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Drogenhändler im Visier

Das Landgericht verhandelt gegen fünf junge Männer. Die Szene im Landkreis wächst. Auch Radeberg ist betroffen.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich und Jens Fritzsche

Bautzen. Es ist nur ein Fall von vielen. Aber vielleicht einer der aktuell spektakulärsten. Drogendealer im Landkreis sind längst Alltag, doch nicht jeder bleibt unerkannt. Immer wieder schnappt die Falle zu. Und dann stehen sie vor Gericht, so wie diese Gruppe Jugendlicher: Artur S., 25 Jahre alt, Benjamin J., 24, Filip T., 23, Marco G., 22, und Ömer G., 27. Die jungen Männer sehen nicht wie gefährliche Drogendealer aus. Artur S., dem das meiste vorgeworfen wird, hat sich sogar ein weißes Hemd und einen schwarzen Anzug angezogen. Er steht wie drei der anderen Angeklagten an diesem Dienstag nicht zum ersten Mal vor Gericht. Nur Ömer G., der türkischer Herkunft ist und einen Übersetzer braucht, ist noch nicht vorbestraft.

Seit 2010, weiß der auch fürs Rödertal zuständige Görlitzer Staatsanwalt Till Neumann, haben sich die Verfahren wegen schwerer Drogenkriminalität im Landkreis nahezu vervierfacht. „Eine bedenkliche Entwicklung“, sagt Neumann. Sie wird in dieser Region vor allem durch die Grenznähe befördert. Es sind die kurzen Wege zu den Drogenküchen in Tschechien und Polen, die das Geschäft für die Dealer lukrativ machen. Und nicht nur für die Dealer. Auch für den schnellen Eigenbedarf.

Hohe Dunkelziffer befürchtet

Allein 2015 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – hatte die Staatsanwaltschaft 197 Verfahren mit Fällen schwerer Drogenkriminalität auf dem Tisch. 251 Beschuldigte waren verwickelt. Dazu kamen 1 768 Fälle, in denen es um kleinere Delikte wie die unerlaubte Einfuhr oder den Besitz geringerer Mengen ging. Im Vergleich zu 2010 waren das sogar sechsmal mehr.

Auch in Radeberg sorgt das Thema regelmäßig für Aufsehen. Erst im Dezember stand eine 29-jährige Radebergerin vor Gericht. Drei Jahre lang hatte sie in Radeberg und Umgebung einen durchaus florierenden Drogenhandel betrieben. Die Polizei kam ihr auf die Schliche, nun wurde sie zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Richter Reinhard Schade hatte sie für Beihilfe zum Handel mit Crystal in 108 Fällen und unerlaubten Besitz von Drogen verurteilt. „Eine alleinige Täterschaft konnte ihr nicht nachgewiesen werden, deshalb ist das Urteil in dieser Höhe ausgefallen“, machte er anschließend deutlich. Auf die Spur der Radebergerin war die Polizei übrigens durch ihren ehemaligen Bekannten gekommen, der zuvor bereits am Landgericht Dresden ebenfalls wegen Drogenhandels zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Ohne Bewährung allerdings. Er hatte das Crystal offenbar aus Tschechien besorgt, und einen Teil davon hatte die 29-Jährige dann in Radeberg weiterverkauft. Zwischen 2012 und 2014 soll sie dabei aus dem Verkauf der Drogen einen Gewinn von rund 80 000 Euro erzielt haben.

Die jetzt vor Gericht stehende Gruppe aus Bautzen verdiente ebenfalls nicht schlecht. Jedem von ihnen soll der Drogenverkauf zwischen 12 000 und 170  000 Euro eingebracht haben, hieß es in der Verhandlung. Staatsanwalt Matthias Müller wirft den Jugendlichen Drogenhandel im großen Stil vor. 114 Einzelfälle listet er in seiner Anklage akribisch auf.

Zweimal in der Woche nach Tschechien

Artur S. und seine Freunde hatten sich auf Crystal spezialisiert, diese schlimme chemische Droge, die als die gefährlichste der Welt gilt. Auch hier stammt der Stoff aus Tschechien. Die jungen Männer sind geständig. Bereitwillig schildern sie vor der Großen Jugendstrafkammer, wie das abgelaufen ist: Anfangs sind sie über den Grenzübergang in Sohland ins tschechische Rožany gefahren. Mindestens zweimal pro Woche. Bei Vietnamesen haben sie das Crystal gekauft, anfangs jedesmal nur um die zehn Gramm, mindestens 50 Prozent Methamphetamingehalt. Zehn Gramm Crystal in dieser Qualität reichen für 100-mal konsumieren. 25 Euro pro Gramm haben die jungen Männer bezahlt, für 60 Euro haben sie die Drogen dann weiterverkauft. Artur S. ist meistens gefahren, einer der anderen ist der „Abstecker“, derjenige also, der sich die Drogenpäckchen in den Hintern schiebt, um sie so möglichst unbemerkt über die Grenze zu bringen. Als der Stoff im nahen Rožany knapp wird, tut sich über Kontakte in der Szene eine neue Quelle in Liberec auf. Der Stoff aus Liberec soll sogar noch besser sein. Später fahren die Männer auch wieder regelmäßig nach Rožany und nach Petrovice. Aus den zehn Gramm pro Fahrt werden schnell 15, später holen sie jedes Mal gleich 50, 60 oder 70 Gramm auf einmal. Man sei das Zeug ganz schnell wieder los, sagt Artur S.

Gewinnabsicht vorgeworfen

Mehr als dreieinhalb Jahre floriert das Geschäft. Staatsanwalt Matthias Müller wirft den jungen Männern reine Gewinnabsichten vor. Das Crystal sei die Einnahmequelle gewesen, mit der die Fünf ihren Lebensunterhalt finanzierten. Akribische Polizeiarbeit macht dem Handel schließlich ein Ende. In den Vernehmungen erzählen die Angeklagten bereitwillig, beschuldigen sich auch mal gegenseitig, nennen noch zahlreiche andere Namen von Helfern und Abnehmern.

Das macht deutlich, wie groß und vernetzt der Drogenhandel im Landkreis ist. Der Fall, der seit Dienstag in Bautzen verhandelt wird, ist wie erwähnt nur einer von vielen in der Region. In jeder siebenten Verhandlung, die im vorigen Jahr am Bautzener Landgericht stattfand, ging es um Drogengeschäfte. Auch wenn am Ende rund 40 Prozent der Verfahren eingestellt werden, etwa wegen Geringfügigkeit, machen die Zahlen die wachsende Dimension der Drogenszene in der Region deutlich. Das macht auch dem Bautzener Richter Dirk Hertle Sorgen. „Da stehen zum Teil junge Leute vor mir, die sind nur noch Wracks“, sagt er. „Sie haben extreme Ausfälle, Verhaltensstörungen, ausgefallene Zähne.“ Langjährige Crystal-Konsumenten würden besonders schlimm aussehen.

Hertle sieht die Aufgabe vor allem bei Zoll und Polizei. „Es muss mehr Kontrollen an den Grenzen geben“, sagt er. „Und wir müssen an die Drogenküchen in Polen und Tschechien herankommen.“ Vielleicht können die fünf jungen Männer auf der Anklagebank ja dazu beitragen.