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Kreuzchor singt vorm K-Block

Dresdens Kreuzchor feiert 800-jähriges Bestehen: Er geht tanzen, singt vor dem Papst und jedermann. Und er lädt im Stadion zum Adventssingen ein.

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© Robert Michael

Von Bernd Klempnow

Dresden. Der Kreuzchor braucht die Hilfe des Deutschen Fußballbundes. Die Sänger wollen nämlich am 18. Dezember im Dynamo-Stadion auftreten. Allerdings spielt an diesem Tag eigentlich die SGD gegen die Würzburger Kicker. Diese Begegnung soll nun für den Chor um einen Tag verschoben werden. Der DFB muss zustimmen.

Die Kruzianer Augustin Wentzel, Ludwig Koch und Janis Hanig (von links) stimmen sich im Dynamo Stadion schon einmal ein auf ihr Weihnachtskonzert vor vollem Haus.
Die Kruzianer Augustin Wentzel, Ludwig Koch und Janis Hanig (von links) stimmen sich im Dynamo Stadion schon einmal ein auf ihr Weihnachtskonzert vor vollem Haus. © Robert Michael

Doch das dürften die Fußball-Halbgötter sicher tun, denn eine Premiere ist für den 18. Dezember geplant. Die Kruzianer richten ein großes Adventskonzert aus – einen Auftritt eines der international renommiertesten Ensembles in einem Stadion hat es noch nicht gegeben. „Wir, als ein von der Bürgerschaft getragener Chor, wollen den Dresdnern auf diesem Weg danken“, sagte gestern Kreuzkantor Roderich Kreile bei der Präsentation dieses Höhepunktes und weiterer in den kommenden anderthalb Jahren. Der Chor feiert 800-jähriges Bestehen mit einem dichten und aufregenden Programm. Über 70 Konzerte und 60 liturgische Dienste will er 2015/16 weltweit gestalten. Es stehen Klassiker wie Brahms’ „Requiem“ und das kirchlich geprägte Weihnachtsliedersingen an, aber auch Extras wie der Auftritt beim Semperopernball und jenes Stadion-Konzert, das zur Tradition werden soll. „Wir wählen Weihnachtslieder aus, die jeder mitsingen kann“, so der Kantor. „Vielleicht erreichen wir im Stadion jene, die immer Hemmungen haben, uns in der Kreuzkirche zu besuchen?“ Kreile also im Dynamo-Dress!

Dieses neuartige und von Kirchenmusik-Fanatikern beargwöhnte Stadion-Konzert kommt nicht von ungefähr. Der Kreuzchor nutzt das aufmerksamkeitsbringende Jubiläum, um sein Profil zu schärfen. Es geht nicht vorrangig um mehr Publikum. „Der Chor, der von den Bürgern seit Jahrhunderten finanziert wird, muss stärker in die Stadt ausstrahlen“, sagt Chormanager Uwe Grüner. Im Klartext: Der Kirchenchor sollte auch mehr für alle Bürger da sein und nicht nur für die Kreuzkirchen-Gemeinde, die ihn allzu gern für sich reklamiert, aber zu wenig für ihn tut.

Ostern jauchzend bei Amadeus

Seit einigen Jahren öffnet sich der Chor immer mehr in dieser Richtung. Er singt im Hauptbahnhof, er wandert durch Täler der Sächsischen Schweiz. Auch sein Repertoire ist breiter und populärer geworden. „Natürlich sehen wir eine unserer Hauptaufgaben in der Verkündigung des Evangeliums“, so Kantor Kreile. „Aber wir sind auch ein Konzertchor in der ersten Liga.“ Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert sprach von einem „starken Botschafter, auf den unsere Stadt unglaublich stolz ist“.

Und so feiern die derzeit 129 Knaben und jungen Männer ihre Jubiläumssaison im In- und Ausland. Die Stadt Dresden, die den Chor jährlich mit 2,2 Millionen Euro ausstattet, packt fürs Jubiläum noch mal 400 000 Euro drauf. „Das ist nicht selbstverständlich, aber lohnend“, sagte Ex-Oberbürgermeisterin Helma Orosz. Weil sie sich seit Langem sehr für den Chor engagiert und es weiterhin tut, wurde sie gestern zur Botschafterin des Kreuzchores ernannt. Fast 40 000 Euro hat sie bislang auf eigene Faust eingeworben, hilft mit, dass das Fest auch ein würdiges wird.

Große Tourneen stehen an: Mit Asien und Deutschland sind wichtige Regionen vertreten. „Auf diesen umkämpften Märkten auf Augenhöhe mit anderen weltberühmten Ensembles gefragt zu sein, beweist unseren sehr hohen künstlerischen Stellenwert“, sagt Kantor Kreile. Neue Ziele sind dabei. Der Klangkörper reist nach Rom und wird den Papst verzücken. Die nächste europäische Kulturhauptstadt Breslau ist avisiert. Ob die Sänger allerdings, wie erhofft, in Dresdens Partnerstädten auf allen fünf Kontinenten auftreten, ist ungewiss. „Manch Partnerstadt signalisiert derzeit kein großes Interesse.“

Gauck lauscht bei Beethoven

Aber, es gibt das Debüt bei den Salzburger Osterfestspielen – auf Einladung der Sächsischen Staatskapelle. Überhaupt: Trotz mancher Superlative würde nun erst recht mit langjährigen Musikpartnern vor Ort gefeiert. Mit der Philharmonie gestaltet der Chor unter anderem die Eröffnung des Stadtfestes im August 2016.

Die gemeinsame Festwoche mit Kreuzkirche und Kreuzgymnasium im April beginnt mit einem Bürgerfest im Rathaus. Der Bundespräsident lauscht dann Beethovens „Missa solemnis“. Viel Prominenz hat sich angesagt. Medien wie das ZDF und der MDR werden ausführlich berichten.

„Unser Ziel ist es, dem Chor den Glanz zu geben, den er verdient angesichts seiner beeindruckenden Geschichte und faszinierenden Ausstrahlung“, sagt Manager Uwe Grüner. Starke Partner wie die Ostsächsische Sparkasse, die Ostdeutsche Sparkassenstiftung, A. Lange & Söhne Glashütte und die Sächsische Zeitung machen das möglich. Allerdings tritt der Chor nicht wie üblich als demütiger Bittsteller auf. „Wir haben mit allen Förderern Projekte entwickelt, die Besonderheiten ermöglichen, sei es ein spezieller Auftrittsort oder eine einmalige Konzertform“, so Grüner. „Beide Seiten sollten profitieren.“ Auch dieser Ansatz beim Einwerben von Drittmitteln ist neu in der hiesigen Kulturlandschaft. So beweist der Kreuzchor, wie jung und innovativ eine Uralt-Institution im betulichen Dresden sein kann.