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Dresden musste die schönste Brücke haben

August der Starke befahl vor knapp 300 Jahren den Umbau der einzigen Elbquerung. Die war damals schon bedeutend, danach wurde sie berühmt.

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© Staatliche Kunstsammlungen

Von Lars Kühl

Die Längste Deutschlands war sie schon. Die Stärkste stand in Prag, die Schönste aber in Regensburg – so erzählte man es sich im 18. Jahrhundert. Ein Makel, den August der Starke nicht gelten lassen wollte. Sachsen und Dresden mussten glänzen, also beauftragte der Kurfürst den Zwinger-Erbauer Matthäus Daniel Pöppelmann mit der barocken Umgestaltung und Erweiterung der alten Elbbrücke. Nach den Arbeiten zwischen 1728 und 1730 konnte sich das Bauwerk endlich auch mit dem ästhetischen Titel schmücken. Nicht nur der Architekt Willy Nagel kam in seiner Dissertation von 1924 über die alte Augustusbrücke zu diesem Urteil, Norbert Oelsner hat es jetzt aufgegriffen. Der Historiker und Bauforscher gehört zum Trio, das sich in einem neuen Arbeitsheft des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege Dresdens größtem geschützten Baudenkmal widmet. Ein bemerkenswertes Buch, das in drei Kapiteln die Geschichte, das Bauwerk im Mittelalter und Studien zur Bedeutung darstellt.

Die markanten Pfeiler dominierten die Stadtansicht mit dem Schloss auf dem Kupferstich von Ph. Gallein (1587).
Die markanten Pfeiler dominierten die Stadtansicht mit dem Schloss auf dem Kupferstich von Ph. Gallein (1587).
Das Brückenmännchen im Zustand von 1924 wird als Original vermutet.
Das Brückenmännchen im Zustand von 1924 wird als Original vermutet. © Willy Nagel; Städtische Galerie Dresden

Das Augenmerk liegt auf der alten Augustusbrücke – jene reichte vorm Abbruch von 15 der 24 Bögen einst bis unter das heutige Georgentor. 437 Meter lang (ab 1737 noch 402 Meter), über elf Meter breit. Beeindruckend waren die hochgezogenen Pfeiler, die oben halbrunde, balkonartige Austritte bekommen hatten. Derart charakteristisch verband die Flussquerung bis weit in das 19. Jahrhundert als Einzige in Dresden die Alt- mit der Neustädter Seite.

Von 1907 bis 1910 ließ dann Wilhelm Kreis nach historischem Vorbild einen Neubau errichten: die Friedrich-August-Brücke. Eine moderne Stahlbetonkonstruktion, verkleidet mit Naturstein, die dem zunehmenden Verkehr Tribut zollte. So wurde das Terrassenufer unter dem ersten Torbogen hindurch weiter Richtung Elbe verlegt. Benannt wurde die Brücke nach dem damaligen König. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau war ab 1949 der bulgarische Kommunist Georgij Dimitroff der Pate. 1990 folgte schließlich die Rückbenennung in Augustusbrücke.

Heute noch Reste aus Mittelalter

Das historische Original steht im Mittelpunkt des Arbeitsheftes. Immerhin handelt es sich bei ihm um den größten „Brückenbau des deutschen Hochmittelalters und zugleich eines der größten mittelalterlichen Verkehrsbauwerke Europas“ (Oelsner). Davon zeugen heute noch erhaltene Bögen und Pfeiler unter dem Georgentor oder dem jetzigen Schloßplatz, die bereits um 1519 beziehungsweise 1533/1535, 1546/1555 und 1737 zugeschüttet worden waren, sowie auch Reste der Brückenrampe auf der Neustädter Seite.

Genau die hat der Archäologe Reinhard Spehr zwischen 1983 und 1995 an vier Stellen freigegraben und dokumentiert. Er beschreibt im Arbeitsheft anhand zahlreicher Abbildungen sehr detailliert und fundiert die Rolle der alten Elbbrücke im Mittelalter: den Aufbau, das verwendete Material, die Arbeitsweise der Steinmetze. So konnte Spehr bei einer Vermessung zusammen mit Thomas Gerlach nachweisen, dass sie ursprünglich und bis zum Festungsbau im 16. Jahrhundert 561 Meter lang und 8,5 Meter breit gewesen sein muss. Den Baubeginn datiert er im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, auch wenn es dafür noch keine Beweise gibt. Es muss Jahrzehnte gedauert haben, bis die Brücke fertig war. Erstmals urkundlich erwähnt wurde sie 1230. Strategisch war das Bauwerk als Elbquerung besonders wichtig als Anschluss an die via regia: der wichtige West-Ost-Handelsweg, die Achse über Plauen, Zwickau, Chemnitz, Freiberg und Dresden in Richtung Oberlausitz.

Aber auch bautechnisch setzte die alte Elbbrücke deutschlandweit Maßstäbe. Die Pfeiler waren in der Draufsicht tropfenförmig, stromaufwärts rund, stromabwärts spitz zulaufend. Es gab drei Zugbrücken, eine auf jeder Seite und eine in der Mitte beim Wächter- und Zollhaus. Vermutlich standen mehrere Gebäude auf dem Bauwerk, wie die 1305 erwähnte christliche Brückenkapelle, die später zum Zollhaus umfunktioniert wurde. Auf der Neustädter Seite gab es zum Schutz einen Turm, im späten 17. Jahrhundert wurde aus dem Wächter-/Zollhaus-Komplex ein Blockhaus, bestückt mit fünf Kanonen.

Dies alles ist im Laufe der Jahrhunderte längst verschwunden. Ein kleiner Italiener wurde dagegen zum Wahrzeichen der Stadt: das Brückenmännchen. Die kauernde Figur mit der tief ins Gesicht gezogenen Mütze am Landpfeiler auf der Altstädter Seite soll Matteo Fuccio um 1265 zeigen, angeblich einen der ersten Baumeister der steinernen Brücke, den der Dresdner Volksmund wenig respektvoll „Mats Fotze“ nannte. Davon berichtet der Kunsthistoriker Heinrich Magirius unter anderem im abschließenden Kapitel des Arbeitsheftes.

Das Relief flog zwar bei einer Sprengung 1813 in die Luft, wurde aber später im Schutt unter der heutigen Gaststätte Italienisches Dörfchen wiedergefunden – nachdem eine Nachbildung seinen Platz an der Brücke eingenommen hatte. Mit dem Neubau der Friedrich-August-Brücke bis 1910 beginnt dann ein Verwirrspiel, das bis heute nicht geklärt ist. Welches ist nun das Vorbild für die Skulptur, die 1967 kopiert wurde und heute noch zu sehen ist? Auch Magirius muss die Frage offenlassen. Geschichte ist dagegen eine unsittliche Angewohnheit der Dresdner, mal abgesehen von Ausnahmen beim Stadtfest: Früher gab es die Redewendung „Zum Brücken-Männchen gehen“ oder „Sich vom Brückenmännchen rufen lassen“ – als Synonym fürs Pinkeln unter die Brücke.

Deren Umgestaltung unter August dem Starken widmet sich Magirius ausführlich. Eingeläutet wurde die Phase durch die Bedeutung als Triumphstraße – es gab eine Zeit lang sogar einen entsprechenden Bogen auf der Brücke. Der Kurfürst überging die eigentlich zuständige Stadt und wies stattdessen 1727 den Oberlandbaumeister Pöppelmann an, mit den Planungen zu beginnen. Weil Dresden sich den Umbau nicht leisten konnte, bezahlte August die Rechnung großteils aus der Staatskasse. Das Ergebnis war beeindruckend, nicht nur wegen der barocken Schönheit. Endlich hatten die Fußgänger auf beiden Seiten einen eigenen Gehweg mit kunstvollen Absperrgittern, die Kutschengespanne konnten sich in der Mitte gefahrlos begegnen. Über jedem Bogen prangte ein Königsmonogramm und stand eine Laterne.

Des Kurfürsten Lieblingswunsch blieb aber unerfüllt. Das Denkmal zu seinen Ehren, der Goldene Reiter, sollte eigentlich mitten auf der Augustusbrücke platziert werden, doch es fand 1736 drei Jahre nach Augusts Tod seinen Standort am nahen Neustädter Markt. Stattdessen wurde das Brückenkreuz, das sein Großvater 1670 gestiftet hatte, an der höchsten Stelle des Bauwerkes angebracht. Das vergoldete Kruzifix wurde später vom Hochwasser 1845 mitgerissen. Seitdem ist es verschollen.

Auch beim Niedrigwasser im vorigen Jahr tauchte es nicht wieder auf. Der Beliebtheit der Elbquerung tat das keinen Abbruch. Damit das so bleibt und das bröckelnde Bauwerk wieder sicher ist, wird dieses Jahr seine Sanierung in Angriff genommen. So wird Magirius recht behalten, wenn er sagt: „Nicht zuletzt hat die Augustusbrücke zum Mythos Dresdens als eine ,vollkommene‘ Stadt beigetragen.“