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Ein 600-Jähriger, der starb und doch nicht verschwand

1415 wurde der Reformator Jan Hus als Ketzer verbrannt. Mehrere Projekte in der Oberlausitz erinnern an ihn.

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© Plakat: Brüdergemeine Herrnhut

Von Irmela Hennig

Und immer die Mütze. Genauer: ein Barett – jene flache, runde, manchmal auch eckige Kopfbedeckung aus Wollstrick, Stoff, Samt oder gefütterter Seide ohne Schirm und Krempe. Entstanden im 15. Jahrhundert. Ob Jan Hus sie überhaupt noch kennengelernt hat, ist fraglich. Schließlich starb er schon 1415, also zu Beginn dieses Zeitalters. Verbrannte am 6. Juli auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Verurteilt als Ketzer, als Abtrünniger der allgemeingültigen kirchlichen Lehre.

Schon ganz frühe Bilder zeigen den Märtyrer mit Hut oder Bischofsmütze auf dem Scheiterhaufen. Wie viel Wahrheit darin steckt, lässt sich nicht sagen. Eine zeitgenössische Darstellung gibt es nämlich nicht, verrät die Ausstellung „Jan Hus – Wege der Wahrheit“, die bis 8. November im Kulturhistorischen Museum Zittau läuft. Holzschnitte von Hartmann Schedel in der „Schedelsche Weltchronik“ von 1493 machten aus der Kopfbedeckung ein Barett. Und aus dem Theologen, Autor, Reformator und Kirchenkritiker Jan Hus einen asketischen Prediger. Hager, mit Bart, langem Mantel, Buch und eben jener Mütze.

Die wechselt häufig den Kopf, wenn sie Teil eines Theaterstückes ist, das gerade durch die Region tourt. Sechs Schüler des Herrnhuter Zinzendorfgymnasiums setzen sie sich auf, wenn sie zu Hus werden. Denn im Schauspiel „Jan Hus und die Wahrheit“ ist jeder mal dran, in die Rolle des Geistlichen zu schlüpfen. Auf der Suche nach eben der Wahrheit ist jeder mal Hus.

Ein Kirchenabtrünniger des Mittelalters – das ist doch ein schwieriges Kapitel für 15- bis 16-Jährige? 600 Jahre alte Geschichte über einen Mann, der 1369 im böhmischen Husinec geboren wurde. Der studierte, Priester wurde und sogar für kurze Zeit das Amt des Rektors der Prager Universität innehatte. Der auf Tschechisch predigte und damit Martin Luther vorwegnahm. Der sich schließlich aussprach gegen den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht der Geistlichen und ihr Lasterleben. Der für Gewissensfreiheit eintrat und die Bibel als einzige Autorität in Glaubensfragen betrachtete – und nicht den Papst. Das und weitere neue Denkansätze brachten ihm Ärger, Verfolgung, einen Prozess und schließlich die Hinrichtung. Böhmen und den umliegenden Staaten bescherte dies letztlich die Hussitenkriege. Denn Hus’ Anhänger hielten nicht lange still. Sie überzogen das Land und seine Nachbarn von 1419 bis 1436 mit Kampf, Raub, Plünderung.

150 Mitwirkende für Oratorium

Gewichtig ist das, aber wenig modern für Schüler, möchte man meinen. Mechthild Roth, Theaterpädagogin am Soziokulturzentrum Hillerschen Villa Zittau, sieht das anders. Sie betreut die jungen Schauspieler und die Sänger vom Zinzendorfgymnasium, die das Stück aufführen. Und sie stellt fest: „Das Thema Wahrheit, die Frage – wer hat recht – ist zeitlos. Auch Jugendliche können damit etwas anfangen.“ Glaube, Fanatismus, Toleranz, Wertschätzung von Andersenkenden – all das seien grundsätzliche Dinge, die immer gelten.

45 Minuten lang ist das Stück von Benigna Carstens, das Einblick in Leben und Wirken von Hus gibt. „Kurze prägnante Sätze“ machen es aus, sagt Mechthild Roth. Zitate wie das folgende, sind für die Theaterfrau das, was über die Geschichte hinaus bleibt. „... wo immer ich eine richtigere Meinung erkenne, werde ich meine weniger richtige sogleich aufgeben, und demütig und fröhlich die besser begründete Ansicht annehmen, weil ich weiß, dass, was wir wissen, nur ein unbedeutender Bruchteil dessen ist, was wir nicht wissen“, so hat Jan Hus geschrieben.

Diese wesentlichen Botschaften transportiert auch das Oratorium „Johannes Huss“ des Komponisten Carl Loewe (1796 bis 1869). Die Handlung folgt in drei Teilen Hus‘ Weg nach Konstanz. Immer wieder erklingt dabei der Choral „Was mein Gott will, das g’scheh allzeit“. Glaube, Liebe, Hoffnung – das Thema eines Traktates von Jan Hus – wird aufgegriffen. Das Werk folgt dem Märtyrer bis in den Flammentod. Am 31. Oktober, dem Tag der Reformation durch Martin Luther, wird das Oratorium in Herrnhut aufgeführt. Solisten, die Neue Lausitzer Philharmonie, der Kirchenchor Herrnhut, der Oratorienchor Hoyerswerda und ein Chor aus Berlin wirken mit. Rund 150 Sänger und Musiker sind eingebunden.

Die Freikirche der Herrnhuter hat eine besondere Verbindung zu Hus. Denn sein Tod löste eine erste Reformation in Tschechien aus. Aus ihr gingen die Böhmischen Brüder hervor – einige von ihnen kamen schließlich in die Oberlausitz und bauten unter dem Schutz des Nikolaus von Zinzendorf die neue Glaubensgemeinschaft der Brüdergemeine auf.

Peter Kubath, Kantor in Herrnhut, hat die Leitung des Projektes inne. Er hatte die Noten des Oratoriums vor einigen Jahren im Chorarchiv der Brüdergemeine entdeckt. „Ich dachte damals schon, das könnte man aufführen, wenn es ein Jubiläum gibt.“ Die Berliner Mitstreiter hatten bereits Erfahrung mit „Johannes Hus“ und so tat man sich im 600. Todesjahr zusammen. Dreimal wird das Werk präsentiert. Das Interesse in der Oberlausitz sei vorab schon groß, erzählt Peter Kubath. Der Reigen der Hus-Veranstaltungen ist also dicht; am 1. November wird in Herrnhut beispielsweise der Jan-Hus-Predigtpreis 2015 verliehen.

Den Autor zu lesen ist allerdings nicht einfach. Zwar wurden in Tschechien einige seiner Werke in letzter Zeit herausgeben. Auch auf Englisch sind Schriften von ihm zu haben. Auf Deutsch aber gibt es sie fast nur antiquarisch. Allerdings will die Evangelische Verlagsanstalt in Leipzig im Mai 2016 die wichtigsten Schriften in einem Buch herausgeben. Denn Nachfrage gibt es.

Das erlebt auch das Zittauer Museum mit seiner aktuellen Ausstellung über Jan Hus. Der Besuch sei recht gut. Bis Mitte vergangener Woche kamen rund 3 700 Gäste. Vor allem auch viele Schüler, sie nahmen an Führungen teil. Der Zuspruch zu einer Nacht der Hussiten war enorm. Zur Eröffnung Mitte August war die Klosterkirche am Museum rappelvoll. Museumsleiter Marius Winzeler ist zufrieden. Er rückt sein Haus in den internationalen Kontext zu Tábor in Südböhmen, wo die große tschechische Hauptausstellung zum Reformator gezeigt werde.

Marius Winzeler hat sie gesehen und meint: „Unsere Schau kann sich durchaus im Vergleich dazu sehen lassen.“ Unter anderem mit dem regionalen Bogen über Herrnhut bis zur Gegenwart. Zudem werden einzigartige Exponate gezeigt, die an keinem anderen Ort vorhanden sind, wie Handschriften, frühe Drucke und Porträts. Und auf diesen ist es dann wieder zu sehen – das Barett des Jan Hus.