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Dresdens Karstadt kann auch KaDeWe

Handelsexperte Gerd Hessert spricht über Altlasten des Konzerns, clevere Konkurrenz und Dresdens Sprung an die Spitze.

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© Robert Michael

Herr Hessert, wann haben Sie zuletzt bei Karstadt gekauft?

Dr. Gerd Hessert war selbst lange Manager bei Karstadt und Hertie, ist einer der führenden Handelsexperten und lehrt an der Uni Leipzig.
Dr. Gerd Hessert war selbst lange Manager bei Karstadt und Hertie, ist einer der führenden Handelsexperten und lehrt an der Uni Leipzig. © Swen Reichhold

Das weiß ich noch ziemlich genau. Ich habe ein Parfüm für meine Frau gekauft, und das ist noch gar nicht so lange her.

Was glauben Sie, wird es Karstadt in zehn Jahren in Dresden noch geben?

Ja. Ich glaube sehr daran. Karstadt in Dresden ist in Ostdeutschland – ohne Berlin – das dominanteste und umsatzstärkste Haus. Rein von der Performance der Häuser in Dresden und auch in Leipzig sehe ich keinen Grund für die Karstadtchefs, sich von ihnen zu trennen.

Welche Häuser im Osten werden Ihrer Meinung nach aufgegeben?

Von den sieben Karstadt-Warenhäusern in Ostdeutschland sind meiner Untersuchung nach Dresden und Leipzig die besten. Auch das Magdeburger Haus steht noch relativ gut da, ist aber kein Selbstläufer. Die Erfurter Filiale ist relativ klein, da hilft die Verbindung mit dem Shopping-Center Anger 1 und dem benachbarten Sportladen. Zu den Rückzugskandidaten zähle ich Dessau, Wismar und auch Potsdam. Die Stadt Potsdam entwickelt sich hinsichtlich der Bevölkerungszahl zwar positiv, aber nicht für den Einzelhandel. Denn die Potsdamer orientieren sich in Sachen Einkauf nach Berlin oder ins Stern-Center außerhalb des Stadtzentrums.

Was sind das für sechs Häuser, für die der neue Karstadtchef vergangene Woche das Aus erklärte?

Von den sechs genannten Häusern sind eigentlich nur zwei Warenhäuser – eines in Hamburg-Billstedt und eines in Stuttgart. Bei zwei weiteren handelt es sich um die sogenannten K-Towns in Göttingen und Köln, mit denen Karstadt versuchte, junge Leute zu erreichen. Wenn man so etwas startet, muss man das entweder sehr schnell ausbauen oder eben – wieder einstellen. Das ist hier passiert zugunsten der Kernaufgabe – der kontinuierlichen Sanierung des Kerngeschäftes Warenhaus. Die anderen beiden Häuser, die geschlossen werden, sind Schnäppchenmärkte, von denen die Branche eh wieder abkommt, weil dort die Margen zu gering sind.

Mit der Schließung der besagten sechs ist der Konzern noch nicht saniert. Was wird aus den 20 bereits im Sommer genannten Wackelkandidaten?

Vor dem Weihnachtsgeschäft sollte die Marke Karstadt nicht weiter durch Schlagzeilen beschädigt werden: Schließungen sorgen aber für Unruhe. Das kann man sich jetzt nicht leisten. Die 20 Häuser werden aber auf dem Prüfstand bleiben. Doch bei Schließungen müssen immer zwei Enden zusammenkommen – diese sind Arbeitnehmervertreter und Vermieter. Nur wenn es gelingt, sich mit beiden zu einigen, kann ein Standort wirtschaftlich vertretbar aufgegeben werden. Denn eines ist klar: Das Schließen von Warenhäusern ist teuer, kostet je nach Größe fünf bis zehn Millionen Euro.

Müssen unbedingt Filialen geschlossen werden?

Karstadt schreibt tiefrote Ergebniszahlen und erlebte einen Umsatzeinbruch in den letzten Jahren. Da müssen die Kosten angepasst und Verlustbringer aufgegeben werden. Und ich sage immer, es ist besser, 75 Prozent von Karstadt zu erhalten, als Karstadt ganz zu verlieren. Der Rückzug – ich sage nicht gern Schließung – von 29 Filialen als Ergebnis meiner Portfolioanalyse würde nur 15 Prozent des Umsatzes ausmachen. Er würde aber laufende Kosten sparen.

Ist das Konzept Warenhaus angesichts des wachsenden E-Commerce nicht längst überholt?

Fakt ist, dass sich der Einzelhandel dramatisch verändert und der E-Commerce diese Entwicklung beschleunigt. Aber bei allen Möglichkeiten, die das Einkaufen im Internet bietet, fehlt den Konsumenten dabei doch das Besondere des Shoppings. In einer Zeit, in der man aus allen Kanälen mit Waren zugeschüttet wird, haben gerade die Warenhäuser in den großen Städten eine Chance. Die Kunden werden durch das Angebot drumherum angezogen. Kein Internet kann beispielsweise das Erlebnis eines Weihnachtsmarktes wie in Dresden bieten. Der Kunde will seinen Glühwein schon noch selbst trinken. Als die Warenhäuser Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, dockten in der Folge kleine Betriebe an, ganze Stadtquartiere haben sich dadurch verändert. Wenn heute ein Warenhaus entstehen und überleben will, braucht es einen bereits vorhandenen Branchenmix, Boutiquen, Gastronomie, städtische Feste und mehr. Gern auch ein Shopping-Center. Je attraktiver und größer die Innenstadt ist, desto besser für ein Warenhaus.

Ist der Osten ein besonderes Terrain?

Durchaus. Die Verkaufsfläche im Osten hat sich nach der Wende vervierfacht auf 21 Millionen Quadratmeter. Im Osten sind eine große Zahl von Shopping-Centern in Randgebieten der Städte entstanden. 129 solcher Anlagen mit fast drei Millionen Quadratmetern Verkaufsfläche gibt es – Berlin ausgenommen. Es herrscht also ein hoher Wettbewerb. Parallel dazu gab es aber einen verzögerten Aufbau des Einzelhandels in den Städten wegen zunächst ungeklärter Eigentumsverhältnisse. Dazu kam, dass sich der Handel stark discounterorientiert entwickelte, die Branchenmischung fehlt. Das und die demografische Entwicklung machen die Besonderheit des Ostens aus. In den vergangenen Jahren hat sich durch Abwanderung die Städtestruktur verändert. Zudem ist die Kaufkraft eher unterdurchschnittlich. Für Warenhäuser also ein schwieriges Umfeld.

Der neue Karstadtchef will die Filialen jetzt in zwei Betriebsarten unterteilen: in Grundversorger in kleinen Städten und Einkaufserlebnishäuser in den Großstädten. Was halten Sie davon?

Neu ist das Konzept nicht. Das ist etwas, das schon vor 20 Jahren gemacht wurde. Ich halte es dennoch für einen absolut richtigen Schritt, die Häuser unterschiedlich zu führen – und sich primär um die großen Häuser zu kümmern. Und was Dresden und Leipzig betrifft – hielte ich es für gar nicht so verkehrt, wenn diese Häuser der KaDeWe-Gruppe angeschlossen würden.

(Anmerkung der Redaktion zur KaDeWe-Gruppe: Der Immobilieninvestor René Benko hatte sich bereits 2013 die Mehrheit an den Filetstücken Karstadts (die Luxus-Häuser KaDeWe, Alsterhaus, Oberpollinger und die Sporthäuser) gesichert. Die KaDeWe-Gruppe soll wohl Blaupause für weitere Luxus-Warenhäuser werden.)

Immer wieder wird das Interesse des neuen Karstadteigentümers René Benko an Galeria Kaufhof betont. Zudem wird Kaufhof immer als Vorzeigewarenhaus hingestellt. Was macht Kaufhof besser?

Galeria Kaufhof schreibt schwarze Zahlen und hat die Kosten im Griff. Zum Beispiel wurde die Personalproduktivität in den vergangenen 15 Jahren bei 180 000 Euro pro Vollzeitkraft gehalten. Karstadt liegt drunter. Und Kaufhof schafft es geräuschlos und unaufgeregt, seit Ende 2010 neun Filialen zu schließen. Zudem zeigte das Management lange Zeit Kontinuität. Die haben einfach sehr viel gearbeitet in der Vergangenheit, auch in der Logistik und den Systemen. Dabei steht Karstadt hinsichtlich der Standorte und des Marktauftritts keines Falls schlechter da. Bei meiner Untersuchung der 50 umsatzstärksten Standorte, also jener mit 50 Millionen Euro Brutto-Umsatz in Deutschland, finden sich drei Premiumhäuser aus der KaDeWe-Gruppe, 30 Karstadt-Fillialen und nur 17 Kaufhof-Standorte.

Das Interview führte Ulrike Körber