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Ein Bahnhof in der Görlitzer Altstadt

Das Schlesische Museum bereitet eine Sonderschau zu Bahn-Jubiläen vor. Eine große Modellanlage gehört dazu.

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© Nikolai Schmidt

Von Ralph Schermann

Görlitz. Martin Kügler wird am 2. September das Signal pünktlich auf Grün stellen können. Fahrplangerecht rollt dann die Sonderausstellung „Achtung Zug!“ an. Zwölf Monate lang soll sie im Museum auf der Brüderstraße an 175 Jahre schlesische Eisenbahngeschichte erinnern.

Der Bahnhof ist ebenso fertig wie der frühere Vorplatz. Detailgetreu entstehen dahinter die Bahnsteigüberdachungen.
Der Bahnhof ist ebenso fertig wie der frühere Vorplatz. Detailgetreu entstehen dahinter die Bahnsteigüberdachungen. © Archivfoto: Ralph Schermann
Die 30 großen Bögen des Görlitzer Neiße-Viaduktes sind eine Meisterleistung des Modellbauers.
Die 30 großen Bögen des Görlitzer Neiße-Viaduktes sind eine Meisterleistung des Modellbauers.

Kügler ist Kurator der Schau. Mit Schrecken erinnert er sich an die erhaltene Aufgabe: Bahngeschichte – das sind so viele Bereiche, wie soll man die alle zusammenstellen? Am Jahresanfang noch war der Ausstellungsraum leer, Küglers Kopf aber voll umzusetzender Schlagworte: Uniformkunde, Militärdienst, die Bahn bei Flucht und Vertreibung, Lokomotiven, Waggons, Strecken, Fahrzeiten, Abteilklassen, Bahnhofsgastronomie, Signale, Fahrkarten und noch Dutzende Themen mehr. Woher sollen bloß all die Exponate dafür kommen? „Heute haben wir so viel, dass gar nicht alles unterzubringen ist“, erzählt Martin Kügler. Denn er fand „überall offene Türen – bei Privatleuten, Firmen, Vereinen. Die Waggonbaubetriebe Görlitz und Niesky sind dabei, es gibt Leihgaben aus den Museen Hirschberg und Lauban.“ Allein zehn Güterwagen-Modelle im Maßstab 1:10 steuert ein Nieskyer bei, der sie einst als Lehrling gebaut hat. Eine Auswahl von rund 500 Eisenbahn-Herstellerschildern wird die Fachleute ebenso begeistern wie die Laien ein nachgebautes 3.-Klasse-Abteil mit Filmvorführungen. Als Kompromiss wird zusätzlich auch der Saal im Erdgeschoss der Sonderausstellung gewidmet: „Hier werden wechselnde Themen behandelt, wird es Vorträge und Veranstaltungen geben“, kündigt der Kurator schon mal an. Immer dabei: originale Objekte, historische Pläne, Fotografien und Modelle. Zur modernen Präsentation zählen Hörstationen, und auch auf die Kinder werden so einige Extras warten.

Das größte Stück der Schau ist seit Ende voriger Woche da. Sehr sensibel ging die Umzugsfirma Wiesenhütter damit um, brauchte dafür drei Touren zum Schlesischen Museum. Wenn im September die Ausstellung öffnet, wird nämlich erstmals ein großes Modell der Görlitzer Bahnhofsanlage in Betrieb genommen. Seit 2002 arbeitet der Görlitzer Ingo Wobst daran. Das gezeigte Modell im Maßstab 1:87 reicht vom Viadukt über den Bahnhof bis zum Brautwiesentunnel und ist doch nur ein Teil. Knapp 20 Meter lang und rund vier Meter breit enthält jetzt das Museum den bisher fertigen Anlagenstand, manches davon sogar doppelt. So sind zum Beispiel gleich beide Bahnhofsbauten des 19. und des 20. Jahrhunderts darstellbar.

1995 hatte Ingo Wobst erste Ideen, all das auf dem Stand der größten Ausdehnung für die Nachwelt festzuhalten, also ein Abbild der technischen Blütezeit um 1915/1920 zu schaffen. Die gesamte Görlitzer Bahnstrecke von Schlauroth bis zum früheren Bahnhof Moys will er nachbauen. 60 Meter lang soll das Modell am Ende sein. „Bis ins Rentenalter werde ich zu tun haben“, weiß der 50-Jährige.

An seinem Traum arbeitet er täglich. Sein Credo: „Ich gestatte keine Kompromisse!“ Was er baut, entspricht dem Original. Deshalb scheut er Vereinsgründungen, arbeitet ausschließlich allein. Er studiert in Archiven Bauzeichnungen, belegte sogar einen Polnisch-Kurs, um in Wroclaw Unterlagen zu sichten. Er hat alles, was noch erkennbar ist, auf den Millimeter genau vermessen. Sogar einen Satelliten benutzte er für Messungen, um Gefälle und Wasserabläufe perfekt nachzubilden. Jeden Cent, den er entbehren kann, steckt Ingo Wobst in sein Projekt. Er kaufte Präzisionsmaschinen, baut mit diesen sogar das kleinste Detail nach. Selbst die Äste der Straßenbäume richtet er so aus, wie sie auf alten Fotografien erkennbar sind. Rauchableitung, Fahrstühle und Gepäckabfertigung funktionieren wie im Original. Er fertigt jede Straßenlampe selbst, jede Dachschindel und jeden Strauch am Rande. Allein für die 30 Bögen des Viaduktes benötigte er rund 2 500 Arbeitsstunden, für die Dächer der Görlitzer Bahnsteige 230 Meter Aluminium-Profile. Alles wird verkabelt, um leuchten zu können, und die Züge werden natürlich fahren. Speiseräume im Inneren des Bahnhofes sind eingeräumt, drinnen gibt es winzige Tische, auf denen Geschirr steht. „Leider kann das von außen ebenso keiner sehen wie die originalgetreue Unterkellerung“, bedauert Ingo Wobst. Doch er schafft damit mehr als eine reine Unterhaltungsanlage: Die Technische Universität Dresden bescheinigte dem Projekt eine Anerkennung als verkehrswissenschaftliche Dokumentation. Das Wroclawer Landesmuseum erwarb für eine Ausstellung den fertigen Moyser Anlagenteil als Leihgabe. Statiker würdigen die präzisen Tragwerke der Hallen. An den Schnittkanten der Modelle sind auch die unterirdischen Anbindungen erkennbar, bei der Post zum Beispiel der Messingmantel der einstigen Rohrpostanlage. Und die Straßenbahnen auf der Bahnhofstraße sind natürlich in Görlitz gebaute Wumag-Fahrzeuge.

Von Kommunalpolitik bis Ministerien, selbst von der Deutschen Bahn kam bisher allerdings keine Unterstützung, meist nicht mal eine Antwort. Doch aus der Schweiz gibt es Interesse an der akribischen verkehrstechnischen Darstellung. „Das wäre mir aber nicht so lieb, für kommende Generationen dürfte meine Arbeit in unserer Region besser aufgehoben sein“, sagt Ingo Wobst. Für ein Jahr zumindest ist sie das nun im Schlesischen Museum.