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Druck aufs Sozialamt wächst

Nach den Eltern kritisieren auch Abgeordnete mangelnde Unterstützung für behinderte Kinder.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Frank Seibel

Landkreis. Familie Peterlein* aus Zittau ist in ihrem Kampf mit dem Landkreis nicht mehr allein. Der Umgang des Sozialamtes mit behinderten Kindern wird zunehmend von Kreisräten verschiedener Fraktionen hinterfragt und kritisiert. Auch andere Eltern und Vertreter von Kindertagesstätten im Landkreis machen Druck.

So hat der CDU-Abgeordnete Michael Hannich herausgefunden, dass der Kreis Bautzen fast genauso viele Kinder in der sogenannten „Eingliederungshilfe“ betreut wie der Kreis Görlitz – etwa 400. Der Kreis Bautzen gebe dafür aber pro Jahr 3,4 Millionen Euro aus, der Kreis Görlitz eine Million weniger, so Hannich. Das liegt vor allem daran, dass der Landkreis seit Jahren die heilpädagogische Betreuung in Gruppen einschränkt. Dass es dabei vor allem ums Sparen geht, hat Finanzdezernent Thomas Gampe (CDU) einst gegenüber Journalisten offenbart. Sozialdezernentin Martina Weber (CDU) sieht hingegen offiziell nur einen Strategie-Wechsel, bei dem Sparen nicht an erster Stelle stehe.

„Wir setzen auf Inklusion“, betonte Weber auch jüngst im Sozialausschuss des Landkreises. „Inklusion“, also Einbeziehung, ist der eine positive Begriff, den das Landratsamt nennt, wenn er die Auflösung der fünf heilpädagogischen Tagesstätten im Landkreis begründet, die es vor einigen Jahren noch gab. Mittlerweile gibt es nur noch eine heilpädagogische Gruppe in einer regulären Kita. Behinderte Kinder sollen möglichst in einer normalen Umgebung, also mit nicht behinderten Kindern, aufwachsen – das steckt hinter dem Begriff der Inklusion. Diese Forderung steht auch in der Behindertenrechts-Konvention der Vereinten Nationen (UN). Das zweite positive Wort heißt „wohnortnah“. Wenn behinderte gemeinsam mit gesunden Kindern in die nächstgelegene Kita gehen, sei ihnen sowie auch den Familien am besten geholfen – das ist die These des Landkreises.

Die Zittauer Familie Peterlein und andere betroffene Eltern sehen vor allem, dass es auch in sogenannten „Integrations-Kindergärten“ keine ausreichende Unterstützung für ihren mehrfach behinderten Sohn Viktor gibt. Seit Jahren kämpfen Susanne und Karl Peterlein darum, dass das Sozialamt ihrem Sohn eine umfassende therapeutische Hilfe gewährt, damit Viktor besser hören und verstehen lernt. „Das Sprachzentrum wird bis zum Alter von etwa fünf Jahren ausgebildet“, sagt Susanne Peterlein. Wer bis dahin nicht lernt, für die Dinge und Phänomene in seiner Umgebung Worte zu finden, lernt es niemals – und dann, so ihre Kritik, sei echte Inklusion gar nicht mehr möglich.

Melanie Morche aus Görlitz gehört zur Schar der Eltern, die selbst betroffen sind und sich engagieren. „ZuCK“ heißt die Initiative, die sich als Lobby für behinderte und benachteiligte Kinder sowie ihre Eltern versteht: „Zukunftschancen für Kinder“. Melanie Morche hat einen sieben Jahre alten Sohn, der seit seiner Geburt mehrfach schwer behindert ist. Sie bangt darum, dass bald auch die letzte heilpädagogische Einrichtung verlorengeht, die für ihren Sohn so wichtig ist. „Ich fahre ja nicht ans andere Ende der Stadt, weil ich gerne Auto fahre“, sagt sie, „sondern weil ich nur in der Kita Salem eine wirklich gute Betreuung für mein Kind finde.“

Die ZuCK-Initiative wirft dem Sozialamt des Kreises vor, Eltern nicht fair über die Möglichkeiten zu informieren, die ihnen zustehen. „Dabei sind alle Eltern erst einmal völlig überfordert, wenn sie feststellen, dass ihr Kind mit Behinderungen zur Welt gekommen ist“, sagt Melanie Morche. Wenn man dann das Angebot bekommt, das Kind in eine Integrations-Kita zu geben, in die einmal pro Woche ein Physiotherapeut kommt, „denkt man erstmal: toll, dann muss ich nicht extra hinfahren“. Aber es werde zu oft verschwiegen, dass die Kinder noch Anspruch auf ganz andere und häufigere Therapien haben. Ein Satz aus solchen Beratungsgesprächen stößt den Zuck-Vertretern besonders auf: „Wollen Sie Ihr Kind wirklich mit lauter Behinderten aufwachsen lassen?“ Dabei, so betont Melanie Morche, habe ihr Sohn in der Kita oft mit gesunden Kindern zu tun.

Der frühere Görlitzer Amtsarzt Dr. Bernhard Wachtarz forderte als SPD-Kreisrat, dass Ärzte einbezogen werden müssten, wenn es darum geht, welche Hilfe ein behindertes Kind braucht: „Es gibt Dinge, die kann ein Erzieher nicht beurteilen.“ Er fordert wie sein CDU-Kollege Michael Hannich, dass das Sozialamt besser als bislang über die Frühförderung behinderter Kinder informieren müsse. Schon in der nächsten Ausschusssitzung am 14. November steht das Thema wieder auf der Tagesordnung.

*Name geändert