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Ein Blockparteifreund bei der Firma

Der Kamenzer Günter Kern war Mitglied der LDPD. Nach der Wende erfuhr er, dass er von seinem Kreischef ausspioniert wurde.

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© privat

Von Günter Kern

Als ich nach der Wende meine Stasiakte las, bekam ich ganz neue Einsichten in das Innenleben eines Blockparteifreundes. Und das kam so: Der Lehrer Karl Birus hatte mich im Sommer 1965 für die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) in Kamenz geworben. Mein Eintrittsdatum wurde kurzerhand drei Monate vorverlegt, um einen weiteren Anwerbeversuch der SED abzublocken. Nun war ich plötzlich Mitglied einer sogenannten Blockpartei. Natürlich hatte ich viele Fragen: Was heißt Blockpartei? Wer waren die Mitglieder und wer die Funktionäre der LDPD?

Diese Aktennotiz von 1982 weist auf eine Haustürschlüsselfrage hin.
Diese Aktennotiz von 1982 weist auf eine Haustürschlüsselfrage hin. © szo
Ein Auszug aus der Tonbandabschrift eines Stasi-Treffens mit IM Meister. Der Blockparteifreund war direkt im Auftrag der Firma im Haus der Familie Kern tätig.
Ein Auszug aus der Tonbandabschrift eines Stasi-Treffens mit IM Meister. Der Blockparteifreund war direkt im Auftrag der Firma im Haus der Familie Kern tätig. © szo

Die erste Versammlung, die ich besuchte, brachte einige Erkenntnisse. Mitglieder dieser Partei waren vor allem Lehrer, Handwerksmeister, Geschäftsinhaber, Angestellte mittlerer Verwaltungsebenen in volkseigenen Betrieben und auch einige Mediziner und Freiberufler. Allen war gemeinsam, sich der absoluten ideologischen Vereinnahmung durch die SED entziehen zu wollen und ein eigenes, wenn auch eingeschränktes Engagement in der DDR zu leben. Die Zusammenkünfte liefen meist so ab, dass zunächst ein mit der SED und der Nationale Front der DDR abgestimmtes Thema besprochen wurde. Die hauptamtlichen Referenten handelten das Thema völlig kritiklos im Sinne der SED-Vorgabe ab, und dann begann der zweite Teil. Viele waren nur wegen des zweiten Teils des Abends gekommen. In geselliger Runde wurde über Gott und die Welt diskutiert. Auch da wurde keine offizielle Kritik an den aktuellen Gegebenheiten in der DDR laut. Man hatte sie so hingenommen.

Funktionäre ähneln sich

Ganz anders als die Mitglieder verhielten sich die um ihre Karriere bemühten Funktionäre in der Blockpartei. Wer hauptamtlicher LDPD-Kreissekretär war oder als Mitglied des Rates des Kreises oder des Rates der Stadt arbeitete, unterschied sich nicht von einem SED-Funktionär. Linientreue und zum Teil auch Gewissenlosigkeit gegenüber den eigenen Parteimitgliedern waren Markenzeichen. Ich erinnere mich an zwei markante Ereignisse:

Als die Stasi bei mir im Haus auf dem Bautzner Berg tätig wurde und ich das bemerkte, schrieb ich einen sehr persönlichen Brief an den Kreissekretär der LDPD. Dieses vertrauliche Schreiben fand ich in meinen Stasi-Unterlagen, die ich nach 1990 einsehen konnte. Meine Frau und ich hatten Mitte der 80er Jahre die Vorstellung, dem immensen staatlichen Druck in Kamenz ausweichen zu müssen, indem wir unser Grundstück verkaufen und in eine andere Gegend ziehen, um von dort aus gegebenenfalls einen Ausreiseantrag zu stellen. Der damalige Vorsitzende der LDPD im Kreis Kamenz , immerhin Stellvertreter des Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz, wurde als „IM Meister“ der Kreisdienststelle des MfS in Kamenz beauftragt, uns im Haus auf dem Bautzener Berg 8 zu besuchen. In unseren Stasi-Unterlagen fanden wir ein „Besuchsprotokoll“ und eine Handzeichnung zur Zimmeraufteilung und zum Standort des Telefons in unserem Haus (siehe untenstehende Leseprobe aus den Unterlagen) . Die gefertigten Haus-Skizzen des „IM Meister“ waren letztendlich die logistische Vorbereitung der Stasi zur Installation einer Abhöranlage in unserem Haus.

Eine Haustürschlüsselfrage

Wie die Stasi zum Schlüssel für unser Haus gekommen war, ist wiederum eine bezeichnende Geschichte aus dem Alltag der DDR. Die intellektuelle Spitzeltätigkeit wurde auch direkt von meinem Vorgesetzten, dem Direktor der Berufsschule des Landbaukombinates unterstützt, der als IM der Stasi-Hauptverwaltung in Berlin geführt wurde. Er bekam den Auftrag, mich bei einem Besuch in der Berufsschule derart abzulenken, dass die Firma in den Besitz meiner Haustürschlüssel kommen konnte. Auch dazu findet sich eine Aktennotiz: „Durch Ermittlungen war uns die Gewohnheit des K. bekannt, wenn er sein Zimmer verlässt, dass er sein Schlüsselbund an der Tür stecken lässt.“ Später wurde eine Abhöranlage am Bautzner Berg 8 installiert – unter dem unglaublich inszenierten Vorwand, dort Fundmunition bergen zu müssen, die es freilich nie gab.

Etwa 1980 stellte ich die Besuche von Veranstaltungen der LDPD ein und zahlte nur noch meinen geringen Beitragssatz. IM Meister führte in der Wende als Vorsitzender des LDPD-Kreisverbandes Kamenz sehr zügig seine „LDPD“ in die FDP. Nun als Mitglied der gesamtdeutschen FDP und damit auch demokratisch gewählter Kreisrat und Bürgermeister einer Gemeinde im Landkreis war er ab Frühjahr 1990 wieder politisch aktiv. Seine IM Tätigkeit für die Kreisdienststelle des MfS in Kamenz hat er nie öffentlich gemacht.

IM Meister fällt weich

Als ich bei der Stasi-Unterlagenbehörde in der Außenstelle Dresden nach 1990 meine über mich angefertigten Unterlagen einsehen konnte und ich diese vergangene Spitzeltätigkeit des Abgeordneten der FDP im jetzigen Kreistag Kamenz der Landrätin mitteilte, wurde „IM Meister“ mit einem Blumenstrauß aus dem Kreistag verabschiedet – ohne auf seine Vernetzung mit der Stasi hinzuweisen. Er übte noch weitere Jahre seinen gut bezahlten Job als Bürgermeister der FDP in einer Gemeinde im Landkreis Kamenz aus.

Trotzdem, etwas Gutes hatte die Mitgliedschaft in der Blockpartei LDPD: Allen Pädagogen in der DDR, also auch mir, war auferlegt, am monatlichen Parteilehrjahr der SED teilzunehmen. Ich habe das nie getan, mit dem Hinweis nicht Mitglied der SED zu sein. Mir blieb dadurch viel ideologischer Schwachsinn erspart.

Unser Autor Günter Kern (73) schreibt derzeit an seinen Erinnerungen zum DDR-Alltag und zur friedlichen Revolution vor 25 Jahren. Die SZ druckt in einer Reihe Auszüge daraus ab. Kern hat seit 1990 wichtige Funktionen in der neugegründeten SPD in Kamenz, im Arbeitersamariterbund und als Dezernent der Kreisverwaltung inne gehabt.