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Ein Boot für den stillen Helden

Kanu-Trainer Jens Kühn macht Tom Liebscher und Steffi Kriegerstein zu Olympia-Stars. Nach 37 Jahren bekommt er endlich ein neues Arbeitsgerät.

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© Thomas Kretschel

Von Alexander Hiller

Zu ein paar offiziellen Worten muss Jens Kühn sanft ins Rampenlicht geschubst werden. Der Typ mit den graumelierten Haaren ist der Vater der jüngsten Olympiaerfolge der beiden Dresdner Kanuten Tom Liebscher und Steffi Kriegerstein. Aber der ehemalige Rennkanute steht nicht so gern im Fokus – und schon gar nicht oft.

Dazu passt bestens ins Bild, dass Kühn seine beiden besten Schützlinge mit einem Oldtimer-Motorboot – Baujahr 1980 – zu Gold (Liebscher) und Silber (Kriegerstein) in Rio führte. Für den Heimtrainer der beiden Weltklasse-Athleten ist solch ein Boot die wichtigste Grundvoraussetzung, um den 23-jährigen Liebscher und Kriegerstein (24) auf der Elbe anzutreiben, kleine technische Details zu verbessern, den Paddelstil stetig zu optimieren. Dass der Landesstützpunkt-Trainer dabei für Korrekturen und Anweisungen so nah wie möglich an seinen Athleten dran sein muss, versteht sich von selbst. „120 Kilometer lege ich damit pro Woche auf der Elbe sicher zurück“, sagt Jens Kühn. Mithin dürfte das alte Arbeitsgerät knapp 230 000 Elbekilometer auf den ausgebeulten Planken haben. Und so sieht es auch aus. An dem ollen Kahn musste in den letzten Jahren immer öfter herumgebastelt werden, damit „ich nicht untergehe“, wie der Trainer sachte lächelnd sagt.

Das Wasservehikel hat seinen Dienst getan. Und die beiden Dresdner Kanu-Aushängeschilder packten die Chance beim Schopf, verrichteten Lobbyarbeit, redeten mit potenziellen Gönnern, putzten selbst eifrig Klinken. Olympiamedaillen öffnen Türen. Der Aufwand hat sich gelohnt. Jens Kühn hat seit Montag ein neues, hochmodernes Wasserfahrzeug. 11 700 Euro kostete der Katamaran, den das Sächsische Innenministerium mit 10 000 Euro förderte, den Rest brachte der Kanuclub Dresden auf. Kriegerstein und Liebscher tauften das Boot mit dem amtlichen Wasserfahrtskennzeichen DD-M 158 auf den Namen „Tokyo 2020“. Das darf man wohl als Versprechen für die Zukunft nehmen.

Weniger Power, mehr Leistung

„Für uns war klar, dass wir diese Chance nutzen wollen, um dem Trainer ein neues Motorboot zu besorgen“, erklärte Tom Liebscher. So kann man auch mal danke sagen. Das neue Boot hat zwar weniger Power als das ausrangierte – 20 PS, statt wie bisher 30 – aber ansonsten nur Vorzüge. „Der Katamaran verursacht weniger Wellen, bringt damit die Athleten nicht aus dem Takt. Außerdem sitze ich jetzt etwas erhöht, kann meine Sportler dadurch viel besser beobachten“, sagte Kühn.

Der 58-Jährige musste die Neuanschaffung natürlich gleich ausprobieren. Der wettergegerbte Kerl strahlte bei der Jungfernfahrt fast wie ein Kind. „Unser Trainer steht leider nicht häufig im Mittelpunkt. Für unsere Entwicklung war und ist er aber enorm wichtig. Auch bei diversen Ehrungen wird er gern mal übersehen. Deshalb war es für uns selbstverständlich, dass wir unsere Erfolge zu dem günstigen Zeitpunkt dafür nutzen“, unterstreicht Steffi Kriegerstein.

Wer jetzt denkt, Kühns ausrangiertes Wasserfahrzeug kommt einfach in die Müllpresse, der liegt falsch. Kanuten sind gemeinhin ein sehr praktisch veranlagter und solidarischer Menschenschlag. Das alte Boot übergeben die Dresdner dem Talentestützpunkt Döbeln. Sachsen helfen Sachsen. „Die müssen da sicher jede Menge Arbeit reinstecken, aber im Grunde genommen ist das Boot sehr zuverlässig“, sagt Jens Kühn. Der Mann muss es wissen.

Für Liebscher und Kriegerstein stehen in drei Wochen die ersten nationalen Qualifikationen für den Jahreshöhepunkt an, die WM im tschechischen Racice (24. bis 27. August). Ob da bereits ein Katamaran-Effekt zu spüren ist?