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Ein Denkmal bröckelt

Die Brücke am Siebenbörner in Görlitz verliert an Stabilität. Erste Sicherungen erfolgen. Eine Lösung aber steht noch aus.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Das Elend ist nicht zu sehen. Wer es als Autofahrer überquert, blickt nicht durch. Wer im Zug fährt, dem huscht es vorbei. Nur Triebfahrzeugführer haben es kurz vor Augen, ohne dabei viel zu erkennen. Das Elend heißt Siebenbörner Brücke. Warum Elend? Weil das Bauwerk bröckelt.

Der 2003 gebaute Belag und das Geländer lassen von oben kaum erkennen, dass darunter eine denkmalgeschützte Gewölbebrücke von 1906 mit sechs Meter lichter Höhe liegt. Die Stadt ist nun in der Pflicht, zu sanieren oder neu zu bauen.
Der 2003 gebaute Belag und das Geländer lassen von oben kaum erkennen, dass darunter eine denkmalgeschützte Gewölbebrücke von 1906 mit sechs Meter lichter Höhe liegt. Die Stadt ist nun in der Pflicht, zu sanieren oder neu zu bauen. © Ralph Schermann
Torsten Tschage, Leiter Bau- und Liegenschaftsamt Görlitz
Torsten Tschage, Leiter Bau- und Liegenschaftsamt Görlitz © Ralph Schermann

Eigentlich kann es das auch. Was in die Jahre kommt, hat nun mal Wehwehchen. Und diese Brücke erfüllt immerhin schon seit 111 Jahren ihren Zweck. Längst ist sie eine Art Seniorin. Das weiß auch ihre Besitzerin, die Stadtverwaltung Görlitz. Denn Brücken, die über Gleise führen, gehören der Stadt, in Görlitz 17 an der Zahl, während Schienen, die Straßen überbrücken, der Deutschen Bahn zugeordnet sind. Die Stadt ist verpflichtet, ihre zu den Ingenieurbauwerken zählenden Anlagen aller drei Jahre zu prüfen, wobei jede zweite Begutachtung eine umfangreichere Hauptprüfung sein muss. Akribisch wird darüber das Brückenbuch geführt. Die Siebenbörner Brücke bekommt dabei immer wieder schlechter werdende Noten. In diesem Jahr nun vergab das unabhängige Görlitzer Ingenieurbüro Reibetanz und Storm nur noch die Prüfnote 4,0. Vom schlechtest möglichen Wert 5,0 trennen das Bauwerk also nur noch zehn Zehntel hinter dem Komma. Der Grund dafür ist zu erkennen, schaut man ganz nahe auf das doppelreihige Ziegelgewölbe der drei Brückenbögen, auf denen die Natursteinauflage ruht. Die Prüfer gelangten mit einem Brückenuntersichtsgerät dorthin, praktisch mit einer Art in die Tiefe fahrenden Hubsteiger von der Fahrbahn aus. Sie erkannten: Frost und Tauwechsel haben die Ziegelschichten angegriffen, an manchen Stellen ist schon keine Verbindung zwischen den Schichten mehr da, gibt es Abplatzer bis zu vier Zentimeter Stärke. Auch die Entwässerung des Bauwerkes selbst funktioniert nicht mehr, Feuchtigkeit tritt an allen möglichen Stellen aus und führt im Winter dann zu neuen Wunden. Noch besteht freilich längst keine Einsturzgefahr. „Aber die Stand- und Verkehrssicherheit sind erheblich beeinträchtigt. Abplatzende Teile können zu Schäden für den Bahnverkehr führen“, erklärt Bernd Mühle, der für Brückenbauten zuständige Fachmann im Görlitzer Rathaus. Es ist höchste Zeit, zu handeln. Genau das aber ist das Einfache, das einfach nicht zu machen ist. Ob komplette Sanierung oder gleich ein Neubau – für beide Möglichkeiten ist im Stadtsäckel gar kein Geld. Und noch eins kommt erschwerend hinzu: Auch wenn niemand das Bauwerk vor Augen hat, steht es doch unter Denkmalschutz. Die Siebenbörner Brücke ist tatsächlich ein technisches und ein Industriedenkmal, erinnert es doch an die historische Berlin-Görlitzer Eisenbahn. 1867 eingeweiht, bekam diese 1913 eine neue Gleisführung, nämlich im großen Bogen um die Schädelteiche (Siebenbörner) herum. Dafür wurde die sechsgleisige Brücke gemeinsam mit den Schienen für die Dresdener Strecke über die Rauschwalder Straße gebaut – und der Siebenbörner 1906 mit der heute bröckelnden Brücke versehen. Nach Aufgabe des Kreisbahnhofes wurde auch die Kleinbahn nach Königshain und Weißenberg durch diese Brücke geführt.

Sie atmet also durchaus Geschichte, diese Brücke. Um sie weiter atmen zu lassen, passiert zunächst zweierlei: Erstens wurde verboten, sie mit Lkw über 3,5 Tonnen zu befahren. Da aber auch herannahende Züge Erschütterungen auslösen, wird als Nächstes ein Netz unter das Gewölbe gespannt. „Zurzeit wird untersucht, wie engmaschig das sein muss, welches Material infrage kommt und an welchen Stellen die Befestigung statisch erfolgen kann“, informiert Torsten Tschage, der Leiter des Görlitzer Bau- und Liegenschaftsamtes.

„Auch über das weitere Vorgehen zum Erhalt des Bauwerks beginnen Gespräche zwischen der Stadt und der Bahn. Die Dauer der Verkehrseinschränkungen ist derzeit nicht abschätzbar, ebenfalls nicht, ob irgendwann die Brücke mal komplett gesperrt werden müsste“, ergänzt Tschage.

Da den heutigen Vorschriften entsprechend, egal ob Sanierung oder Neubau, eine Strecken-Elektrifizierung einberechnet werden muss, ist doppelte Planung nötig. „Wir erarbeiten eine Bauplanung für die Brücke, die Deutsche Bahn stellt eine Planung für den Umbau zur Elektrifizierung auf. Beide Planungen werden dann zur Kostenteilung ins Verhältnis gesetzt“, erläutert Tschage. Wann es soweit ist und wann die Haushaltstöpfe das Geld dafür auch unter dem Deckel haben – keiner weiß es.

Letztmals war das 2003 der Fall. Damals wurde die Straßenauflage erneuert. Um die Fahrbahnbreite einhalten zu können, ragt sie seitdem über das eigentliche Gewölbedenkmal hinaus. Das moderne Geländer verhindert seitdem, dass Autos über den Brückenrand stürzen könnten. „Die jetzige Aufgabe ist freilich ungleich schwerer“, überlegt Bernd Mühle.