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Ein Görlitzer auf dem Fuji

Frank Wirth weilte eigentlich zur Fortbildung in Japan. Doch dann reizte ihn der höchste Berg des Landes doch zu sehr.

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© privat

Von Frank Wirth

Görlitz/Kyoto. Ich arbeite als Wartungstechniker bei einem Dresdener Halbleiter-Hersteller und war im November zur Weiterbildung in Japan. Als Hobby-Bergsteiger stand ich bereits auf zahlreichen alpinen Gipfeln wie dem Zinalrothorn und dem Dom in den Walliser Alpen oder dem Mont Blanc, dem höchsten Berg der Alpen. Auch einige 5000er im Himalaya waren darunter.

Impressionen von der Wanderung

Der Fuji, der die Landschaft mit seiner typischen Form weit überragt.
Der Fuji, der die Landschaft mit seiner typischen Form weit überragt.
Deutlich zu erkennen, wie steil der Hang teilweise ist.
Deutlich zu erkennen, wie steil der Hang teilweise ist.
Doch die Strapazen sind nichts gegen die Schönheit der alpinen Gegend.
Doch die Strapazen sind nichts gegen die Schönheit der alpinen Gegend.

Doch nun reiste ich nach Japan. Ende November: die Nachmittagssonne wärmt recht wohltuend. Dutzende Touristen schauen staunend hinüber zum „Goldenen Pavillon“, der Hauptattraktion dieser wunderschönen Gartenanlage – inmitten von Kyoto. Kinkaku-ji, die meisten Besucher sprechen den Namen mühelos aus. Als Europäer ist man hier selbst fast eine Attraktion. Knallig rot und orange leuchten die schmalen Blätter der Ahorn-Bäume, eine Augenweide. Kurze flachgebogene Steinbrücken ohne Geländer führen über leise glucksende Wasserläufe mit grün bemoosten Steinen am Rand. Auf den sorgfältig geharkten Wegen liegt außer dem feinen Kies nichts, kein Stückchen Papier oder Plastik. Ja, und so sauber ist es in der ganzen Stadt. I love Kyoto!

Etwas abseits der Hauptwege setze ich mich auf eine alte Steinbank, die Ruhe, die dieser Park ausstrahlt, strömt in mich ein. In diesem angenehmen Moment denke ich an mein nächstes Vorhaben. Einem weiteren Wahrzeichen Japans möchte ich sehr nahe kommen, dem Mount Fuji. Ganz deutlich höre ich unseren Geografie-Lehrer vom stolzen, schönen Vulkankegel erzählen, damals, 6. Klasse in der Lessing-Schule. Herr Winter war begeistert: „Die Japaner nennen ihn Fuji-san.“ Und nun bin ich diesem Traumberg so nahe, wie ich es mir früher nicht hätte träumen lassen. Bereits vor dem Abflug entstand der Plan. Es galt, mit möglichst wenig Ausrüstung auszukommen. Alles sollte in den kleinen Business-Rucksack reinpassen. Wetterjacke, Steigeisen, ein kleiner Eispickel, Sturmhaube, Handschuhe, Stirnlampe, Kamera.

Ein Besuch im Kyoto Tourist Center brachte Klarheit, der Berg ist im Winter gesperrt. Die erlaubte Besteigungszeit ist von Juli bis August. Weitere Informationen über die Verhältnisse am Berg, waren nicht in Erfahrung zu bringen. Damit hatte ich gerechnet. Auch unsere Dolmetscherin und die Kollegen in der Fabrik hielten eine Besteigung zu dieser Jahreszeit kaum für möglich. „Am Gipfel herrschen gefühlte minus 35 Grad Celsius. Es sind starke Windböen in ungeschütztem Gelände zu erwarten.“ Doch in Ritto, im Hotel, wartete mein Rucksack und am Freitag nach Feierabend saß ich im Zug Richtung Kyoto. Der Shinkansen-Express brachte mich weiter nach Mishima und ein Regionalzug schließlich nach Gotemba. Selbst jetzt, kurz vor Mitternacht, war der Zug noch gut besetzt mit Werktätigen und Studenten, die nach Hause kamen.

Nachts halb eins in Japan etwas einzukaufen, ist keine Schwierigkeit. Drei Brötchen, ein belegtes Baguette, ein Bier, zwei Cola, zwei Wasser, Schokolade und Kekse. Am Taxi-Stand fand ich einen Fahrer, der mich so weit wie möglich an den Berg brachte – bis zu den Beton-Blöcken, die die Straße im Winter absperrten.

Es gibt vier Wanderrouten auf den Fuji-san. Die Yoshida, von Norden aus, ist die beliebteste. Die Fujinomiya ist die kürzeste, aber auch steilste Route. Die Subashi ist die sandigste und meine Gotemba-Route ist die längste und hat den niedrigsten Startpunkt. Entlang jeder der vier Routen befinden sich Hütten, sogenannte „Stationen“. Hier kann man im Sommer rasten, bekommt Verpflegung und es gibt Übernachtungsmöglichkeiten. Auf der Fujinomiya gibt es zehn solcher Stationen. Der eigentliche Aufstieg beginnt meist an der jeweils „Fünften Station“ jeder Route. Bis dahin wird gefahren, mit Bus oder Pkw. Aber heute war eben der 30. November.

An der Absperrung angekommen, stieg ich aus, mit dem Rucksack und der Tragetüte aus Papier mit den Brötchen. Die Fahrt kostete 36 Euro, das hatte ich eingeplant. Der Taxi-Fahrer konnte es nicht fassen, dass ich kein Telefon mit hatte. Er verabschiedete sich und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden. Es machte mich glücklich, jetzt einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mein Herz hüpfte vor Freude, und ich war gespannt. Bald erreichte ich die „Fünfte Station“, es war kurz nach drei Uhr, Temperatur minus vier Grad Celsius, wenig Wind, Höhe 1450 Meter. Die Gotemba-Route verläuft auf der Ost-Seite des Berges auf rotbrauner, feinkörniger Vulkanasche und ist durch Stangen und Seile markiert. Im oberen Teil geht es dann über Firn und Eis weiter. Etwa auf halber Höhe der Bergflanke änderte sich plötzlich die Farbe am Horizont. Aus dem dunklen blau bis violett wurde ein gelb flammender dünner Streifen. Nur Minuten später erschien eine leuchtende Wölbung in dem schmalen gelben Band. Ich machte die Kamera startklar. Die hellgelb leuchtende Kugel löste sich vom Horizont, stieg höher und mit einem Mal war alles ringsherum in goldgelbes Licht getaucht.

Unter den Steigeisen knirschte der gefrorene Firn, der jetzt schon eine stärkere Neigung hatte. Der Wind blies spürbar kräftiger. Voraus waren Felsen zu erkennen, anscheinend der Kraterrand. Ich war fast oben. Die letzte Eruption ereignete sich im Jahre 1707. Heute blickt man hinein in eine friedliche, schneebedeckte Mulde. Alles hier oben wirkte unberührt. Der Kraterrand ist aber nicht der höchste Punkt. Ein Anstieg führt weiter hinauf zu einem Gebäude, einer vollautomatischen Wetterstation. Dort markiert ein blauer Obelisk den höchsten Punkt des Fujisan auf 3776 Metern. Weit und breit keine Fußspuren. Es war genau 14 Uhr, tiefblauer Himmel, minus 20 Grad Celsius, alle Getränke waren seit Stunden gefroren und der Wind zerrte am Rucksack.

Doch der Ausblick war überwältigend, reichte über die Strände bis weit auf das Meer hinaus. Ein paar dünne Wolken hingen über den Waldflächen, man blickte hinein in die Täler mit den Siedlungen und im Westen hinüber zu den schneebedeckten Gipfeln der Japanischen Alpen. So verging eine wunderbare Stunde, der Berg hatte es zugelassen. Für den Abstieg wählte ich die Fujinomiya-Route, sodass ich auf halber Höhe den Sonnenuntergang erleben würde. Vorbei an den einsamen, zugenagelten Hütten streifte mich bereits die Abendsonne. Dann um 16.40 Uhr begann das Schauspiel. Der westliche Himmel leuchtete flammend gelb und orange. Im Süden schimmerte silbergrau die Wasserfläche. Die Sonne tauchte langsam hinter den Bergen ab und nahm das Licht mit. Der stark geneigte gefrorene Hang wurde plötzlich dunkel und abweisend. Ich befand mich noch auf 2800 Meter Höhe. Dem steilen, aber gut markierten Zick-Zack-Weg folgend, ging es jetzt zügig hinab. Die Steigeisen löste ich erst beim Eintreffen an der „Fünften Station“ der Fujinamiya-Route auf 2370 Metern. Es war 18.15 Uhr, das GPS zeigte 19,6 gelaufene Kilometer an. Der Parkplatz war verlassen und die Straße natürlich abgesperrt. Im Sommer starten von hier aus die meisten Fuji-Bergsteiger. Es gibt dann auch eine Busverbindung zum Bahnhof nach Fujinomiya, der letzte Bus fährt 14.30 Uhr hier ab.

Heute blieb mir nur der Fußmarsch. Es sind rund 35 Straßenkilometer, und wie es eben ist, ich erreichte gegen 2.30 Uhr den Bahnhof. Nachts fahren in Japan keine Regionalzüge. Ich wartete am windig-kalten Bahnsteig bis kurz vor 6 Uhr und erreichte gegen 11 Uhr mein Hotel in Ritto wieder. Der schöne Sonntagmorgen lockte hinaus, aber die Müdigkeit umklammerte mich. Ein warmes Bad besorgte den Rest, und am Abend war ich froh, dass die Kollegen mich geweckt hatten. Aber dann am Montag kamen die japanischen Kollegen aus dem Staunen nicht heraus. Ein Deutscher, der hier nur zwei Wochen auf Lehrgang war, konnte seine Bilder vom winterlichen Gipfel präsentieren.