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Dürfen Polizisten auf Flüchtlinge schießen?

AfD-Funktionärinnen setzen an der Grenze notfalls auf Waffengewalt. Sie haben das Gesetz wohl missverstanden.

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© ulrich baumgarten/getty images

Von Peter Heimann, Berlin

Die Vizechefin der AfD, Beatrix von Storch, hat die Haltung ihrer Partei zu einem möglichen Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlings-Frauen und Flüchtlings-Kinder an der Grenze korrigiert. Nachdem sie zunächst die Frage, ob man Frauen mit Kindern notfalls mit Waffengewalt am Grenzübertritt stoppen sollte, knapp aber unmissverständlich bejaht hatte, ruderte sie später zurück. Die Juristin meint nun, ihr „Ja“ habe sich nur auf die Frauen bezogen, nicht aber auf die Kinder: „Gegen Kinder ist der Schusswaffeneinsatz richtigerweise nicht zulässig. Frauen sind anders als Kinder verständig.“

Zuvor hatte auch AfD-Chefin Frauke Petry in einem Interview auf die Frage, wie ein Grenzpolizist einen illegalen Grenzübertritt von Flüchtlingen verhindern kann, geantwortet: „Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“ Die SZ analysiert, ob das dem AfD-Slogan „Mut zur Wahrheit“ entspricht oder nicht:

Was sagt die Bundesregierung zu den AfD-Äußerungen?

Die Bundesregierung widerspricht den Aussagen der AfD zu einem Schusswaffen-Einsatz gegen Flüchtlinge klar. „Selbstverständlich wird kein Bundespolizist Schusswaffen gegen Menschen einsetzen, die hier in Deutschland Schutz nachsuchen“, so das Bundesinnenministerium am Montag. Ein gezielter Waffeneinsatz gegen Menschen, um damit einen Grenzübertritt zu verhindern, sei „rechtswidrig“.

Von welchem Gesetz spricht Frau Petry?

Offenbar meint sie das Bundesgesetz zur Ausübung öffentlicher Gewalt von 1961. Es regelt, ob und wie Bundesbeamte an der Grenze Waffen einsetzen können. Tatsächlich steht in Paragraf 11 dieses „Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes“, dass Bundespolizisten „im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen“ dürfen, „die sich der wiederholten Weisung, zu halten“ oder sich durchsuchen zu lassen, „durch die Flucht zu entziehen versuchen“. Dem Wortlaut nach dürften Bundespolizisten also auf jemanden schießen, der auf Aufforderung nicht anhält, sondern flüchtet. Praktisch ist schon dies äußerst unwahrscheinlich. Sie werden stattdessen vielmehr um Asyl nachsuchen. Jedenfalls solange ihr Begehren noch Aussicht auf Erfolg hat. Und die Bundespolizisten wären die erste Anlaufstelle für sie. Warum sollten sie dann abhauen?

Aber rechtlich haben die Damen von der AfD dann doch recht?

Nein. Rechtlich ist der Waffeneinsatz an den Grenzen mit hohen Hürden versehen. Das Gesetz, welches den Schusswaffengebrauch grundsätzlich erlaubt, besagt in Paragraf 12 auch, dass Schusswaffen nur gebraucht werden dürfen, wenn wirklich kein anderes Mittel infrage kommt. Außerdem sind Polizisten zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gezwungen. Jeder Polizist weiß, dass er im Falle der Anwendung von Gewalt immer die Rechtsgüter abwägen muss, die einander gegenüberstehen. Ein wichtiges Rechtsgut ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Schon deshalb ist klar, dass ein Schusswaffengebrauch nur zur Verhinderung schwerer Straftaten infrage kommt. Nur eine akute Gefahr, die man nicht anders abwenden könnte, rechtfertigt Waffengebrauch. Dazu gehören Menschen, die nach Deutschland kommen, um einen Asylantrag zu stellen, mit Sicherheit nicht.

Und was sagen Polizisten selbst zu den AfD-Vorhaltungen?

Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, sagt: An keiner Stelle der geltenden Polizeigesetze gebe es eine Norm, den Grenzübertritt von Flüchtlingen mit dem Gebrauch der Schusswaffe zu verhindern. Die Forderung der AfD entspreche also weder der Wahrheit noch der Gesetzeslage: „Kein deutscher Polizist würde auf Flüchtlinge schießen. Wer ein solches radikales Vorgehen vorschlage, wolle „offenbar den Rechtsstaat aushebeln und die Polizei instrumentalisieren“. Polizisten seien keineswegs per Gesetz dazu verpflichtet, zum Schutz vor illegalem Grenzübertritt „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch“ zu machen.

Auch die Bundespolizeigewerkschaft hat die Äußerungen der AfD-Führung als „hanebüchen“ bezeichnet: „Das ist völliger Unsinn.“

Wie reagiert die AfD selbst auf die Kritik an ihren Äußerungen?

Wie oft. Der zweite AfD-Chef Jörg Meuthen sagt am Montag: „Das ist ein Paradebeispiel unglückseliger Kommunikation, weil aus einer Aussage etwas herausgelesen wurde, was so nicht gesagt wurde.“ Allerdings hätte Petry sich zu dem Thema gar nicht äußern müssen, weil die Rechtslage völlig klar sei. Ihn ärgere das sehr. Auch AfD-Vize Alexander Gauland distanziert sich von den Petry-Äußerungen: Es müsse für die Polizei andere Möglichkeiten geben, einen Grenzdurchbruch zu verhindern.