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Helma Orosz: „Dresden war keine unschuldige Stadt“

Oberbürgermeisterin Helma Orosz sprach gestern vor der Menschenkette über Dresdens Rolle im Nationalsozialismus. Auszüge aus ihrer Rede.

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Es erfüllt mich mit Freude, dass heute wieder so viele Menschen gekommen sind. Es macht mich stolz, dass wir alle hier sind, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen dafür, dass wir die Opfer von Krieg, Verfolgung und Völkermord nicht vergessen. Ein Zeichen dafür, dass wir Dresdens Beitrag am Nationalsozialismus nicht verdrängen. Die Menschenkette wird in wenigen Minuten wieder einen Weg durch unsere Stadt markieren. Ein Weg, der uns verbindet und der deutlich macht, dass wir es nicht zulassen, dass zerstörerische Kraft nationalsozialistischer Ideen wieder in unserer Stadt Raum gewinnt. (...)

Es ist eine unzweifelhafte Tatsache, dass Dresden keine unschuldige Stadt war. (...) Juden und deren nichtjüdische Angehörige, Sinti und Roma, Gewerkschafter und Sozialdemokraten wurden in Dresden vor den Augen der Öffentlichkeit schikaniert, misshandelt und abtransportiert. Die (...) Galerien wurden von den Dresdnern selbst nach entarteter Kunst durchforstet und im Sinne der Nazis gesäubert. In Dresden wurden Waffen für den Krieg gefertigt und Zwangsarbeiter in Lagern gehalten. Das alles geschah nicht versteckt und heimlich. (...)

Zeugnis über die Schuld, die unsere Stadt auf sich geladen hat, legt die Ausstellung „Schuhe von Toten“ im Militärhistorischen Museum ab. Im Katalog zur Ausstellung wird berichtet: Als der ausgebombte Polizeibeamte Franz Harry Schnaubelt am 16. oder 17. Februar 1945 (...) zu seinem zerstörten Haus in die Innenstadt ging, bemerkte er (...) zwei Männer und eine Frau, die aus einem Keller stiegen. Sie trugen Koffer mit Adressaufklebern des Nachbarhauses und waren Ausländer. Obgleich die Frau den Beamten flehentlich bat, sie laufenzulassen, fesselte er die beiden Männer. (...) Zwischenzeitlich hatte sich eine aufgebrachte Menschenmenge um die kleine Gruppe versammelt (...). Von einem zufällig vorbeikommenden Feldwebel erhielt Schnaubelt sechs Patronen für seine ungeladene Dienstwaffe. Daraufhin schoss er auf seine am Boden sitzenden Gefangenen, da sie noch atmeten, wurden sie von den Umstehenden gesteinigt.

Wenn wir uns an den 13. Februar erinnern, dann gedenken wir der Opfer eines furchtbaren Luftangriffs. (...) Der Weg unseres Gedenkens führt uns auch zu den Opfern der Nazis, er führt zu den brennenden Synagogen und zu den Toten des Krieges. Dieser Weg lässt uns an Coventry, St. Petersburg und die vielen Städte denken, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Dieser Weg des Erinnerns erspart uns nicht den Blick in die Gaskammern von Auschwitz. Die Menschenkette mag manchem vielleicht nur wie ein Symbol erscheinen. Aber für mich ist es auch Teil dieses schweren Weges, den wir gehen. Noch immer sind Nazis am heutigen Tag in unseren Straßen unterwegs. Noch immer werden Menschen in unserem Land angegriffen, weil sie eine andere Herkunft haben, andere Hautfarbe oder Religion. Solange dies geschieht, solange die braune Saat an irgendeinem Ort aufgeht und unsere Demokratie und die Würde aller Menschen in Gefahr ist, ist unser Weg nicht zu Ende.