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Ehrlich, frech, provokant

Bei der Radeberger Firma paso doble werden Mitarbeiter mit Handicap zu Werbehelden. Dafür gab es einen Preis.

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Von Marleen Hollenbach

Der Held mit dem gelben Umhang heißt Michael. Mit einer Klobürste in der Hand hat ihn der Fotograf in Szene gesetzt. Der junge Mann hat zugestimmt, dient jetzt seiner Firma als Werbegesicht– und muss sich doch eine Frechheit gefallen lassen. „Sprung in der Schüssel“ haben die Werbetexter mit aufs Plakat geschrieben. Sie spielen dabei auf die schwere psychische Erkrankung des Mannes an, der manchmal sogar Wahnvorstellungen hat. Eigentlich eine Unverschämtheit. Doch Michael wird es seinen Chefs nicht übel nehmen. Im Gegenteil: Er hat dem provokanten Spruch sogar zugestimmt.

Martin Wallmann Geschäftsführer paso doble
Martin Wallmann Geschäftsführer paso doble © PR
Mit mutigen Plakaten wirbt das Radeberger Dienstleistungsunternehmen paso doble ab sofort für sich. Die Werbegesichter: Mitarbeiter wie Michael.
Mit mutigen Plakaten wirbt das Radeberger Dienstleistungsunternehmen paso doble ab sofort für sich. Die Werbegesichter: Mitarbeiter wie Michael. © PR

Das Plakat gehört zu einer Kampagne, mit der die Radeberger Firma paso doble auf sich aufmerksam machen möchte. Dabei stehen vor allem die 21 der 46 Mitarbeiter im Fokus, die eine Behinderung, eine chronische Krankheit oder eine Lernschwäche haben. „Die Werbung ist natürlich frech, aber wir machen uns nicht über die Mitarbeiter lustig. Man sieht ihnen auf den Fotos die Behinderung nicht an“, erklärt Geschäftsführer Martin Wallmann, der gleichzeitig auch Chef des Epilepsiezentrums Kleinwachau ist.

Die Kampagne kommt gut an. Und sie überzeugt sogar die Experten. Am Donnerstagabend traf sich der Marketing-Club Dresden im Hotel Hilton. Einmal im Jahr verleihen die Mitglieder ihren Preis für gelungenes Marketing. 29 Vorschläge gingen ein, 19 Unternehmen wurden nominiert, drei Firmen zur Preisverleihung eingeladen. Die AOK Plus kam mit einem Werbefilm nach Dresden. Das junge Unternehmen Hookie aus Dresden präsentierte seinen Auftritt bei Instagram, einer Internet-Plattform. Doch an den Radebergern kam an diesem Abend keiner vorbei. Entwaffnend ehrlich, stark getextet, urteilten die Juroren und lobten: „Der Firma ist es gelungen, das schwierige Thema Inklusion so umzusetzen, dass man schmunzeln kann.“

Sechs Plakate mit den Fotos von sechs Mitarbeitern gehören zur Kampagne. Die Sprüche variieren. „Schraube locker“ steht da genauso wie „Noch alles im Lack“ oder „Nicht ganz glatt“. Eindeutige Anspielungen. Doch die Frage, ob die Menschen tatsächlich ein Handicap haben, wird weder gestellt noch beantwortet. „Das muss auch nicht sein. Der Erfolg des Unternehmens bemisst sich schließlich vor allem daran, was die Mitarbeiter leisten“, erklärt der
Geschäftsführer.

Auch eine neue Homepage haben die Mitarbeiter kreiert. Die Texte auf dieser Seite lassen sich mit einem Klick in leichte Sprache übersetzen. Zudem gibt es Videos von einer Frau, die in Gebärdensprache die Inhalte der Seite zusammenfasst. „Wir wollten maximale Barrierefreiheit. Auf unserer Seite soll sich jeder informieren können“, erklärt Alexander Nuck, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Die Firma paso doble gibt es bereits seit 2010. Damals übernahmen Behinderte und nicht behinderte Mitarbeiter ein Café in der Außenstelle der Kleinwachauer Behindertenwerkstatt, organisierten Tanzveranstaltungen. Aus dieser Zeit stammt auch der ungewöhnliche Name des Unternehmens. Doch das Konzept funktionierte nicht, der Erfolg blieb aus. Vor einem Jahr wagte die Firma den Neustart. Dafür holte sich Geschäftsführer Martin Wallmann die Diakonie-Stadtmission Dresden und die Dresdner Volkssolidarität mit ins Boot. Zwei Partner also, bei denen das Thema Inklusion längst eine wichtige Rolle spielt.

Getanzt wurde nicht mehr. Dafür geputzt, geschraubt, gestrichen und gebügelt. Ein modernes Dienstleistungsunternehmen kam auf den Markt. Als Billig-Konkurrenz sieht sich die Firma aber nicht. „Wir zahlen unseren Mitarbeitern den branchenüblichen Tarif, liegen damit also über dem gesetzlichen Mindestlohn“, so der Geschäftsführer. Menschen eine Chance zu geben, die auf dem normalen Arbeitsmarkt kaum eine haben, das ist Martin Wallmann schon gelungen. Doch noch ist paso doble nicht so groß, wie er sich das vorstellt. Der Umsatz liegt unter einer Million, die Kunden kommen hauptsächlich aus Radeberg. Die Kampagne soll das ändern. Die Firma möchte demnächst auch in Dresden Aufträge generieren. Schon jetzt suchen die Chefs nach einem neuen Büro und einer Lagerfläche.