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Dynamo hat sein Leben geprägt

Mit dem Wort Legende ist es so eine Sache. Bei Reinhard Häfner, einem der besten Fußballer seiner Zeit, trifft es zu. Ein Nachruf.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler, Tino Meyer, Daniel Klein und Jochen Mayer

Dresden. Vor ein paar Tagen noch haben sie zusammengestanden und Spaß gehabt. Mit 5:0 gewinnt Dynamo Dresden schließlich nicht alle Tage gegen den VfB Stuttgart. Selbst früher, in ihren glorreichen Zeiten, waren solche Ergebnisse die Ausnahme. „Wenn du nicht so gut geflankt hättest“, sagt Ralf Minge, die eine Dynamo-Legende, also im Flachs zu Reinhard Häfner, der anderen, „dann hätte ich nur die Hälfte meiner Tore gemacht.“ Beide lachen.

Als Minge, inzwischen Dynamos Sportgeschäftsführer, die Anekdote am Montagmittag erzählt, hat er Tränen in den Augen. „Reinhard, unser Idol, ist in der Nacht zu Montag verstorben. Er war für den Verein und vor allem für mich persönlich etwas ganz Besonderes. Insofern erscheint sein Tod auch noch nicht richtig wahr, unbegreiflich“, sagt Minge mit brüchiger, stockender Stimme. Sein früherer Mitspieler erlag dem Krebs. Häfner wurde 64 Jahre alt.

Dass Dynamo an diesem Dienstag im DFB-Pokal gegen Bielefeld spielt, gerät zur Nebensache. „Es ist uns und auch mir ein Bedürfnis, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern deutlich herauszustellen, um welchen Menschen und Spieler es sich bei ihm gehandelt hat“, betont Minge, der öffentlich nie laut wird. Diesmal redet er noch leiser. „Und er war auch ein Kämpfer. Das hat Reinhard besonders in den letzten Jahren bewiesen, als er sich gegen die Widrigkeiten immer wieder gestemmt hat.“

In Erinnerung bleiben wird er vor allem als großartiger Fußballer, als einer der besten seiner Zeit. Häfner gehörte zu den Dynamos, die in den 1970er- und 1980er-Jahren die erfolgreichste Ära des Vereins prägten. „Er hat die zweitmeisten Pflichtspiele für Dynamo absolviert. Und ich will gar nicht anfangen, seine ganzen Titel aufzuzählen“, sagt Minge. Würde er es doch tun, die Liste schiene beinahe endlos.

Viermal wurde der gebürtige Sonneberger mit den Schwarz-Gelben DDR-Meister, viermal gewann er zudem den Pokal, holte mit der Nationalelf 1976 in Montreal Olympiagold. Unvergessen sein Sololauf auf matschtiefem Rasen im Finale gegen Polen, den er mit dem Treffer zum 3:1-Endstand krönte. Eines von fünf Toren in 58  Länderspielen. Für Dynamo traf er in 366 Oberliga-Partien 49-mal, sechsmal in 65 Europacup-Begegnungen.

Die Statistik sagt viel über den begnadeten Fußballer. Aber nichts über den Menschen. „Wenn es nicht lief, glaubte ich, es liege an meiner körperlichen Verfassung. Dabei war es vor allem psychisch bedingt. Meine Nerven spielten nicht mit“, erklärte Häfner in einem Gespräch mit der Sächsischen Zeitung kurz vor seinem 60. Geburtstag. Da wusste er seit ein paar Jahren, dass er genetisch bedingt unter manischer Depression leidet. Eine Krankheit, die erst mit dem Selbstmord von Robert Enke im Profifußball überhaupt zum Thema wurde.

Häfners Gemütslage pendelte zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Für ihn war es ein langer Weg bis zur Diagnose, ein schmerzlicher Abstieg. Nach der Karriere konnte er ab 1988 zunächst als Co-Trainer von Eduard Geyer bei Dynamo arbeiten, bis er im April 1990 zum Chefcoach aufrückte. Dass er mit „einer herausragenden Mannschaft“ gleich Titel und Pokal gewann, sei „für einen Trainer keine große Kunst gewesen“.

Ein Jahr später führte er Dynamo in die Bundesliga, trotz Abgangs von Schlüsselspielern wie Ulf Kirsten und Matthias Sammer. Ein Riesenerfolg – so empfanden es der Trainer und Assistent Hartmut Schade. „Wir waren völlig ahnungslos“, erinnerte sich Häfner an jenen Montag im Mai 1991, als beide zum Präsidenten Wolf-Rüdiger Ziegenbalg bestellt wurden. „Wir glaubten, es ginge um Spielertransfers für die neue Saison.“ Stattdessen wurden sie beurlaubt. „Ich war geschockt, wusste nicht, wie es weitergehen soll. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mir überflüssig vor.“

Zwar bezog er weiter sein Gehalt, aber allein mit Tennisspielen ließ sich eine Woche nicht sinnvoll ausfüllen. Also war er froh, als er bei Dynamos Vermarkter Sorad als Repräsentant arbeiten durfte. Schließlich kehrte er 1992 als Manager sogar in die sportliche Verantwortung zurück. Und wenig später übernahm Rolf-Jürgen Otto die Macht im Verein. „Er sagte mir sofort: Herr Häfner, mit Kommunisten arbeite ich nicht zusammen.“ Dem Bauunternehmer aus Hessen war jeder Ossi zuwider, denn er wollte seine Leute unterbringen. „Aus heutiger Sicht sage ich: Er hat mich gemobbt“, meinte Häfner.

Obwohl sein Vertrag gut dotiert war und noch ein Jahr lief, kündigte er. „Ich konnte nicht mehr“, sagte Häfner. Es folgten weitere Nackenschläge mit den Entlassungen als Trainer in Chemnitz und Halle. Jedes Mal, erklärte Häfner, wollten ihm „Emporkömmlinge ohne Sachverstand, aber mit Hirngespinsten“ den Fußball erklären.

Während dieser Jahre stieg sein Alkoholkonsum. „Ich habe über das Maß getrunken und Dummheiten gemacht, weil ich nicht mehr Herr meiner Sinne war“, gestand er und meinte: „Ich habe versucht, mich mit dem Alkohol selbst zu therapieren, brauchte das, um zur Ruhe zu kommen. Natürlich war das der falsche Weg.“ Noch einmal versuchte er einen Neuanfang bei Dynamo, begann 2002 als Nachwuchskoordinator. Einerseits hieß es, die Jugendarbeit sei das Herz des Vereins, andererseits gab es kein Geld. Eltern und Übungsleiter beschwerten sich bei ihm über die schlechten Bedingungen.

„Dieser Widerspruch hat mich kaputt gemacht.“ Trotzdem fand Häfner in einer manischen Phase, also im Hochgefühl, die Energie, ein Konzept für ein Nachwuchsleistungszentrum zu entwickeln. Er favorisierte damals bereits das Ostragehege als Standort – und wurde während der Mitgliederversammlung wie ein Verräter attackiert, der mit der Tradition brechen wolle. Heimstätte des Vereins sei das Harbig-Stadion, ein Umzug komme nicht infrage.

Der ist inzwischen vollzogen, weil es keine bessere Möglichkeit gab. Wie es Häfner richtig analysiert hatte. „Ich war wieder gescheitert, ohne mir einer Schuld bewusst gewesen zu sein.“ Dagegen muss er sich eingestehen, dass sein Vertrag 2005 „korrekterweise“ nicht verlängert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war er psychisch wie physisch ein Wrack, konnte die Aufgaben nicht mehr bewältigen. Er jobbte danach als Lagerleiter, fühlte sich abgeschoben.

In seinen manischen Phasen stürzte er sich ins Nachtleben, die Depression bekämpfte er mit immer mehr Alkohol, der ihn aggressiv machte. Seine Beziehung ging in die Brüche, die Ehe war 1996 geschieden worden.

Doch als seine Tochter Romy 2007 seinen ersten Enkel Marc zur Welt brachte, schwor sich Häfner: „Der Junge wird seinen Opa nie so sehen, wie er in den letzten anderthalb Jahren dahinvegetierte.“ Obwohl es aus ärztlicher Sicht nicht dringend nötig gewesen wäre, begab er sich ein Vierteljahr zur Entziehungskur in eine Klinik. Mindestens genauso wichtig war die psychiatrische Behandlung.

Mit Dynamo hat Häfner nie gebrochen. „Es waren Personen, die mich schlecht behandelt haben, nicht der Verein. Deshalb wende ich mich von dem Verein nicht ab. Dynamo hat mein Leben geprägt.“

Auch dank seiner ehemaligen Mitspieler, die sich regelmäßig als Dynamos Traditionsmannschaft treffen, fand er zurück in ein normales Leben. Sie vermittelten ihm den Kontakt zur Reha Nord, für die er seit 2008 als Sporttherapeut gearbeitet hat – und das stundenweise bis zuletzt. Nebenbei betreute er als Übungsleiter den Kreisoberligisten 1. FC Radebeul und war selbstverständlich Stammgast bei den Heimspielen seines Vereins, mit kritischem Blick und ganzem Herzen.

Minge würdigt den Ehrenspielführer als moralische Instanz und Unterstützung des Vereins, als einen, der den Verein immer wohlwollend begleitet hat. „In der Geschichte ist er immer viel zu kurz weggekommen. Reinhard, ruhe in Frieden.“