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Dresden vergilbt

Allergiker können nicht mehr aus den Augen gucken, Fahrer nicht mehr aus den Autos. Hinter der Pollendecke steckt ein Baum, der früher angebetet wurde.

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© dpa/Sebastian Willnow

Von Franziska Klemenz

Ist die Sahara durch die Stadt gestürmt? Gelber Staub, wohin man sieht; wie eine Wand aus Sand. Angesichts Dresdens geografischer Lage dennoch unwahrscheinlich. Die Spurensuche führt nicht in die Wüste, sie führt in Wälder und auf Wiesen.

Fichten sind die Übeltäter. Ihr Motiv: Fortpflanzung. In diesem Jahr verteilt die Fichte ihre Pollen besonders ambitioniert. Keine gefühlte, sondern eine echte Wahrheit – viele Fichten befinden sich in ihrem Mastjahr. Als Mast bezeichnen Förster und Jäger die Früchte von Bäumen. Fichten tragen ihre Mast – braune Zapfen – nur alle vier bis sieben Jahre, dafür aber umso mehr davon. Das garantiert, dass ihre Fressfeinde nicht alle Zapfen vertilgen können und sichert so die nächste Generation. Fichten werden bis zu 600 Jahre alt, können sich beim Nachwuchs also Zeit lassen.

Für den extremen Pollenflug in diesem Frühjahr ist auch das Wetter verantwortlich. Der warme Frühling folgte so plötzlich auf den kalten Winter, dass viele Pflanzen ruckartig aus dem Schlaf schreckten und explosionsartig aufblühten.

Der April 2018 geht laut Stadtverwaltung Dresden „als der mit Abstand wärmste Aprilmonat seit 1961 in die Bücher ein“ – die Temperaturen stiegen an manchen Tagen auf fast 30 Grad. War die Vegetation laut Deutschem Wetterdienst Ende März noch etwa zwei Wochen hinterher, eilt sie nun zwei Wochen voraus. Auch der Regen stellte in Dresden mit 18 Prozent über dem April-Durchschnitt einen Rekord auf.

Neben der Fichte kitzeln Raps, Flieder, Esche, Kastanie, Gräser und viele weitere Pflanzen die Nasen von Allergikern gerade gleichzeitig. Zumindest die Blütezeit der Fichte endet im Juni. Autofahrer können in Waschanlagen dann wieder sinnstiftende Beschäftigungen finden, Taschentuch-Hersteller machen weiterhin Rekordumsätze; immerhin leiden 15 Prozent der Deutschen unter Heuschnupfen – in Dresden also rund 85 000 Menschen.

Wer seine geschundenen Atemgänge pflegen will, kann statt Pharma-Chemie auch zu einem Hausmittel greifen. Ein ätherisches Öl, das bei der Behandlung von Bronchitis hilft. Woher es stammt? Es ist derselbe Baum, der seinen Staub auf unsere Stadt verteilt: die Fichte. Statt zu fluchen, haben die alten Griechen sie übrigens als Baum des Meeres-Gottes Poseidon geweiht. Aus Fichten baute man damals Boote. Autos brauchte man noch nicht.