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Ein bisschen Riesa ist überall

Software-Entwicklerin in Neuseeland, Koch in Österreich, Rentnerin in Kalifornien/USA – so unterschiedlich sich das Leben dieser Menschen auch entwickelt hat, eines haben sie alle gemein: Ihre Heimatstadt heißt Riesa.

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© Gestaltung: Sebastian Schultz

Von Julia Solinski

Wellington/Riesa. Heiß war er dieses Jahr, der Sommer in Riesa. Wochenlang herrschten Temperaturen über 30 Grad, der Schifffahrtsverkehr auf der Elbe kam wegen Niedrigwasser zum Erliegen, und selbst die Nächte brachten irgendwann keine Abkühlung mehr. Doch von alldem hat die Riesaerin Kirsten Schubert nichts mitbekommen. Während die Bewohner ihrer Heimatstadt schwitzten, musste sie selbst sich warm anziehen. Denn in Neuseeland, am anderen Ende der Welt, war gerade Winter.

Am anderen Ende der Welt: Im Süden der Nordinsel von Neuseeland lebt Kirsten Schubert seit vier Jahren. Dass sie aus der Sportstadt Riesa stammt, hat der heute 34-Jährigen bei ihrem Start in Neuseeland auf besondere Weise geholfen.
Am anderen Ende der Welt: Im Süden der Nordinsel von Neuseeland lebt Kirsten Schubert seit vier Jahren. Dass sie aus der Sportstadt Riesa stammt, hat der heute 34-Jährigen bei ihrem Start in Neuseeland auf besondere Weise geholfen. © Montage: Sebastian Schultz

Und der ist in Kirsten Schuberts neuer Heimatstadt Wellington, wo nur wenige Gebäude Heizungen haben, vor allem windig. „Man nennt die Stadt auch Windy Wellington, weil hier meistens ein ziemlicher Föhn weht“, erläutert die 34-Jährige in sächsischem Dialekt, und fügt an: „Flugzeuge, die im Winter hier landen wollten, haben nur so in der Luft getanzt.“

Seit vier Jahren lebt die gebürtige Riesaerin schon auf dem Inselstaat im südlichen Pazifik. Dabei deutete nichts in ihrem alten Leben daraufhin, dass Kirsten Schubert noch einmal neu anfangen würde.

Augenöffner Bangkok

Mit Ende 20 hatte die Software-Programmiererin einen gut bezahlten Job in Berlin. Als Angestellte einer IT-Firma bearbeitete sie Aufträge für die Bundeswehr und verschiedene Bundesministerien. In Berlin hatte sie schnell Freunde gefunden, als sie 2008 der Liebe wegen von München umgezogen war. Und doch kündigte sie 2011 ihren Job, löste ihre Wohnung auf und stieg ins nächste Flugzeug nach Thailand. Warum?

„Während meiner Ausbildung bei Siemens in München hatte ich ein halbes Jahr in Bangkok verbracht“, erzählt die Programmiererin. „Das war ein Augenöffner für mich! Ich wollte dort gar nicht weg“. Trotzdem kehrte die Auszubildende nach dem Ende ihrer Praktikumszeit Thailand den Rücken. Zurück in München bekam sie von Siemens das Angebot, ein duales Studium zu beginnen. Also blieb sie. Direkt nach ihrem Abschluss winkte eine lukrative Stelle bei dem großen Technikkonzern. Für die Berufseinsteigerin zu verlockend, um abzulehnen. Auf die erste Anstellung folgte eine zweite, dann eine dritte – jede besser als die vorige. Kirsten Schubert machte Karriere in einem Beruf, der nach wie vor von Männern dominiert wird – und fühlte sich trotzdem fehl am Platz.

„Seit Bangkok habe ich davon geträumt, im Ausland zu leben“, gesteht sie. Nach ihrem 30. Geburtstag traf die Programmiererin schließlich eine Entscheidung. Mit dem sogenannten Work-and-Travel Visum kann man in vielen Ländern der Welt ein Jahr lang unkompliziert reisen und arbeiten – allerdings nur, wenn man die 30 noch nicht überschritten hat. „Ich wusste, wenn ich jetzt nicht gehe, wird es wahrscheinlich nichts mehr“, resümiert Schubert.

Keinen Plan B

Also brach sie ihre Zelte in Berlin ab und flog gemeinsam mit einer Freundin nach Südost-Asien. „Nur Ungewissheit bringt Spontanität, deshalb habe ich keinen Plan B gemacht“, erläutert sie. Ein halbes Jahr lang reisten beide durch Thailand und Malaysia, Birma, Singapur und Vietnam, bevor sie den asiatischen Kontinent in Richtung Neuseeland verließen. Dort angekommen kamen sie zunächst bei einer Bekannten von Schubert unter: Beide hatten in Riesa im selben Kanusportverein trainiert.

Der Neubeginn am anderen Ende der Welt verlief überraschend unkompliziert, findet Kirsten Schubert: „Nach zwei Wochen bin ich bereits in eine eigene Unterkunft umgezogen, und wenig später hatte ich meinen ersten Job.“ Wobei ihre Profession durchaus geholfen haben dürfte: Wie in den meisten Industrienationen sind Informatiker auch in dem Inselstaat heiß begehrt.

Bald erstellte die Programmiererin aus Riesa wieder Webseiten für die Regierung; statt in Deutschland nun eben in Neuseeland. Mittlerweile arbeitet sie für eine neuseeländische Firma an einer Internetplattform, über die weltweit Ersatzteile für Autos gehandelt werden. Hier hat sie gefunden, was sie in Deutschland vermisst hat: „Die Arbeitseinstellung der Kiwis“, erzählt sie und meint die Neuseeländer, „ist einfach ganz anders als die der Deutschen.“

Für die rund 80 Mitarbeiter stellt die Firma in Wellington nicht nur wie üblich Schreibtische und Computer bereit, sondern auch Sofas, Bierzapfhähne und Spielautomaten. Das wirke sich positiv auf das Betriebsklima aus, berichtet die 34-Jährige: „Hier hört Dir jeder zu, wenn Du Fragen oder Probleme hast. Alle sind entspannt und füreinander da“. Fragt man Kirsten Schubert, ob sie etwas bereut, antwortet sie entscheiden: „Ich hätte schon früher hierher kommen sollen.“