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Ein bisschen anders

Weil die zweijährige Mia das Downsyndrom hat, musste sie ihre Kita verlassen.

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Von Anna Hoben

Ein Nachmittag in der Woche, Remmidemmi-Zeit bei Familie Franke im Coswiger Ortsteil Neusörnewitz. Im Kinderzimmer zieht Johanna ein Plastikauto an der kleinen Rutschbahn nach oben und lässt es geräuschvoll nach unten sausen. Mia klopft derweil auf einer Trommel herum. Die beiden Mädchen sind Zwillinge, zweieinhalb Jahre alt. Heute haben beide pinke Sachen an, und wie andere Zwillingspaare können sie schlecht ohne einander. Wenn Mia vormittags im Kindergarten ist, dann sagt Johanna zu ihrer Mutter Manuela Franke: „Mia abholen!“ Und: „Gucken, ob Mia Blödsinn macht.“

Ganz normal eigentlich. Nur dass Mia ein bisschen anders ist, sie hat das Downsyndrom. Und dass deshalb für Manuela Franke, 35, alles schwieriger ist als für andere Eltern. Das gipfelte darin, dass Mia im Juli ihren Kindergarten verlassen musste, die „Sörnewitzer Kinderwelt“, die sich eine „integrative Kindertageseinrichtung“ nennt. Mia sei zu oft krank, hieß es. „Das war ein Schlag ins Gesicht“, sagt Manuela Franke. Sie beschloss, auch Johanna aus der Kita zu nehmen.

Heute sagt die Neusörnewitzerin: Der Rausschmiss war das Beste, was passieren konnte. Und trotzdem ist sie enttäuscht. Von einem System, in dem sie als alleinerziehende Mutter zweier Kinder, von denen eines behindert ist, kaum Unterstützung bekommt. Von einer Gesellschaft, in der viel über Inklusion und Integration geredet wird, aber wenig getan. Vor der Geburt hatte sie Vertrauen in das System. Heute sagt sie: „Ich merke nichts von Inklusion.“

Odyssee durch die Kliniken

Zwei Jahre hatten Manuela Franke und ihr damaliger Freund versucht, ein Kind zu bekommen. Die künstliche Befruchtung klappte gleich beim ersten Versuch. Als in der 13. Woche der Schwangerschaft zum ersten Mal ein Arzt den Verdacht äußerte, dass eines der Kinder das Downsyndrom haben könnte, fing die Beziehung an zu kriseln. Im Februar 2011 kamen die Zwillinge als Frühchen zur Welt.

Das erste halbe Jahr war Mia wegen eines Herzfehlers ständig im Krankenhaus. Im Juni trennten sich Manuela Franke und ihr Freund. „Der Kindsvater“, so nennt sie ihn heute, lasse sich seitdem nur selten blicken. Jeden Tag fuhr die Mutter also mit ihrem Baby ihr anderes Baby besuchen. Nach Neustadt, nach Leipzig, nach Kreischa. „Irgendwann konnte ich nicht mehr.“ Als sie einmal mit der kranken Johanna zu Hause blieb, hätten ihr die Ärzte vorgeworfen, sie würde Mia nicht lieben. Jeden Tag sollte sie acht Stunden bei ihr in der Rehaklinik in Kreischa sein. „Aber ich hatte doch auch noch ein zweites Kind.“

Sie schaltete das Jugendamt ein, holte Mia wieder nach Hause. Für zwei Wochen bekam sie eine Haushaltshilfe. Vier Stunden lang kam täglich ein Pflegedienst. „Das war eine Erleichterung“, sagt Manuela Franke. Mia wurde über eine Sonde ernährt und hing an der Sauerstoff-Flasche. Doch im Februar 2012 wurde der Pflegedienst gestrichen – von heute auf morgen. Ursprünglich hatte Manuela Franke ein Jahr Elternzeit nehmen wollen. Die hat die Rettungsassistentin inzwischen um weitere zwei Jahre verlängert, während dieser Zeit bekommt sie Hartz IV.

Als im Spätsommer 2012 beide Kinder krank waren, bat sie noch einmal das Jugendamt um Unterstützung. Man könne nicht helfen, sagte das Amt. Es sei kein Kindswohl gefährdet. „Und was ist, wenn ich zusammenbreche?“, fragte Manuela Franke. Dann würden die Kinder in Pflegefamilien kommen, sei die Antwort gewesen. Dafür bekam sie die Erlaubnis, ihre Kinder im Februar 2013 schon früher als geplant in die Kita zu geben. In der „Sörnewitzer Kinderwelt“ war Mia das einzige Kind mit Behinderung.

Dann, im Juni, die Kündigung. Die offizielle Begründung: Die Eingewöhnungsphase habe nicht abgeschlossen werden können, die Mädchen seien während der vier Monate nur 17 Tage in der Kita gewesen. Dass Mia so oft krank war, so viel ist heute klar, lag an einer Darmkrankheit, die erst spät erkannt wurde. Vor Kurzem ist sie deswegen operiert worden.

Kindergarten war überfordert

Heute sagt die Kita-Leiterin Madeleine Ehrlich im Gespräch mit der SZ: „Wir hatten uns überschätzt.“ Man habe sich am Anfang auf die Herausforderung gefreut und gründlich auf Mia vorbereitet. Eine der Kindergärtnerinnen hat eine heilpädagogische Zusatzqualifikation – eine Voraussetzung dafür, dass sich eine Einrichtung als „integrativ“ bezeichnen darf. Es sei aber deutlich geworden, dass Mia sich nicht wohlgefühlt habe in der großen Krippengruppe mit mehr als 20 Kindern.

In ihrem Kündigungsbrief schrieb die Kita-Leiterin etwas verklausuliert: „Durch unser Konzept der offenen Arbeit und die damit verbundenen räumlichen Bedingungen können wir unserer Fürsorgepflicht nicht in ausreichendem Maße nachkommen.“ War das Selbstkritik? Heute sagt Madeleine Ehrlich: „Wir sind eine Integrationseinrichtung – aber man muss das auch leisten können.“ Und ja, man habe in der Zeit, in der Mia nicht in die Kita kommen konnte, finanziell ein „Minus“ gemacht, weil „nur 45 Fehltage“ finanziert werden. Das habe aber bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.

Inzwischen ist Manuela Franke das egal. Der Alltag ist immer noch schwierig. Doch seit zwei Wochen besucht Mia stundenweise eine Kita der Lebenshilfe in Meißen, dort fühlt sie sich pudelwohl. Nur für Johanna gibt es dort keinen Platz. Sie könnte zwar in eine Kita in Coswig gehen. „Aber ich möchte die beiden nicht trennen.“