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Droht Familie die Wohnungslosigkeit?

Eine dreifache Mutter sucht eine größere Bleibe. Doch Vermieter lehnen ab.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Zu viert in einer 57 Quadratmeter großen Zweiraumwohnung – das wäre schon für eine normale Familie eine enorme Herausforderung. Sylvia Zillmann und ihre drei Kinder meistern diese Herausforderung jeden Tag. „Normal“ ist in dieser kleinen Familie allerdings nichts. Denn der elfjährige Yasin Noel ist anders als andere Kinder. Er leidet unter einem seltenen Gen-Defekt, den Ärzte als ADCY 5-Gen bezeichnen. In Deutschland gibt es nur noch einen weiteren Jungen mit dieser Krankheit, bei der vor allem die Motorik beeinträchtigt ist. Weltweit gibt es 15 Kinder mit dem seltenen Leiden.

Sylvia Zillmanns Sohn Yasin hat sogenannte Tic-Störungen – mit Gegenständen schlägt der Junge heftig auf den Fußboden. Ist es ganz besonders schlimm, bekommt Yasin einen Anfall, aus dem er unter Schreien aufwacht. Und genau das ist das Problem. Yasin ist laut – zu laut für das Leben in einem Mehrfamilienhaus. Das weiß auch Mama Sylvia. Denn die genervten Blicke der Nachbarn bleiben der 39-Jährigen nicht verborgen. Auch nicht das Klopfen mit dem Besenstil an die Decke, wenn Yasin in der Küche auf den Fliesenboden eindrischt. Oder die Anrufe vom Jugendamt, die Sylvia Zillmann regelmäßig entgegennimmt, um dem Mitarbeiter ihre Situation zu erklären. „Wir sind kein Fall für das Jugendamt“, sagt die Mutter. „Wir brauchen einfach nur eine andere Wohnung.“

Seit Monaten sucht die dreifache Mutter nach einer größeren Bleibe, in der Yasin möglichst niemanden stört. Zahlreiche Besichtigungen hat Sylvia Zillmann schon hinter sich – bekommen hat sie bislang nur Absagen. „Sobald ich die lautstarken Tics meines Sohnes anspreche, spüre ich die Vorbehalte.“ So ein Kind können wir uns nicht ins Haus holen – ohne ein Wort steht dieser Ausspruch dann jedes Mal im Raum, beschreibt die Mutter die unangenehmen Vorstellungsgespräche. „Ich fühle mich so hilflos“, sagt Sylvia Zillmann. Ihre größten Sorgen gelten ihrem achtjährigen Sohn Sinan und Saphira, die vor einem halben Jahr zur Welt kam. „Sie haben keinen Rückzugsraum und leiden unter Yasins Anfällen.“ Bei der Frage nach den Vätern der Kinder hält sich Sylvia Zillmann bedeckt. „Sie spielen in unserem Leben keine Rolle mehr.“

Finanziell ist sie abgesichert, denn Yasin gilt mit einem Pflegegrad von 5 plus als Härtefall. Die Kosten für die Unterkunft werden wie für eine fünfköpfige Familie berechnet. „Das nutzt mir aber nichts, wenn ich keine geeignete Wohnung finde.“ Sylvia Zillmann hat Sorge, dass sie mit ihren Kindern bald auf der Straße steht. Ihre jetzige Dachgeschosswohnung im Niedersedlitzer Dorfkern ist aufgeräumt und ordentlich. Dass der Platz für die vierköpfige Familie nicht ausreicht, ist offensichtlich. Erst kürzlich hat sie von der Hausverwaltung außerdem eine Abmahnung bekommen, weil sich die Nachbarn über Yasins Anfälle beschwert haben. Seitdem ist die Situation in dem Mehrfamilienhaus noch angespannter.

Nun gibt es zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer. Auf Anfrage der SZ teilt Vonovia-Sprecherin Bettina Benner mit, dass sich der Großvermieter um das Problem kümmern will. „Wir haben auch Kontakt zu einem psychosozialen Trägerverein, der sich um die Betreuung Behinderter kümmert“, so Benner. Yasin, der tagsüber eine Förderschule auf der Fischhausstraße besucht, in ein Wohnprojekt zu geben, ist für Sylvia Zillmann allerdings keine Option. „Ich gebe ihn nicht her.“

Hilfe gibt es in einem solchen Fall auch von der Stadt. Neben freien Trägern der Wohnungsnotfallhilfe berät das Sozialamt Betroffene kostenlos. Die Mitarbeiter prüfen dann, ob die Familie aufgrund ihrer Situation einen Wohnberechtigungsschein bekommt, um eine der Belegwohnungen der Stadt beziehen zu können. „Ausgerichtet an ihrem Bedarf wird die Familie bei der Vermittlung in Wohnraum unterstützt“, teilt Stadtsprecherin Anke Hoffmann mit. Sylvia Hoffmann gibt nicht auf. „Ich hoffe, dass wir bald etwas zur Ruhe kommen.“