Merken

Dresdens letzter großer Demo-Tag des Jahres

Gegner und Anhänger von Pegida haben am Montagabend auf mehreren Kundgebungen demonstriert. Doch Wasserwerfer und Räumpanzer sind kurz vor Weihnachten zum Glück nicht zum Einsatz gekommen.

Teilen
Folgen
© Christian Essler

Verkehrte Welt? Montagabend in Dresden, und auf dem Theaterplatz steht nicht Pegida. Stattdessen hat sich das Bündnis Herz statt Hetze mit Unterstützung der Semperoper und des Staatsschauspiels versammelt. Das Motto: gut gelaunter Gegenprotest, für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit. Es erklingt Beethovens „Ode an die Freude“. Verkehrte Welt? Man könnte auch sagen: Endlich sind nach über einem Jahr ein paar Dinge wieder gerade gerückt in der Landeshauptstadt.

Es war ein Zerren und Ringen gewesen in den Tagen zuvor. Aus Angst vor Zusammenstößen hatte die Stadt Demonstrationszüge verboten, nur stationäre Kundgebungen durften stattfinden. Pegida war zudem der Treff am Schlesischen Platz vor dem Bahnhof Neustadt versagt worden. Dagegen hatten die Organisatoren beim Verwaltungsgericht Dresden einen Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt. Um 15 Uhr entschied das Gericht schließlich und bestätigte die Auflage der Stadt. Die Islamfeinde mussten ans Königsufer vor dem Finanzministerium ziehen.

Gewaltbereite Gruppen sowohl aus der linken als auch der rechten Szene hatten seit Tagen mobilisiert. Die Polizei war mit einem massiven Aufgebot in der Stadt präsent, darunter auch Beamte aus Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bayern. Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte vor den Demonstrationen dazu aufgerufen, unterschiedliche Meinungen friedlich kundzutun. „Ich würde es nicht akzeptieren können, wenn Gewalt und Straftaten auf den Straßen Dresdens die Oberhand gewinnen“, erklärte der Minister. Das befürchtete Chaos blieb zunächst auch aus.

Der Theaterplatz ist gegen 18 Uhr gut gefüllt. Laut der Studenteninitiative „Durchgezählt“ lauschen etwa 3 000 bis 4 000 Menschen der Musik. Dann spricht Superintendent und Kreuzkirchenpfarrer Christian Behr. Er fordert eine klare Haltung zur Nächstenliebe. „Wir brauchen Klarheit und keine Gewalt“, sagt er. Dazu gehöre auch, dass alle Seiten verbal abrüsten müssten. Momentan gehe er montags nicht gern in Dresden spazieren, weil er Reden erlebe, die von Hass und Ablehnung geprägt sind. Nur mit Dialog sei die Demokratie zu retten. Die Sprecherin des Staatsschauspiels, Martina Aschmies, fordert „Neugier statt treudeutsche Bürger“. Geflüchtete seien nicht bessere Menschen, aber genauso gleich wie wir.

Währenddessen hat das Bündnis „Dresden nazifrei“ seine Pläne kurzfristig geändert. Auf dem Alaunplatz, wo es eine Kundgebung hätte geben sollen, herrscht Stille. Das Bündnis hat stattdessen zum Bahnhof Neustadt gerufen. Am Königsufer ist, um kurz nach halb sieben, immer noch Zulauf zu Pegida zu verzeichnen. Aus Protest gegen die selbst ernannten Patrioten hat das Finanzministerium seine Lichter ausgeschaltet. Auch die Kunstakademie ist dunkel. Weihnachten mit Wasserwerfern – die Szenerie am Königsufer hat bizarre Züge. Voll sind die amphitheaterähnlichen Ränge, auf denen im Sommer vor barocker Kulisse Filmfreunde Open-Air-Kino genießen. „Widerstand lässt sich nicht verbieten“, steht in weißen Frakturlettern auf schwarzer Stoffbahn. Süßlich arrangierte Weihnachtslieder plätschern leise im Hintergrund: „Christ der Retter ist da“.

Schließlich erklingt die fanfarenhafte Pegida-Hymne. Dann erschallt wie verabredet, doch ohne Kommando, der obligatorische Ruf „Merkel muss weg“ an den Elbwiesen. Pegida-Organisator Siegfried Däbritz begrüßt, reicht weiter an Chef Lutz Bachmann, der die Standortentscheidung der Gerichte im Nachgang juristisch prüfen lassen will. Zwei Vorsängerinnen übernehmen die Mikrofone auf der Lastwagenbühne. „Hörst Du, wie lieblich es schallt, freue Dich, s’Christkind kommt bald.“ Die Initiative „Durchgezählt“ geht von 6 000 bis 8 000 Teilnehmern aus.

Die Polizei hat die Augustusbrücke in Richtung Neustadt für Fahrradfahrer und Fußgänger gesperrt. Straßenbahnen und einzelne Autos werden durchgelassen. Einige Passanten versuchen, mit der Polizei zu diskutieren, jedoch ohne Erfolg. Der Carolaplatz ist weiträumig abgeriegelt. Dutzende Polizeiautos versperren Fahrtwege, zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer stehen in Position. Etwa 100 Pegida-Gegner brüllen sich in Fahrt. Ihnen stehen Polizisten mit Hunden gegenüber. Auch am Finanzministerium haben sich 100 Gegendemonstranten versammelt.

Gegen halb acht löst sich auf dem Theaterplatz die „Herz statt Hetze“-Kundgebung langsam auf. Es finden aber immer noch Konzerte statt. Teile des dort eingesetzten Polizeiaufgebots wechseln die Elbseite. Währenddessen finden sich an den Weihnachtsmarktbuden auf dem Neumarkt trotz der Demos in der Stadt zahlreiche Kunden. Direkt vor der Frauenkirche laufen die Aufbauarbeiten an der Bühne für die Christvesper. Auf der Hauptstraße in der Inneren Neustadt ist fast gar nichts los. Viele Händler und Gastronomen auf dem dortigen Augustusmarkt haben an diesem Tag früher Schluss gemacht.

Gegen acht Uhr bewegen sich offenbar etliche Gegendemonstranten zur Heeresbäckerei auf der Königsbrücker Straße, da dort Neonazis vermutet werden. Nahe der Carolabrücke brennen zwei Autos. Offensichtlich wurden sie angezündet. In der Neustadt ist die Atmosphäre zeitweise aufgeheizt, es gibt einzelne Rangeleien.

Um kurz nach halb neun wird auf dem Theaterplatz die „Herz statt Hetze“-Veranstaltung abgebrochen. Grund ist, dass die Pegida-Teilnehmer über die Augustusbrücke geschleust worden sind. Die Polizei hat Einsatzkräfte am Theaterplatz zusammengezogen und einer Gruppe rechter Demonstranten einen Platzverweis ausgesprochen. Ansonsten bleibt es in der Stadt bis zum späteren Abend friedlich. (SZ)