbei. Das soll sich bei Olympia 2016 ändern. „Ich will in Rio so erfolgreich wie möglich sein. Alle Facetten meines Lebens sind zurzeit darauf ausgerichtet, ich habe keine Zeit für anderes, täglich bis zehn Stunden Training, Laufen, Krafttraining und immer wieder im Kanu“, berichtet der gebürtige Görlitzer und betont: „Max Rendschmidt war der größte Gewinn, das läuft super.“ Was der zweite Mann im Boot prompt unterstreicht: „Mit Marcus habe ich einen super Kandidaten an meiner Seite.“ Beide werden am 16. und 18. August in Rio alles geben, um das goldene Ziel zu erreichen. Die beiden treten mit Max Hoff und Tom Liebscher auch noch im Vierer an, gestehen aber, sich vor allem auf den Zweier zu konzentrieren. Zum letzten Training reisen sie an diesem Wochenende ins Trainingslager Duisburg, bevor es dann nach Rio geht. Reisen ist für Marcus Groß Alltag: „Zum Beispiel sind wir oft in Spanien, um das Wintertraining nicht nur theoretisch betreiben zu können“, sagt er und überlegt: „Bei solchem Aufwand merkt man dann auch, dass unser Sport teuer ist.“ Vielleicht wird er aber auch ein klein wenig gegenfinanziert? Zum Beispiel durch den Verkauf der CDs und Videos „Riolympia“. Der Song, den die deutschen Olympia-Kanuten gemeinsam mit dem Musiker Simon Goodlife aufgenommen haben, wird ab dem 2. August offiziell zu haben sein.

Kathi will den Song jetzt oft hören. Selbst Kanusportlerin, paddelt sie nur noch zum Spaß. Wenn beide Leistungssport betreiben würden, wäre es schwer mit der Beziehung, überlegt Marcus Groß, der seine Frau übrigens lange kennt: „Wir saßen schon in der Grundschule in einer Bank, haben uns dann aus den Augen verloren und beim Kanusport wieder gefunden.“ Nach Rio schauen garantiert die Görlitzer Großeltern – und auch ein kleiner Neuberliner: Fritz Groß, geboren vor sechs Monaten, soll schließlich gleich mal sehen, wie sein stolzer Papa Olympiagold erpaddelt.