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Dresden kann auch anders

Am Sonnabend demonstrierten in der Innenstadt rund 5 000 Menschen friedlich gegen Rassismus und für Flüchtlinge.

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© André Wirsig

Von Anna Hoben

Es ist eine kleine, leise Idee, die an diesem Tag eine große Wirkung entfaltet. Dutzende Din-A4-Blätter, an Rucksäcke oder Fahrräder geheftet, bedruckt mit Ortsnamen: Torgelow. Hannover. Flöha. Häslich. Haselbachtal. Ense. Orte in ganz Deutschland, aber auffällig viele davon in Sachsen. Darunter ein Datum und der jeweilige Tatbestand: Flutung. Sachbeschädigung. Brandstiftung. Es handelt sich um Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte in den vergangenen Wochen und Monaten.

Kurz nach 15 Uhr setzt sich der Demonstrationszug am Hauptbahnhof in Bewegung. 5 000 Menschen, so wird die Polizei später schätzen. Die Studentengruppe „Durchgezählt“, die auch die Teilnehmerzahlen bei Pegida-Demos misst, spricht auf Twitter von 4 000 bis 5 000 Personen. Das Bündnis Dresden Nazifrei hatte die Veranstaltung unter dem Motto „Heute die Pogrome von morgen verhindern“ angemeldet und zunächst mit 1 000 Menschen gerechnet. Viele Teilnehmer sind von weiter weg angereist: aus Leipzig, Hamburg, Tschechien. Aus Berlin kommen Vertreter des „Republikanischen Anwältevereins“, der sich als Teil der Bürgerrechtsbewegung sieht. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“.

Linke Aktivisten und Antifa-Gruppen dominieren den vorderen Teil der Demo, hinten laufen viele Familien mit Kindern. „Die Saat von Pegida ist aufgegangen“, sagt eine Rednerin. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit seien kein ostdeutsches Phänomen, hätten hier aber eine andere Qualität als anderswo. Mit Blick auf die rechtsextremen Ausschreitungen in Heidenau spricht sie von „kalkuliertem Staatsversagen“. Es sei an der Zeit, aufzubegehren. Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König hat sich auf den Weg gemacht, ebenso wie die 69-jährige Aktivistin Irmela Mensah-Schramm, die ihr Leben dem Kampf gegen Rechtsextremismus gewidmet hat. Mit Sprühdosen zieht sie durch die Republik, übermalt Nazi-Schmierereien und kratzt rechte Aufkleber von Wänden und Laternenpfosten. Um ihren Hals baumelt an diesem Tag ein laminiertes Schild, auf dem steht: „Kein Bleiberecht für Nazis und Rassisten“. Kritik geht auch in Richtung der Landesregierung: „Wer von der CDU nicht reden will, muss vom Nazipack schweigen“, heißt es auf einem Transparent. Ein Demonstrant verteilt Aufkleber mit der Aufschrift „sächsische Kackscheiße“. Der Zug führt über die St. Petersburger zum Pirnaischen Platz. Dort, in der Nähe der Polizeidirektion, gibt es eine erste Kundgebung, unter anderem mit Forderungen nach internationaler Bewegungsfreiheit für alle und einem sofortigem Recht auf Arbeit und Bildung für Flüchtlinge in Deutschland. Redner erinnern an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und an Habil Kilic, der auf den Tag genau vor 14 Jahren in München von den rechtsextremen Terroristen des NSU ermordet wurde.

Weiter geht es über die Wilsdruffer Straße zu Post- und Theaterplatz. Ein syrischer Flüchtling erzählt vom Krieg. „Wir haben alles verloren. Ich bin nicht gekommen, um herumzusitzen und Geld vom Staat zu bekommen. Ich will eure Sprache lernen, ich will arbeiten und mich integrieren.“ Am Carolaplatz gibt es eine weitere Zwischenkundgebung, bevor die Menge zum Bahnhof Neustadt zieht. Zum Abschluss singt der Hip-Hopper Max Herre „Esperanto“, das Lied über internationale Verständigung und eine Sprache der Liebe.