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Web-Kriminelle vor Dresdner Gericht

Im September 2011 erbeutete eine Bande in einer Dresdner Bankfiliale sensible Kundendaten. Anschließend heben die Betrüger viel Geld in Argentinien ab. Jetzt steht einer von ihnen vor Gericht.

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© Ronald Bonß

Von Alexander Schneider

Dresdens derzeit spektakulärster Skimming-Fall begann mit einem Anruf der Deutschen Post AG bei der Kripo. Der Mann von der Konzernsicherheit meldete auffällige Kontobewegungen aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Ihr verbindendes Element sei die Filiale der Postbank in der Großenhainer Straße. Kommissar Steffen Schmieder wusste, dies hatte nichts Gutes zu bedeuten. Noch an jenem 26. September 2011 fuhr er sofort zu der Bank, um sich den Geldautomaten anzusehen. Es sollte der bislang größte Fall von Skimming, dem Ausspähen von EC- und Kreditkarten an Geldautomaten, werden. Innerhalb einer Woche erbeuteten die Täter in Buenos Aires 267.236,67 Euro, die sie dort mit Kopien der ausgespähten Karten an Geldautomaten abhoben.

Schmieder gelang es, die Verdächtigen im Tausende Kilometer entfernten Argentinien zu identifizieren, wenn auch erst nach vielen Monaten. Der Ermittler veranlasste, die Überwachungsbänder der argentinischen Geldautomaten zu bekommen. Weil in manchen Banken neben Film- auch Tonaufnahmen gemacht wurden, entdeckte Schmieder eine, wenn auch undeutliche, Unterhaltung der Täter beim Geldabheben. Eine Dolmetscherin erkannte die Sprache als Rumänisch – so gelang es dann mithilfe der Polizei in Rumänien, den Angeklagten und zwei der drei weiteren Verdächtigen namentlich bekannt zu machen.

Am Dienstag begann der Prozess gegen Claudiu B. am Landgericht Dresden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist es der erste Skimming-Prozess in Deutschland gegen einen „Casher“, also ein Bandenmitglied, das nur fürs Geldabheben zuständig ist. Der 31-jährige Rumäne muss sich wegen bandenmäßigen Fälschens von Zahlungskarten verantworten. Zusammen mit drei Komplizen habe er das Geld abgehoben, heißt es in der Anklage von Staatsanwalt Thomas Hellmich.

Andere Mitglieder der Bande hätten zuvor die Kartendaten Hunderter Bankkunden ausgespäht und damit Doubletten erstellt, die B. und seine Mittäter in Argentinien genutzt haben sollen. Rund 250 Konten seien von den Abhebungen betroffen. Geschädigte seien jedoch nicht die Inhaber der Karten, sondern die Banken.

Der Angeklagte schwieg sowohl zu den Vorwürfen als auch zu seinem Lebenslauf, was sein gutes Recht ist. Weil der erste Zeuge erst Stunden später geladen war, nutzte der Vorsitzende Richter Joachim Kubista die unerwartete Pause zum Verlesen früherer Verurteilungen des Angeklagten. 2007 wurde er in Polen zu einem Jahr und 2012 in Argentinien zu drei Jahren Haft verurteilt – für identische Taten.

B.s Verteidiger Endrik Wilhelm protestierte – und erzielte eine selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich heftige Eskalation. Zunächst bestritt Wilhelm die Existenz der Urteile. Sollte es sie geben, seien sie jedenfalls nicht Ergebnis rechtsstaatlicher Prozesse. Die Verlesung bewirke eine Vorverurteilung seines Mandanten. Als Kubista in der folgenden Pause auch noch ablehnte, dass B. seinen vor sechs Wochen geborenen Sohn erstmals in den Arm nehmen durfte, brachte das Wilhelm erst recht auf die Palme. In einem Befangenheitsantrag warf er Kubista vor, er verachte den Angeklagten zutiefst. Das Verhalten zeige, dass B. schon verurteilt sei.

Staatsanwalt Hellmich teilte diese Meinung nicht. Aus Sicherheitsgründen sei Kubistas Entscheidung nachvollziehbar. In der Haft sei bei B. schon ein Handy entdeckt worden. In Windeln ließe sich allerlei schmuggeln. Im Übrigen wundere sich Hellmich, dass Wilhelm das polnische Urteil als nicht rechtsstaatlich bezeichnete: „Der Verteidiger verachtet unser Nachbarland zutiefst.“ Er habe den Eindruck, dass Wilhelm den Antrag gezielt auf die Rührung durch das Kind gestellt habe, um eine Situation zu schaffen, die einen Befangenheitsantrag ermögliche.

Kubista verfolgte die Eskalation mit kreidebleichem Gesicht. Er stellte den Befangenheitsantrag zurück und rief überraschend die Verlobte des Angeklagten in den Zeugenstand – Wilhelm protestierte noch schärfer. Kubista wies die Wachtmeister an, zu verhindern, dass der Verteidiger mit der Zeugin spricht. Später unterstellte Wilhelm dem Vorsitzenden in seinem Befangenheitsantrag ein „nötigendes und freiheitsberaubendes Verhalten“.

Offensichtlich alles ohne Not: Am Mittwoch hat B. einen längst geplanten vierstündigen Besuch seiner Verlobten mit seinem Sohn im Gefängnis. Am nächsten Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Die Justiz prüft derweil den Befangenheitsantrag.