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„Was würden Sie tun, wenn man Ihnen Ihr Kind wegnimmt?“

Ein Mann steht vor Gericht, weil er eine Mitarbeiterin des Jugendamtes bedroht hat. Sein Ärger war nicht unbegründet.

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© dpa

Von Yvonne Popp

Gerichtsbericht. Als Tobias N. zum Freitaler Jugendamt ging, hatte er noch Hoffnung. Im vergangenen Sommer hatte die Behörde ihm und seiner Lebensgefährtin das gemeinsame Kind weggenommen und in einem Heim untergebracht. Anfang September dann das Gespräch im Amt, zu dem Tobias N. von seiner Mutter begleitet wurde. Geholfen hat dieser Termin dem Mann nicht.

Die Behörde stellte sich quer. „Wir wurden regelrecht abserviert“, sagt er leise, noch heute sichtlich erschüttert.

Niemand habe mit ihm reden wollen. Beim Verlassen des Zimmers der zuständigen Mitarbeiterin soll er dann zu seiner Mutter gesagt haben: „Da können wir ja nur noch das Heim anbrennen und das Jugendamt gleich mit.“ Damit hatte sich Tobias N. der Störung des öffentlichen Friedens und des Androhens einer Straftat schuldig gemacht. Nun musste er sich deshalb vor dem Amtsgericht in Dippoldiswalde verantworten. Vor Richter Heinz-Christian Mansch gibt er zu, genau diese Worte gebraucht zu haben. „Das ist im Affekt passiert“, sagt er und versichert, dass sie zu keiner Zeit ernst gemeint waren. Er habe sich einfach nicht anders zu helfen gewusst und gehofft, mit diesen drastischen Worten ein Umdenken beim Jugendamt erreichen zu können.

Mit der Miete im Verzug

Als der Staatsanwalt den Angeklagten daraufhin fragt, ob er sich angesichts der Terroranschläge von Paris und Brüssel, der Brisanz seiner Worte überhaupt bewusst war, hakt Verteidiger Hendrik Hagen ein. Das könne man so nicht miteinander vergleichen, sagt er. Sein Mandant habe sich in einer absoluten Ausnahmesituation befunden. „Was würden Sie tun, wenn man ihnen einfach so ihr Kind wegnehmen würde?“, fragt er das Gericht. Anschließend erklärt Hagen, der normalerweise als Anwalt für Familienrecht tätig ist, warum es zu den folgenschweren Worten gekommen war. Dazu muss er ein wenig ausholen. Als Erstes stellt er klar, dass es sich bei Tobias N. und seiner Partnerin um fürsorgliche Eltern handelt, die ihr Kind liebevoll und gewissenhaft großziehen. Diesbezüglich ist auch ein Gutachten erstellt worden, dass er dann auszugsweise verliest.

Im letzten Jahr war das junge Paar versehentlich mit den Mietzahlungen für seine Freitaler Wohnung in Rückstand geraten. Recht schnell wurde ihnen daraufhin vom Vermieter die fristlose Kündigung angedroht. Aus Angst, womöglich bald mit einem Kleinkind auf der Straße zu stehen, wandte sich die Familie hilfesuchend an das Jugendamt. Doch statt bei der Klärung der Mietangelegenheiten zu helfen, nahm man ihnen dort das Kind weg.

„Die Freundin meines Mandanten stammt aus schwierigen familiären Verhältnissen“, sagt der Verteidiger zu den Hintergründen. Das sei dem Jugendamt bekannt gewesen, erzählt er weiter. Nur aufgrund der Herkunft der Mutter und der zwei ausstehenden Monatsmieten sah man das Wohl des Kindes gefährdet und handelte sofort – ohne die Eltern anzuhören, ohne das Umfeld und auch das Kind näher zu begutachten. Alle anschließenden Versuche seitens der Eltern, mit der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes ins Gespräch zu kommen, seien abgeblockt worden, sagt die Verteidigung. In seiner Verzweiflung, so der Verteidiger weiter, habe sein Mandant dann gesagt, dass man jetzt ja nur noch das Heim und das Jugendamt gleich mit anzünden könne.

Verfahren eingestellt

Ob und inwieweit sich die Mitarbeiter des Jugendamtes tatsächlich bedroht gefühlt haben, kann während der Verhandlung nicht geklärt werden. Frau U., die die Wegnahme des Kindes veranlasst hatte und der die Drohung wohl in allererster Linie galt, hatte sich zum Prozesstermin entschuldigen lassen. Der Verteidiger verweist dann noch einmal auf die schwierige Situation, in der sich sein Mandant zum Tatzeitpunkt befunden hatte und beantragt die Einstellung des Verfahrens. Ganz ohne die Zahlung einer Geldauflage will dem der Staatsanwalt aber nicht nachkommen. „Sie müssen begreifen, dass das, was sie getan haben verboten ist“, mahnt er.

Richter Heinz-Christian Mansch sieht hier ebenfalls eine Ausnahmesituation vorliegen. Er stellt das Verfahren gegen Tobias N. unter Zahlung einer Geldauflage vorläufig ein. 200 Euro muss der junge Familienvater an die Staatskasse entrichten.

Tatsächlich scheint das Jugendamt mit der Wegnahme des Kindes falsch gehandelt zu haben. Denn obwohl das Familiengericht in Dippoldiswalde zunächst die Entscheidung der Behörde bestätigt hatte, kippte das Oberlandesgericht das Urteil wenig später und ordnete die sofortige Übergabe des Kindes an die Eltern an. Insgesamt eineinhalb Monate war Tobias N.s Töchterchen im vergangenen Jahr im Heim untergebracht, ehe es wieder zurück in die Familie durfte.